lautstark. 26.09.2023

Personalmangel: Die Lage ist ernst, sehr ernst

LehrkräftemangelBelastungFachkräfte in der SchuleingangsphaseSchulsozialarbeitChancengleichheit

Belastungsfaktor Personalmangel an Schulen

Bildungsnotstand: In NRW und deutschlandweit fehlt pädagogisches Personal an Schulen. Müssen wir uns etwa daran gewöhnen, dass Mangelverwaltung und Unterrichtsausfall wie der Gong zur Pause zum Schulalltag gehören? Umfragen und Statistiken zeigen: So kann es nicht weitergehen!

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  • Ausgabe: lautstark 05/2022 | Belastungen reduzieren: Weil zu viel zu viel ist
  • Autor*in: Sherin Krüger
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

6.715 Kolleg*innen fehlen zum Start ins Schuljahr 2023/2024 an NRWs Schulen.

Zum Vergleich: Das sind rund 2.000 unbesetzte Stellen mehr als vor einem Jahr. Aber hey, mitten im Schuljahr 2022 / 2023 fehlten auch schon einmal 8.000 Kolleg*innen. Allein 4.753 unbesetzte Stellen gibt es zum Stichtag 1. Juni 2023 in den Regierungsbezirken Düsseldorf und Arnsberg, zu denen auch die größten Sorgenkinder im Ruhrgebiet zählen. Deshalb hat sich die Landesregierung mit zwei Stiftungen zusammengetan und ein Programm entwicklet: das „Lehramtsstipendium Ruhr – Deine Region. Deine Chance.“

140 Studierende sollen mit dem Stipendium im Bachelor finanziell unterstützt und auf den herausfordernden Einsatz vorbereitet werden. Den Schüler*innen, die zum Beispiel in Essen aktuell auf rund 470 Kolleg*innen verzichten müssen, wünschen wir, dass sie noch etwas davon haben, wenn in etwa fünf Jahren die ersten Absolvent*innen in den Vorbereitungsdienst an ihren Schulen starten. Ob mit besserer Vorbereitung in der Ausbildung die Belastung im Job sinken wird? Wir sind gespannt auf die Statistiken!

Wie sieht es regional aus? Es fehlen zum Beispiel ...

  • 28 Kolleg*innen in Münster
  • 87 Kolleg*innen in Bielefeld
  • 180 Kolleg*innen in Köln
  • 183 Kolleg*innen in Gelsenkirchen
  • 214 Kolleg*innen in Dortmund
  • 431 Kolleg*innen in Duisburg

Wie steht es um den Nachwuchs?

6.542 Absolvent*innen schlossen laut Wissenschaftsministerium NRW ihr Lehramtsstudium im Prüfungsjahr 2022 erfolgreich ab. Das sind rund 7 Prozent weniger als zehn Jahre zuvor.*

Wie gehören Mangel und Belastung zusammen?

Die Robert Bosch Stiftung und Forsa befragen für „Das Deutsche Schulbarometer“ regelmäßig Lehrer*innen und Schulleitungen in ganz Deutschland zu unterschiedlichen Schwerpunktthemen. Im April 2022 ging es um die Belastung von Lehrkräften: Eine überwältigende Mehrheit der Befragten gab an, das Kollegium (92 Prozent) und sich selbst (84 Prozent) als stark oder sehr stark belastet zu erleben. Für über drei Viertel der Lehrkräfte sei Wochenendarbeit die Regel und für die Mehrheit eine Erholung in der Freizeit kaum noch möglich. Die Schulleitungsumfrage im November 2022 belegte den Zusammenhang zwischen Schulpersonalmangel und der Arbeitsbelastung gleichermaßen.

Was sind weitere Treiber für die  Belastungssituation an Schulen?

Es sind nicht nur fehlende Lehrkräfte, die die Kollegien an ihre Belastungsgrenzen treiben. An NRWs Schulen fehlen Beschäftigte mit Professionen, die die multiprofessionellen Teams komplett machen oder die in der Verwaltung unterstützen. Zwar wurden zum Schuljahr 2023 / 2024 mehr Stellen geschaffen, aber damit sind längst nicht alle Schulen versorgt – unter anderem weil die Stellen nicht besetzt werden können: Laut Schulministerium waren von 289 Stellen für Schulpsycholog*innen im Landesdienst zum Stichtag 1. Januar 2023 insgesamt 237 Stellen besetzt und auch bei den sozialpädagogischen Fachkräften in der Schuleingangsphase ist die Quote mit rund 2.600 besetzten von insgesamt rund 2.700 Stellen positiv.**

Schlechter sieht es bei den Schulverwaltungsassistenzen aus: Bis 1. Juli waren von 824 Stellen im Haushaltsjahr 2023 nur 305 besetzt. Im Gemeinsamen Lernen fehlte zum Stichtag 1. Juni 2023 Personal im Umfang von rund 1.250 Stellen an allgemeinbildenden Schulen und etwa 794 Stellen an Förderschulen. Dass die Kolleg*innen dringend gebraucht werden, zeigen die Angaben von Lehrer*innen zur Entwicklungen bei Verhaltensweisen von Schüler*innen für „Das Deutsche Schulbarometer“ im Juni 2023: Mehr als drei Viertel der Lehrkräfte beobachten Konzentrationsprobleme (81 Prozent) und einen übermäßigen Onlinegebrauch (79 Prozent), es folgen Motivationsprobleme (70 Prozent), Ängste (31 Prozent) und aggressives Verhalten (27 Prozent).

