lautstark. 07.04.2025

Lehramtsausbildung für berufsbildende Schulen

FachkräftemangelAusbildungWeiterbildung

Von der Defensive in die Offensive: Eigenständigkeit etablieren!

Seit über zehn Jahren beteiligen sich die Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) an der Lehrer*innenausbildung – bislang eher in der zweiten Reihe. Doch eine eigenständige Rolle für die HAW könnte gerade in Zeiten des Lehrkräftemangels eine starke Wirkung entfalten.

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2025 | Zwischen Mangel und Qualität: Bildung braucht Stabilität
  • Autor*in: Prof. Dr. Bernd Kriegesmann
  • Funktion: Präsident der Westfälischen Hochschule und Vorsitzender der LRK für Angewandte Wissenschaften e.V.
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Die Diagnose ist seit Jahrzehnten bekannt: An berufsbildenden Schulen kann der Bedarf an Lehrkräften gerade für die gewerblich-technischen und sozialpädagogischen sowie pflege- und gesundheitsbezogenen Fachrichtungen nicht gedeckt werden. Schon in der Vergangenheit konnten freie Stellen nicht oder nur stark verzögert besetzt werden. Ohne Seiteneinsteiger*innen wäre der Unterricht an vielen Berufskollegs wohl kaum mehr darstellbar. Die in den nächsten Jahren ausscheidenden Lehrer*innen der Babyboomer-Generation werden die Engpässe weiter verschärfen. Dazu kommen zunehmend herausfordernde Bedingungen an den Schulen, die die Attraktivität des Berufsbildes unter Druck setzen und die Fluktuation verstärken. Gleichzeitig werden die Perspektiven in der Wirtschaft immer attraktiver. Der Wettbewerb um talentierte Absolvent*innen wird intensiver.

Angesichts dieser kaum mehr infrage gestellten Ausgangssituation werden die Rufe nach konkreten Lösungen lauter. Letztlich geht es darum, mit gut ausgebildeten Lehrer*innen die duale Ausbildung weiter auf hohem Niveau zu sichern und die Voraussetzungen für Berufskollegs zu gewährleisten, die vielfältigen Qualifikationsebenen bis zur allgemeinen Hochschulreife zu gestalten. Die seit Jahren dominant diskutierten Ansätze zur Überwindung der Engpässe atmen allerdings eher den Geist des Prinzips Hoffnung. Man müsse nur die Kommunikation intensivieren, dann würde die Zahl der Studienanfänger*innen schon steigen. Spürbare Effekte bleiben allerdings bis heute aus. Offensichtlich braucht es Mut und politischen Willen, wirklich neue Wege zu gehen.

Bestehende Hürden weiter abbauen

Hinweise auf einen dauerhaften Lösungsbeitrag gibt ein Weg, der vor mehr als zehn Jahren in NRW eingeschlagen wurde. Ohne das Primat der Lehramtsausbildung an Universitäten aufzugeben, wurde die Kooperation mit den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) ausgeweitet. Eine wichtige Variante ist dabei, aufbauend auf einem fachwissenschaftlichen Bachelor-Studiengang den Zugang zum Master of Education an einer Universität zu erlangen. Voraussetzung ist, dass während des Bachelorstudiums zusätzliche Seminare zum Lehramt sowie ein Praktikum am Berufskolleg absolviert werden.

Das hat durchaus zu positiven Effekten gerade im gewerblich-technischen Bereich geführt, weil so an HAW eine Klientel adressiert werden kann, die aufgrund der formalen Zugangsvoraussetzungen ein Studium an der Universität oft gar nicht aufnehmen könnte. In der Umsetzung wird aber auch deutlich, dass der Übergang von der HAW zur Universität von vielen potenziellen Lehramtsstudierenden nicht gewählt wird, weil man einen „Systemwechsel“, aber auch einen räumlichen Wechsel oft scheut. Wenn dann noch attraktive Alternativen in der Wirtschaft locken, schränkt jede subjektiv wahrgenommene Hürde die Erschließung dieses Potenzials ein.

Insofern reicht dieser wirklich richtige Schritt allein nicht aus. Bestehende Hürden müssen weiter abgebaut werden, um breiter die Zielgruppe der Studierenden mit Fachhochschulreife, aber auch derer, die sich bereits für ein fachwissenschaftliches Studium an einer HAW entschieden haben und sich umorientieren könnten, zu erschließen. Folgerichtig hat der Koalitionsvertrag von CDU und Grünen in Nordrhein-Westfalen die Realisierung einer eigenständigen Lehramtsausbildung für berufsbildende Schulen an HAW aufgegriffen. 

Unerschlossene Potenziale in der Studierendenschaft adressieren

Was heißt aber eigenständige Lehramtsausbildung für berufsbildende Schulen an HAW? Derzeit lässt der gesetzliche Rahmen in NRW die Umsetzung eines Lehramtsstudiengangs nur federführend durch eine Universität zu. Auch in den bestehenden Kooperationsmodellen mit HAW vergibt die Universität den Abschluss. Der Master of Education ist dabei Zugangsvoraussetzung für den Vorbereitungsdienst im Rahmen der Lehramtsausbildung. 

