lautstark. 14.04.2022

Schulpolitik: Und täglich grüßt das Murmeltier

ChancengleichheitBildungsfinanzierungBelastungLehrkräftemangel

Eine Bilanz der vergangenen fünf Jahre

2017 traten die Koalitionär*innen mit dem Ziel an, den Aufstieg durch Bildung möglich zu machen. Sie wollten als verlässlicher Partner*innen der Schulen und Bildungseinrichtungen beste Bedingungen für die Bildung der Schüler*innen in Nordrhein-Westfalen schaffen. Nicht eingelöst – so muss das Fazit lauten. Und man glaubt, in einer Zeitschleife zu sein.

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2022 | Mehr für Bildung: Deine Stimme zählt
  • Autor*in: Ayla Çelik
  • Funktion: Vorsitzende der GEW NRW
Min.

Wir könnten uns in einem Rückblick bewertend mit konkreten Maßnahmen wie der Rückkehr zu G9, der Neuausrichtung der Inklusion, dem neuen Sozialindex oder dem Masterplan Grundschule befassen. Wir könnten noch einmal die Kommunikation in der Pandemie beleuchten, die im WDR „Wundertütenkommunikation“ genannt wurde. Wir könnten uns damit befassen, welche Folgen programmatische Vorgaben hatten, denen zufolge es gelte die Benachteiligung des Gymnasiums zu beseitigen und Schulen besser würden, wenn betriebswirtschaftliche Steuerungselemente zur Geltung kämen. Wir schauen stattdessen, ob es in fünf Jahren Schwarz-Gelb gelungen ist, die gesellschaftlich breit akzeptierten Grundprobleme des Schulsystems zu beheben.

Die Schul- und Bildungsfinanzierung ist weiter mangelhaft

Die Landesregierung verweist auf einen steigenden Bildungsetat im Landeshaushalt und einen Stellenzuwachs. Sie lobt sich zum Beispiel für mehr Ausgaben für den Ganztag und beteuert, den Kommunen mehr Geld zur Verfügung gestellt zu haben. Das war notwendig aufgrund steigender gesellschaftlicher Bedarfe und wegen neuer Aufgaben, die den Schulen übertragen wurden. Es war jedoch nicht hinreichend.

Vergleicht man die Ausgaben der Bundesländer pro Schüler*in, befindet NRW sich noch immer am Ende der Rangliste. Sucht man nach Erklärungen für zugige Klassen mit undichten Fenstern, so reicht ein Blick in die Berechnungen zum Sanierungsstau bei Schulen und Hochschulen in NRW. Betrachtet man die Lage landauf, landab, so kann man nur mit Zynismus reagieren, wenn man im Koalitionsvertrag von 2017 nachliest, dass für CDU und FDP eine umfassende bauliche Modernisierung unserer Schulen von ganz besonderer Bedeutung sei. NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer wusste 2017, dass sich die Bildungsinfrastruktur viel zu oft im maroden Zustand befindet und unsere Schulen technisch eher den Geist der 1970er-Jahre als den Geist des digitalen Zeitalters atmen. Und daran – das wurde in der Pandemie offenbar – hat sich wenig geändert. Die notwendige Trendwende bei der Schul- und Bildungsfinanzierung ist ausgeblieben.

Die soziale Schieflage hat sich vergrößert

Schon der erste Satz der sogenannten Kleinen Regierungserklärung von Yvonne Gebauer am 4. Oktober 2017 im Schulausschuss im Landtag ließ aufhorchen: „Aufstieg durch Bildung ermöglichen.“ Diesem ehrgeizigen Leitmotiv wolle die Landesregierung in den nächsten Jahren folgen. Und weiter war zu lesen: „Welche Rahmenbedingungen brauchen Schulen, um tatsächlich jedem Kind unabhängig von seiner Herkunft bestmögliche Entfaltung zu ermöglichen?“ Ein überraschendes Leitmotiv für die konservativ-liberale NRW-Koalition.