Deutsches Schulbarometer 2022

Herausforderung Personalmangel

Für zwei Drittel der Schulleiter*innen war laut Umfrage für „Das Deutsche Schulbarometer“ im November 2022 das fehlende pädagogische Personal die größte Herausforderung. An sozial benachteiligten Standorten sagten dies sogar 80 Prozent. Erst mit großem Abstand folgten weitere Gründe.

Weniger Teilzeit als Lösung für den Personalmangel?

CDU-Bildungsministerin Dorothee Feller bringt Ende 2022 das Handlungskonzept Unterrichtsversorgung für alle Schulformen in NRW auf den Weg. Ein viel diskutierter Vorschlag darin ist die intensive Prüfung von Teilzeitanträgen: „Durch die Ankündigung der Schulministerin, Teilzeitanträge auch abzulehnen, sind einige so verzweifelt, dass für sie die einzige Option ist, den ganzen Schulbereich zu verlassen. Im Jahr 2022 haben diesen Schritt fast 300 verbeamtete Lehrkräfte getan.“ So heißt es in einer Kleinen Anfrage vom 30. Juni 2023 der Landtagsabgeordneten Dilek Engin, SPD.

„Die aktuelle Situation des Lehrkräftemangels bedeutet für die Kolleg*innen vor Ort eine immense Mehrbelastung. Denn die vorhandene Arbeit sowie die zusätzlichen Aufgaben müssen von (zu) wenigen Schultern getragen werden. Neben der Minderung der Qualität bedeutet der Lehrkräftemangel vor allem eine Einschränkung von Lebens-und Verwirklichungschanchen von Kindern und Jugendlichen, weil herkunftsbedingte Benachteiligungen in einem Mangelsystem noch weniger aufgefangen werden können. Bereits vorhandene soziale Ungleichheiten werden vielmehr verschärft und Chancenungleichheit verstetigt.“

Ayla Çelik
Vorsitzende der GEW NRW

Mehr Infografiken zum Thema gibt es in der lautstark. 05/2023.
 

* Nachgefragt beim Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW, eine Sprecherin (Stand 04.10.2023): Eine mögliche Erklärung [der rückläufigen Zahlen] liegt beispielsweise in der schwierigen Vergleichbarkeit zwischen den Staatsexamensabschlüssen und dem jetzigen Bachelor/Master-Modell. (...) Ein weiterer Erklärungsansatz sind die individuellen Verzögerungen im Studienablauf der Studierenden während der Corona-Pandemie und einer damit einhergehenden längeren Verweildauer im Studium. Dies lässt sich vor allem an den Bachelorabsolvent*innen erkennen. Im Vergleich zum Jahr 2020 (6.881) lagen die Absolvent*innenzahlen in 2021 (8.493) und 2022 (7.883) deutlich darüber. Diese möglicherweise vorliegenden Verzögerungen beim Übergang vom Bachelor in den Master im Zuge der Corona-Pandemie führen eventuell auch zu Schwankungen bei den derzeitigen Masterabsolvent*innen.

** Nachgefragt beim Ministerium für Schule und Bildung NRW, Pressestelle (Stand 28.09.2023): Die landesweite Personalausstattung der Schulen wird in Nordrhein-Westfalen jeweils zum 1. Juni und zum 1. Dezember eines Jahres erfasst. Am 1. Juni 2023 fehlten demnach Lehrkräfte und weiteres an den Schulen tätiges Personal im Umfang von insgesamt rund 6.700 Stellen, (...). 

Schulverwaltungsassistenzen: Im Haushaltsjahr 2023 stehen insgesamt 824 Stellen für Schulverwaltungsassistenzen zur Verfügung, von denen mit Stand vom 1. Juli 2023 insgesamt 305 Stellen besetzt waren.
Schulsozialarbeit: Um Prävention und Intervention an den Schulen zu stärken, wurden die Schulpsychologie und die Schulsozialarbeit in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut. Auf Grundlage der einschlägigen Erlasse wird die Schulsozialarbeit insgesamt mit rund 1.600 landeseigenen Stellen dauerhaft in den Schulen gewährleistet. (...) Allein über diese Landesförderung werden so rund 1.200 Vollzeitstellen in kommunaler Verantwortung ermöglicht. Aufgrund der komplexen Aufgabenteilung zwischen Land, Kommunen und freien Trägern der Jugendhilfe in der Schulsozialarbeit ist die landesweite Stellenbesetzung der fast 3.000 Stellen auf die Schnelle nicht ohne Weiteres zu ermitteln.
Schulpsychologie: (...) Von den landesweit insgesamt 464 Stellen für Schulpsychologinnen und Schulpsychologen werden 289 im Landesdienst und 175 Stellen im kommunalen Dienst vorgehalten. Allein im Landesdienst waren mit Stichtag vom 01. Januar 2023 insgesamt 237 Stellen besetzt. Dabei ist zu berücksichtigen: Die Landesregierung hat in den vergangenen Jahren insgesamt 108 neue Stellen für die Schulpsychologie geschaffen, die nach und nach besetzt werden. (...)
Sonderpädagog*innen: Im Gemeinsamen Lernen an den allgemeinbildenden Schulen fehlte zum Stichtag 1.Juni 2023 Personal im Umfang von rund 1.250 Stellen. An Förderschulen fehlte zum selben Stichtag Personal im Umfang von rund 794 Stellen. Um sowohl das Gemeinsame Lernen als auch das Lernen an den Förderschulen künftig deutlich zu stärken, sind seit 2018 bereits über 500 weitere Bachelor-Studienanfängerplätze in der Sonderpädagogik geschaffen bzw. gesichert worden. (...) Um zukünftig die Zahl der Absolventinnen und Absolventen der Studiengänge für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung in verschiedenen Fachrichtungen zu erhöhen, wird derzeit ein weiterer Ausbau der Studienanfängerplätze geprüft. (...)