Damit wird klar, dass – immer ergänzend zu den bestehenden Kooperationsmodellen – eine eigenständige Lehramtsausbildung an den HAW eine Übernahme aller Aufgaben bis zum Vorbereitungsdienst beinhaltet, und zwar unabhängig von einer Beteiligung durch Universitäten. Dabei soll eine Fokussierung auf die zentralen Engpassfächer erfolgen, insbesondere auf die gewerblich-technischen Fachrichtungen. Mit diesem Ansatz sollen die bislang unerschlossenen Potenziale für das Lehramt besser adressiert werden. Das sind insbesondere

  • potenzielle Studienanfänger*innen mit Fachhochschulreife, denen direkt mit Studieneinstieg eine belastbare Lehramtsperspektive ohne „Umweg“ über einen fachwissenschaftlichen Bachelor und ohne Zwang zum Wechsel des Studienorts geboten werden kann,
  • potenzielle Studienanfänger*innen, die in der Fläche angesprochen werden und den Wohnort für ein Studium nicht wechseln wollen,
  • Studierende in fachwissenschaftlich ausgerichteten Studiengängen an HAW mit Umorientierungsinteresse in einen Lehramtsstudiengang.

Der Ansprache dieser Zielgruppen über eine eigenständige Rolle von HAW kommt insbesondere vor dem Hintergrund besondere Bedeutung zu, dass Ingenieur*innen mehrheitlich an diesem Hochschultyp ausgebildet werden, vielfach ihre Hochschulzugangsberechtigung an Berufskollegs erworben haben und entsprechend diesen Schultyp gut kennen. Dazu kommt, dass an HAW hohe Anteile an Erstakademiker*innen und jungen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ihr Studium aufnehmen.

Neue Wege gegen die personellen Engpässe an berufsbildenden Schulen

In der Umsetzung des Studienangebots ist – unter Berücksichtigung der Standards der Kultusministerkonferenz (KMK), der Lehramtszugangsverordnung (LZV) und des Lehrerausbildungsgesetzes (LABG) – vorgesehen, jeweils eine große berufliche Fachrichtung mit einer verwandten, sogenannten kleinen Fachrichtung zu kombinieren, wie zum Beispiel Elektrotechnik mit Automatisierungstechnik. 

Viele Studieninteressierte haben eine große Affinität zu beruflichen Fachrichtungen – zum Beispiel durch eine Ausbildung und Berufserfahrung – und weniger zu den allgemeinbildenden Fächern. Mit dieser Ausrichtung wird zudem den bestehenden Engpässen an berufsbildenden Schulen Rechnung getragen. Zusammen mit den adressierten Zielgruppen würden die traditionellen Angebote des Lehramtsstudiums an Universitäten ideal ergänzt. 

Natürlich stellt sich – wie an den Universitäten auch – unmittelbar die Frage nach dem Ressourceneinsatz. Um auf einem qualitativ hohen Niveau ausbilden zu können, müssen Professuren etwa in den Bildungswissenschaften oder in Fachdidaktik eingerichtet werden. Um den erforderlichen Ressourcen- und Kompetenzaufbau vor dem Hintergrund der kleinen Studierendenkohorten effizient auszugestalten, sind regionale Kooperationen zwischen HAW vorgesehen. Insbesondere mit Blick auf die Betreuung der Praktika, des Praxissemesters sowie für die Phase des Übergangs nach dem Studienabschluss werden ohnehin bestehende Kooperationen mit den Berufskollegs der Region weiterentwickelt.

Wenn die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen sind, können die HAW schnell in die Umsetzung gehen. Die konkrete Ausgestaltung des Studienangebots könnte im Sinne des Lernens von in anderen Ländern im internationalen Raum umgesetzten Ausbildungsmodellen durchaus Reformen in der Lehramtsausbildung berücksichtigen – wenn der Akkreditierungsrat den Mut hat, neue Wege zuzulassen.

Innovativ und mit uneingeschränkter Qualität gegen den eskalierenden Fachkräftemangel

Natürlich rufen neue Wege auch die auf den Plan, die für sich allein die Kompetenz reklamieren, Lehrer*innen ausbilden zu können. Schnell werden vor allem normativ gesetzte Qualitätsargumente bemüht, ohne diese zu spezifizieren und ohne zu erwähnen, dass HAW schon seit Jahrzehnten erfolgreich in kooperativen Modellen in der Lehramtsausbildung aktiv sind – offensichtlich ohne die Qualität zu senken. Dass auch an HAW unabhängig von der Lehramtsausbildung Qualitätsmanagementsysteme etabliert sind, muss hier nicht ausgeführt werden. Und auch Mythen, dass die Abschlüsse an unterschiedlichen Hochschultypen zu unterschiedlichen Vergütungen der künftigen Lehrkräfte führen, halten dem Realitätscheck nicht stand. Nur wer Bologna verpasst hat, glaubt noch an diese Unterschiede.

Aus Sicht der Innovationsforschung überraschen derartige Reflexe überhaupt nicht. Widerstände sind stete Begleiter von Veränderungen. Anliegen der HAW ist aber nicht, die Konvergenz zwischen den Hochschultypen zu forcieren, sondern ein seit Jahrzehnten ungelöstes Problem angesichts des eskalierenden Fachkräftemangels anzugehen. Die Haltung „Das war schon immer so“ mit der daraus normativ abgeleiteten Implikation, dass es auch nicht anders gehen kann, muss angesichts der sich verschärfenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen überwunden werden. Nicht die Sorge vor Wettbewerb und Scheitern, sondern die Hoffnung auf Lösungsbeiträge sollte uns alle leiten.