Es folgten ein Talentschulversuch und ein neuer Sozialindex. Die wenigen Talentschulen erhielten eine angemessene Personalausstattung. Systemisch wirksam wäre jedoch gewesen, die flächendeckende sozialindizierte Ressourcensteuerung durch den neuen Sozialindex mit mehr Personal auszustatten. Ungleiches ungleich zu behandeln, wurde aber nicht eingelöst. Schulen mit schwierigen Rahmenbedingungen warten nach wie vor auf die erforderliche Unterstützung. Das Schul- und Bildungssystem in NRW ist weiterhin nicht in der Lage, die Koppelung zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg aufzubrechen. Die Pandemie hat die Lage zudem drastisch verschlechtert.

Der Personalmangel ist dramatisch 

Die Diskrepanz zwischen schwarz-gelbem Anspruch und schwarz-gelbem Erfolg ist bei der notwendigen Bekämpfung des Lehrkräftemangels und der Vermeidung von Unterrichtsausfall riesig. Diese Passage im Koalitionsvertrag klingt im Rückblick wie Hohn: „Um für unsere Schülerinnen und Schüler eine bestmögliche individuelle Förderung zu erreichen, werden wir die Erteilung des Unterrichts im Rahmen einer Unterrichtsgarantie sichern und hierzu die Lehrerversorgung an unseren Schulen spürbar verbessern.“ Der Unterrichtsausfall wurde aber nicht reduziert, er wird lediglich intensiv und täglich gemessen.

Maßnahmenpakete sollten den Mangel an Lehrer*innen bekämpfen. Eine Werbekampagne sollte die Trendwende einläuten und es richten. In den derzeitigen Einstellungsverfahren gibt es jedoch stets neue Rekordzahlen der nicht besetzbaren Stellen. Bei den Grund- und Förderschulen kann nur bei der Hälfte der Stellen Vollzug gemeldet werden. Und auch hier öffnet sich die Schere, nimmt die soziale Schieflage zu, wenn man Städte und Stadtteile vergleicht. Die Behebung des Lehrkräftemangels war angekündigt, doch eklatanter Personalmangel steigert die Belastung in den Kollegien weiter.

Verlässlich ist anders

Viereinhalb Jahre alt ist dieses Versprechen: „Wir wollen die besoldungsrechtlichen Konsequenzen aus der Reform der Lehrerausbildung aus dem Jahr 2009 ziehen.“ Allen aktuellen Interpretationsversuchen zum Trotz: Yvonne Gebauer hat mit diesem Satz im Oktober 2017 die Korrektur der in Teilen verfassungswidrigen Besoldung in NRW angekündigt, das heißt A13Z beziehungsweise EG13 zum Einstieg für alle Lehrer*innen.

Daher ist es letztlich ein Skandal, dass die GEW NRW die Forderung nach gleicher Bezahlung bei gleichwertiger Arbeit im Landtagswahlkampf 2022 noch immer in den Mittelpunkt stellen muss. Sagen, was man tut. Tun, was man sagt. Eigentlich einfach, verlässlich zu regieren. Gleiches gilt für die Arbeitsbedingungen, die Reduzierung von Arbeitszeit und Arbeitsbelastung. Es gibt hier kein Erkenntnisdefizit, es gibt ein Umsetzungsdefizit. Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen hat sich eher ins Gegenteil gekehrt, Arbeitszeit und Arbeitsbelastung sind weiter gestiegen. Eine Verringerung muss gelingen. 

Dass diese gewerkschaftliche Bilanz schwarz-gelben Regierungshandelns gezogen werden muss, ist schlimm. Schlimmer noch ist aber, dass die Unterfinanzierung des Bildungssystems, die soziale Schieflage und der Personalmangel zum Erbe der Landesregierung gehören. Strukturelle Defizite haben eine lange Tradition in NRW. Man wähnt sich in einer Zeitschleife. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Landesregierung – egal in welcher Konstellation – diese Defizite endlich engagiert, vor allem aber wirksam bekämpft. Mehr für Bildung ist zwingend erforderlich und machbar.