

Ist es zu viel? Ja, das ist es. Haben wir zu wenig von allem? Ja, auch das ist so. Werden wir mutig! Setzen wir Prioritäten! Tun wir alles dafür, dass die Schüler*innen vom Lernen berührt werden.
Vor einiger Zeit postete ich auf meinem Instagram-Account @netzlehrer einen Spruch, der seit den letzten Jahren seine Wahrheit nicht eingebüßt hat: „Lehrkräftemangel bezeichnet nicht nur den Mangel an Lehrkräften, sondern auch die Gründe für sein Entstehen. Mangel an Zeit. Mangel an Ressourcen. Mangel an Unterstützung. Mangel an Wertschätzung.“
Alle, die in dieser Zeit an einer Schule arbeiten, die von Mangel betroffen ist, kennen dies. Und es hat eine direkte Auswirkung: Wie der Spiegel berichtete, kehrten im Schuljahr 2023 / 2024 rund 27.000 Lehrkräfte den Schulen den Rücken – ohne gesundheitliche oder altersbedingte Gründe. Dieter Dohmen, Direktor des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) und Autor der Studie, spricht von „besorgniserregende[n] Trends“.
All diesen Herausforderungen zum Trotz bleibt es für die notorischen Idealist*innen der Zunft keine Option, aufzugeben. Aber was tun, wenn von allen Seiten die Ansprüche steigen, während sich die Bedingungen verschlechtern? Die Situationen in den Schulen sind so unterschiedlich, dass sich pauschale Empfehlungen verbieten. Dennoch gibt es einige maßgebliche Aspekte, auf die wir als Lehrer*innen achten können.
Es ist, wie es ist
Die Grundlage für das eigene pädagogische Handeln ist trivial: die Situation annehmen, wie sie ist. Dies ist genauso wichtig wie schwierig. Denn niemand will sich mit den Gegebenheiten abfinden. Nur ist der Blick in eine gute alte Zeit genauso schädlich wie das Träumen von besseren Zeiten. Es versperrt den Blick. Diejenigen, die meditieren, kennen die Übung: Man atmet, beobachtet die eigenen Gedanken und bewertet nicht.
Das ist schwierig und sollte in jeder Konferenz ausprobiert werden. Im Ernst: Erst die Haltung, die Situation anzunehmen, kann dazu führen, sie zu ändern. Veränderung meint in dem Fall keine Revolution. Veränderung bedeutet vielmehr, innerhalb seines Wirkungskreises einen Unterschied zu machen. Denn auch tausende kleine Unterschiede können große Wirkung entfalten.
Mut für das Wesentliche
Auf einer Podiumsdiskussion sagte die damalige Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Katharina Günther-Wünsch, dass sie sich von Lehrer*innen Mut wünsche. Damals erwiderte ich, dass ich mir ein Schulsystem wünsche, bei dem man nicht mutig sein muss, um das Richtige zu tun. Es ist schon spannend, wenn die oberste Verantwortliche der Behörde dies fordert.
Die Bildungswissenschaften haben damit zu kämpfen, dass pädagogische Qualität sehr schwer messbar ist. Im Podcast Psychologie fürs Klassenzimmer erklärt der neuseeländische Pädagoge und Erziehungswissenschaftler John Hattie die Konsequenz für Schulen: Quantität setzt sich dann gegenüber Qualität durch. Es ist nicht die Frage, wie wirkungsvoll der Unterricht ist, sondern wer am meisten tut.
Vor diesem Hintergrund bedeutet Mut, sich auf das zu konzentrieren, was das Wichtigste ist: Dass alle Kinder und Jugendlichen die Inhalte durchdringen. Ob dies nun durch Bewegung, KI, digitale Mittel oder althergebrachten Unterricht geschieht, ist zweitrangig. Es geht darum, den Fokus auf das Wesentliche zu setzen.
Das ist nicht leicht: Von überall wird Erwartungsdruck aufgebaut, der schnell dazu führt, dass man doch wieder das Gefühl hat, es allen recht machen zu müssen. Nur: Wer das versucht, muss scheitern. Aus dem Grund ist es so wichtig, Banden zu bilden. Und darüber zu sprechen, was man weglassen kann. Denn nur durch das Weglassen – in der Fachsprache Deimplementierung – bekommen Lehrer*innen den Raum dafür, andere Prioritäten zu setzen.
Die Kraft der Berührung
Während die Annahme der Situation und der Mut, Prioritäten zu setzen, eher mit den äußeren Bedingungen zu tun haben, bleibt der Unterricht zentral. Denn bei all den Versuchen, den „Stoff“ durchzubringen, wird ein ums andere Mal vergessen, was es braucht, damit der Mensch lernen kann: die Berührung. Der Soziologe Hartmut Rosa spricht von „Resonanz“. Sehr kurz gefasst: die Verbindung zwischen Mensch und Umwelt.
In Zeiten von KI und Krise ist dies einer der wichtigsten Aspekte von Bildung. Nur wenn ich verstehe, warum ein Inhalt für mich relevant ist, kann ich lernen. Das setzt Interesse an den Schüler*innen und an ihrer (digitalen) Welt voraus. Das bedeutet nicht, dass nun alle Lehrer*innen selbst täglich Social Media nutzen müssen. Manchmal bedeutet es eine einfache Frage: Was beschäftigt euch gerade?
All dies hat mehr mit Haltung zu tun als mit den Bedingungen, die sich nicht mit einem Fingerschnipsen verändern lassen. Was sich verändern lässt, ist die eigene Perspektive: Ist es zu viel? Ja, das ist es. Haben wir zu wenig von allem? Ja, auch das ist so. Werden wir mutig! Setzen wir Prioritäten! Tun wir alles dafür, dass die Schüler*innen vom Lernen berührt werden.