102 Lehrer*innenstellen sind an Duisburger Grundschulen zum Schuljahresbeginn 2017/2018 ausgeschrieben (85 für Grundschullehrer*innen und 17 für Sonderpädagog*innen im Gemeinsamen Lernen). Zum 1. Mai 2017 konnten 18 von 84 Stellen besetzt werden. Zum Sommer plant die Bezirksregierung Abordnungen aus benachbarten Schulämtern nach Duisburg, doch das wird nicht reichen, um alle Stellen zu besetzen. Die Zahlen der Absolvent*innen des Vorbereitungsdienstes in NRW für die kommenden Jahre belegen, dass nicht einmal die Hälfte der benötigten Stellen besetzt werden können. Die Situation ist so katastrophal wie seit Jahrzehnten nicht.
Duisburger Grundschulen unterrichten nach Minimalplan
In der Praxis wirkt sich der Lehrer*innenmangel vor allem auf das Unterrichtsangebot für die Kinder aus. An den meisten Duisburger Grundschulen kann nur noch der sogenannte Minimalplan unterrichtet werden, also die gesetzlich festgelegte Mindeststundenzahl an Unterricht. Zusätzliche Fördermaßnahmen und Arbeitsgemeinschaften sind weitgehend gestrichen. Selbst die dringend notwendige Sprachförderung für Kinder von Geflüchteten findet nicht mehr überall statt.
Kommt es zu kurzfristigen Ausfällen der Lehrkräfte durch Krankheit, fällt auch der Unterricht aus. Eine Vertretungsreserve gibt es nicht. Bei längerfristigen Ausfällen – beispielsweise durch eine Elternzeit – stehen keine ausgebildeten Lehrer*innen mehr zur Verfügung. Dann müssen Seiteneinsteiger*innen aushelfen. Die sind zwar oft bemüht, den Anforderungen gerecht zu werden, doch in der Regel fehlt ihnen grundschulspezifische Didaktik und Methodik.
Die Kinder lernen so gut es geht, doch von qualifiziertem Unterricht kann oft nicht mehr gesprochen werden. Bleibt es bei diesem gekürzten und zum Teil mangelhaft qualifizierten Unterrichtsangebot der Duisburger Grundschulen – und diese Situation dauert schon ein Jahr lang an – droht den Duisburger Grundschulkindern ein Qualitätsverlust, der sich in ihrer Bildungslaufbahn bemerkbar machen wird.
Hochqualifizierte Lehrkäfte fehlen in sozial benachteiligten Stadtteilen
Diese Situation wirkt sich an Schulen in sozial benachteiligten Stadtteilen wie Marxloh und Hochfeld noch einmal ganz besonders aus, denn dort bewerben sich schon seit Langem keine Lehrer*innen mehr. Wo es kaum noch Kinder mit deutscher Herkunftssprache gibt und wo der dringendste Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften besteht, muss ebenfalls mit minimalem Plan und wenig qualifiziertem Personal gearbeitet werden.
Ein Schulleiter berichtet aus seinem Alltag: „Wir arbeiten im Moment mit zwei ungelernten Kolleginnen, einer DaZ-Kraft ohne Lehramt-Ausbildung und einem Diplom-Designer als Seiteneinsteiger. Drei Stellen für Grundschullehrer*innen und eine für Sonderpädagog*innen sind zurzeit zum wiederholten Mal ausgeschrieben.“ Für eine gelingende Integration benötigen gerade Kinder von Zuwanderern bestmögliche Sprachförderung und eine qualifizierte schulische Bildung – das können die Kolleg*innen in der aktuellen Situation kaum gewährleisten. Es liegt im Interesse der zukünftigen Gesellschaft, gerade benachteiligten Kindern heute bestmögliche Bildung zu ermöglichen. Der Lehrer*innenmangel aber gefährdet das Ziel.
