Der Begriff „Sexuelle Belästigung“ ist eigentlich grundfalsch. In den seltensten Fällen geht es hierbei nämlich um sexuelle Anziehung oder Attraktivität, die man durch Übergriffe zum Ausdruck bringt, sondern um: Macht. Macht gegenüber den meist unterlegenen Personen, bedingt durch berufliche Stellung oder gesellschaftlichen Status.
Die sehr konkreten Vorwürfe gegen einen der mächtigsten Männer der Filmindustrie in den USA, Harvey Weinstein, hat deshalb durch die Reaktionen darauf unter #MeToo eine gesellschaftspolitische Diskussion entfacht, die weit über das Thema sexuelle Belästigung hinausgeht. Zum ersten Mal hat ein Mann die Folgen seines Handelns in ausgesprochen drastischer Form öffentlich zu spüren bekommen: Rausschmiss aus seiner eigenen Produktionsfirma, Ausschluss aus der Oscar-Akademie, seine Ehefrau reichte die Scheidung ein. Ein Macht- und Statusverlust auf ganzer Linie.
Frauen entwickeln mehr Selbstbewusstsein
Bislang war es eher so, dass Frauen sich bei erhobenen Vorwürfen mit indiskreten Fragen, Vorverurteilungen und Anfeindungen konfrontiert sahen. Dass Frauen sich sexuelle Belästigung nicht mehr gefallen lassen, dass sie auf öffentliche Unterstützung setzen können, dass ihnen geglaubt wird und nicht den Tätern, sind Entwicklungen, die mich als Frauenpolitikerin optimistisch stimmen, dass sich etwas ändert. Das hat auch für Frauen Konsequenzen, die sich nicht im Licht der Öffentlichkeit bewegen: Die Bereitschaft, bei erhobenen Vorwürfen die Position der Anklägerin und nicht des Opfers einzunehmen, steht für ein selbstbewusstes Frauenbild.
Jede vierte Frau erlebt sexualisierte und häusliche Gewalt
Mit den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht 2015 hat das Thema allgemein eine neue Dynamik bekommen. Allerdings war es zu dem Zeitpunkt noch ein Problem, dass durch feministische Leisetreter*innen, die auf einmal zu Lautsprecher*innen wurden, ganz klar verortet wurde: die Geflüchteten, ganz allgemein die „anderen“ waren schuld! Die Zahlen der Hilferufe bei Frauennotrufen und -häusern sprechen eine andere Sprache: Sexuelle Gewalt und Diskriminierung ist nichts, das über das Meer zu uns hinübergeschwappt ist. Beinahe jede vierte Frau wird einmal im Laufe ihres Lebens Opfer von sexualisierter und häuslicher Gewalt.
Viele Männer schweigen aus Unsicherheit
Die Debatte verunsichert Männer und Vorgesetzte – zumindest behaupten das diejenigen, die sich nicht sicher sind, ob ihre bisherigen Komplimente oder Anzüglichkeiten noch angebracht sind. Die sensibleren Männer schweigen oftmals zu der Debatte und ihren Auswirkungen auf das Männer-Frauen-Verhältnis. Sie wissen tatsächlich nicht, wie man als Mann Stellung beziehen kann. Eher nur zuhören, wenn Kolleginnen von sexueller Belästigung berichten? Ermutigen, die Dinge anzusprechen oder zur Anzeige zu bringen?
Persönliche Grenzen respektieren
Es gibt eine Grenze sexueller Belästigung, die bei jeder Frau anders ausgeprägt ist: Das sanfte Beiseiteschieben beim Vorübergehen des Direktors im Lehrerzimmer, den Arm um die Schulter bei Ratschlägen väterlicher Kollegen, die Anmache eines Schülers – jede Frau, jede Lehrerin hat das Recht, zu artikulieren, wann ihre Grenze überschritten ist. Und jeder Kollege, jeder Vorgesetzte und jeder Schüler hat das zu respektieren, ohne Kommentare oder Bewertungen. Natürlich gilt das auch für Lehrer, die wenig Wert auf Umarmungen oder Begrüßungsküsse der Kolleginnen legen. Auch für sie gibt es nun die Chance, ihre Bedürfnisse klarer zu artikulieren. Und dieses neue Selbst-Bewusstsein ist auch die Chance für ein kollegialeres, ausgeglicheneres Miteinander.