lautstark. 26.09.2023

Hochschule: Wenn der Traumjob zum Albtraum wird

BelastungHochschullehreWissenschaft und Forschung

Belastungen am Arbeitsplatz Wissenschaft und Forschung

Neues Wissen schaffen und mit interessierten Kolleg*innen, von Studierenden bis zu Professor*innen, diskutieren, um es mit der Gesellschaft zu teilen – ein Traumjob. Doch leider hat die Arbeit in Wissenschaft und Forschung eher Albtraumpotenzial. Was die Beschäftigten am meisten belastet, ist die Prekarität. Und die hat viele Facetten.

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  • Ausgabe: lautstark. 05/2023 | Belastungen reduzieren: Weil zu viel zu viel ist
  • Autor*in: Mia Feldmann, Frédéric Falkenhagen
  • Funktion: ehrenamtliche Expert*innen der GEW NRW für Hochschule und Forschung
Min.

Bis weit über den 40. Geburtstag hinaus sind befristete Arbeitsverträge für Beschäftigte in Wissenschaft und Forschung die Norm und eine unbefristete Anstellung ist ein seltenes Privileg. Die durchschnittliche Vertragslaufzeit ist auch nach den Verbesserungen der vergangenen Jahre kurz und schafft es nur nach und nach, die Grenze von einem Jahr zu überschreiten. Auch bleibt die formale Unterbeschäftigung bei realer Überarbeitung ein dauerhaftes Problem. „Halbe Stelle bezieht sich auf die Bezahlung, nicht auf die Arbeitsleistung.“ Dass Vorgesetzte ihre Mitarbeiter*innen mit diesem Spruch empfangen und eine Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft bei nomineller 20-Stunden-Woche erwarten, ist so alltäglich, dass niemand auch nur nach den Namen der Beteiligten fragt.

Die komplette Entgrenzung von Berufs- und Privatleben sowie die hohe zeitliche und räumliche Flexibilität sind Teil des Berufsbilds in Forschung und Lehre, jedoch ist die emotionale Belastung einer erzwungenen Mobilität und Dauerverfügbarkeit nicht zu vergleichen mit der forschenden Wanderschaft und der Freiheit, auch außerhalb des Arbeitsplatzes Entdeckungen zu machen. Dies ist insbesondere für Bildungsaufsteiger*innen fatal: Sie befinden sich in einem System, in dem sie keine Chance haben, sich persönlich und selbstbestimmt weiterzuentwickeln sowie zu emanzipieren, weil sie die subtilen und impliziten Regeln des Wissenschaftsbetriebs mangels Erfahrung nicht zu ihrem Vorteil zu nutzen wissen.

Arbeitsbedingungen bedrohen die psychische Gesundheit

Die Prekarität schafft Zwänge, die sich auf die psychische Gesundheit der Beschäftigten und die Qualität von Forschung und Lehre niederschlagen. Eine halbe Stelle, wie sie häufig für Promovierende üblich ist, bedeutet in quasi allen Hochschulstädten ein kaum ausreichendes Einkommen. Außerdem und doppelt fatal: Die erwartete Arbeitsleistung verhindert einen Nebenerwerb. Die kurzen Vertragslaufzeiten fokussieren kurzfristiges Handeln und verhindern ambitioniertere Forschungs- oder Lehrprojekte, wenn für sie keine entsprechenden externen Geldgeber begeistert werden können. Es besteht eine durchgängige Abhängigkeit von einzelnen Personen, da Betreuung und Begutachtung von Qualifizierungsarbeiten im Regelfall derselben Person zufallen, die auch Fachvorgesetzte*r ist.

Diese Person beeinflusst maßgeblich die Chance auf einen Anschlussvertrag, was Angstszenarien ermöglicht, die der psychischen Gesundheit abträglich sind – selbst wenn sie nicht eintreten. Am Ende leidet auch das private Leben erheblich, da sich jede Handlung auf das wissenschaftliche Überleben fokussiert und sowohl Familie als auch gesellschaftliches Engagement als erhebliche Risikofaktoren eingestuft werden. Von einer Familienplanung, die durch Optionen geprägt sein sollte, ganz zu schweigen, denn Sicherheiten bieten sich auch dafür in der Wissenschaft in der Regel – insbesondere für Frauen – keine.

Politischen Gestaltungswillen wiederentdecken

Die Wege aus dieser prekären Situation sind leider überschaubar. Noch immer gibt es kaum Personalentwicklungskonzepte an den Hochschulen, die dauerhafte Karriereperspektiven jenseits der Professur ermöglichen. Berufungsverfahren für Professuren ziehen sich immer wieder über weit mehr als ein Jahr und erfordern selbst von jenen, die erfolgreich die Todeszone des Wissenschaftsbetriebs durchschritten haben, eine besondere Ausdauer, die nicht selten kurz vor dem Ziel noch einen Antrag auf Arbeitslosengeld I oder Bürgergeld beinhaltet. Viele der problematischen Entwicklungen sind der Bundesebene zuzuordnen, etwa das Wissenschaftszeitvertragsgesetz und die überbordende Drittmittelfinanzierung. Dennoch hat die Landespolitik Werkzeuge, um die Lage zu verbessern. Voraussetzung dafür ist jedoch die Wiederentdeckung des politischen Gestaltungswillens und der Steuerungs möglichkeiten, die trotz des historischen Fehlers des „Hochschulfreiheitsgesetzes“ verblieben sind.

So könnten zum Beispiel durch verbindliche Personalentwicklungskonzepte das Befristungsunwesen eingedämmt und bessere Verträge für Kolleg*innen in der Qualifikationsphase erreicht werden, die vor allem dem zeitlichen Umfang der eigenen Forschung gerecht werden. Die Ausdehnung der tariflichen Bezahlung auf alle Beschäftigten durch einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte ist ein weiterer Baustein, den die Landesregierung bereits versprochen hat. Bisher schreckt sie jedoch davor zurück, sich auch auf Bundesebene dafür einzusetzen. Auch muss der Status der Lehrbeauftragten besser geregelt werden und Dauerlehrbeauftragten ein Angebot für einen adäquaten Arbeitsvertrag gemacht werden. Schlussendlich sollte über das Dienstrecht angestoßen werden, die dienstrechtlichen und wissenschaftlichen Vorgesetztenfunktionen zu entflechten. Für die tatsächliche, endgültige Umsetzung sind dann die Hochschulen gefragt: Sie müssen ihre Struktur und ihre Promotions-, Habilitations- und Prüfungsordnungen verändern.