Schulleitungsstellen bleiben unbesetzt
Darüber hinaus gibt es in Duisburg – und landesweit – kaum noch Bewerber*innen auf Schulleitungsstellen. Im März 2017 waren an Duisburger Grundschulen 33 Stellen nicht besetzt (11 Rektor*innen, 29 Konrektor*innen). Ein wesentlicher Grund ist, dass die Herausforderungen, die Leitungsaufgaben mit sich bringen, in keinem angemessenen Verhältnis zur Besoldung und Entlastung stehen. Zumindest Rektor*innen werden seit Kurzem nach A14 besoldet, was sich hoffentlich bald auf die Bewerber*innenzahlen auswirkt. Die Anpassung für Konrektor*innen in A13 wurde jedoch durch die alte Landesregierung versäumt und muss dringend nachgeholt werden.
Auch die Stundenentlastungen reichen trotz geringfügiger Anpassung bei Weitem nicht aus. Ein weitres Problem hat sich durch die Erfordernisse des Eignungsfeststellungsverfahrens ergeben, das alle Bewerber*innen durchlaufen müssen. So lange nicht kurzfristig genügend Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden, damit alle Bewerber*innen das Verfahren auch mitmachen können, werden die Stellen nicht besetzt.
Land muss Lehrkräftemangel entgegenwirken
Der Lehrkräftemangel lässt sich auf örtlicher Ebene nicht lösen. Dort arbeiten alle Beteiligten mit Hochdruck daran, den Mangel transparent zu verwalten. Auch der Bezirksregierung sind die Hände gebunden, solange die Vorgaben des Landes nicht ausgeweitet werden. Die bisherigen Maßnahmen – befristete Öffnung für Sekundarstufe-II-Bewerber*innen, Öffnung des Seiteneinstiegs ohne ausreichende berufsbegleitende Qualifizierung sowie Abordnungen aus benachbarten Schulämtern – werden nicht ausreichen. Folgende Maßnahmen sind kurzfristig notwendig:
- zentral gesteuertes landesweites Einstellungs- und Zuweisungsverfahren und Aussetzung des schulscharfen Einstellungsverfahrens, bei dem sich Bewerber*innen selbst auf ausgeschriebene Stellen bei den Schulen bewerben
- Gewährung von Zulagen für Lehrer*innen, die sich an Duisburger Grundschulen bewerben
- Öffnung der Lehrer*inneneinstellung an Grundschulen für Bewerber*innen aller Schulformen und -stufen als dauerhafte Perspektive mit angemessener berufsbegleitender primarstufenspezifischer beziehungsweise sonderpädagogischer Nachqualifizierung
- Öffnung der Lehrer*inneneinstellung an Grundschulen für Seiteneinsteiger*innen unter der Voraussetzung eines Hochschul- oder Fachhochschulabschlusses in einem grundschulrelevanten Fach als dauerhafte Perspektive mit angemessener berufsbegleitender Qualifizierung als Grundschulschullehrer*innen
- Einführung der Besoldungsstufe A 13 als Einstiegsgehalt für alle Grundschullehrer*innen
- vollständige Kapitalisierung der Lehrer*innenstellenanteile im Offenen Ganztag auf Antrag der jeweiligen Schulkonferenz an Duisburger Grundschulen, damit Lehrer*innenstellen für Unterricht verwendet werden können und im Offenen Ganztag anderweitig qualifiziertes Personal beschäftigt werden kann
- mehr Studienplätze für die Lehrämter Primarstufe und Sonderpädagogik an den Hochschulen in NRW
An dieser Stelle ist die neue Landesregierung gefordert, diese Maßnahmen kurzfristig umzusetzen. Es kann und darf nicht sein, dass eine Schüler*innengeneration abgehängt wird.
Redaktioneller Hinweis: Dieser Text ist Teil einer umfassenden Serie zum Thema Lehrkräftemangel in NRW, der in den kommenden Wochen von unterschiedlichen Standorten und aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird.