Gleich zu Beginn des Koalitionsvertrags bekennt sich die neue Landesregierung zur Wissenschaftsfreiheit. Was auf den ersten Blick als selbstverständlich erscheint, wirft auf den zweiten Blick durchaus Fragen auf. So wird in den weiteren Ausführungen die Wissenschaftsfreiheit darauf beschränkt, dass Anfeindungen und Angriffe auf Wissenschaftler*innen verurteilt werden und dagegen vorgegangen werden soll. Wissenschaftsfreiheit meint aber viel mehr: Zum einen beinhaltet sie die Möglichkeit, zu forschen, neue Erkenntnisse zu gewinnen und diese weiterzu- vermitteln, ohne dass staatliche oder nicht staatliche Stellen Einfluss auf die Forschung nehmen. Zum anderen muss sichergestellt werden, dass auch Versuche abgewehrt werden, das Konzept Wissenschaftsfreiheit in Anspruch zu nehmen, um kritische Forschung – beispielsweise zu Fragen von Diskriminierungsverhältnissen – zu diskreditieren, wie es aktuell immer wieder von rechten Parteien versucht wird. Das alles ist aus Sicht der GEW NRW unumstößlich. Wir hoffen, dass die Landesregierung sich auch hierzu bekennt, selbst wenn es im Koalitionsvertrag nicht explizit genannt wird.
Dauerstellen für Daueraufgaben endlich umsetzen
Als GEW setzen wir uns schon lange für mehr Dauerstellen an Hochschulen ein. Die neue Landesregierung verspricht nun eine „verlässliche Umsetzung des Zukunftsvertrags Studium und Lehre stärken und […] eine dynamisierte Grundfinanzierung in der Nachfolgevereinbarung“. Hierdurch soll der finanzielle Rahmen für mehr Dauerstellen geschaffen werden. Dieses Bekenntnis begrüßt die GEW NRW ausdrücklich. Positiv zu bewerten ist ebenfalls, dass der Koalitionsvertrag sich auch an anderer Stelle für planbarere Karrierewege gerade in der Postdoc-Phase ausspricht. Ein reines Bekenntnis der Landesregierung zu mehr Dauerstellen reicht allerdings nicht aus, um den von uns immer wieder angemahnten Missstand zu beheben.
Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass die Arbeitgeber in der Wissenschaft ihre Spielräume bei Weitem nicht genutzt haben. Hier brauchen wir künftig keine Selbstverpflichtungen und Appelle mehr, sondern eine Zweckbindung der entsprechenden Mittel verbunden mit einer gesetzlichen Regelung. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass nicht lediglich der Anteil der unbefristeten Hochdeputatsstellen „Lehrkraft für besondere Aufgaben“ an den Hochschulen steigt.
Auch das Versprechen, dass die Landesregierung sich dafür einsetzen will, dass Vertragslaufzeiten von Promotionsstellen vermehrt an die gesamte Promotionszeit geknüpft werden sollen, ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Gleichzeitig bedarf es auch hier einer gesetzlichen Regelung, alleine ein Bekenntnis dazu genügt nicht. Das Gleiche gilt für den Dialog „mit der Wissenschaft“ zur Schaffung attraktiverer Karrierewege in der Forschung. Zu einem solchen Dialog wird im Koalitionsvertrag lediglich angeregt, ohne dabei weiter auszuführen, wie und mit wem dieser stattfinden soll. Die GEW NRW ist gerne bereit, sich an diesem Dialog zu beteiligen und sich aktiv einzubringen.
Studienqualität verbessern
Richten wir unseren Blick aufs Studium, setzen sich die Versprechungen weiter fort. Seit Jahren weist NRW unter den Hochschulen in Deutschland die schlechteste Betreuungsrelation auf. Hier bedarf es dringend einer Verbesserung. Um dieses Ziel zu erreichen, verspricht die neue Landesregierung nun, unter anderem die Qualitätsverbesserungsmittel zu erhöhen. Die konkrete Umsetzung bleibt auch hier abzuwarten. Die im Koalitionsvertrag zugesagte Stärkung der Studierendenwerke und die Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum für Studierende begrüßen wir.
Gebäude sanieren und TVStud einführen
Der Sanierungsstau an den Hochschulen in NRW beläuft sich auf über sechs Milliarden Euro. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Landesregierung eine Modernisierung und Sanierung der Hochschulen verspricht. Bis 2035 sollen die Hochschulen in NRW möglichst klimaneutral werden. Ein hehres Versprechen, das sich bisher in den Haushaltsentwürfen aber noch nicht widerspiegelt. Gerade in der aktuellen Energiekrise zeigt sich an vielen Hochschulen die nachhaltig mangelhafte Bausubstanz. Es besteht ein enormer Bedarf, hier nachzubessern. Des Weiteren kündigen die Koalitionäre an, dass NRW sich für eine Eingruppierung von studentischen Hilfskräften in den Tarifvertrag der Länder (TVStud) einsetzen wird. Dies entspricht der langjährigen Forderung der GEW NRW. Inwieweit eine solche Aussage trägt, wird sich Ende 2023 in den anstehenden Tarifverhandlungen zeigen.
Konkrete Maßnahmen nicht benannt
Insgesamt lässt sich konstatieren, dass im Koalitionsvertrag für den Bereich Hochschule und Wissenschaft viele Themen abgearbeitet und viele Versprechungen gemacht werden. Sicherlich sind auch Zusagen, wie den akademischen Mittelbau an den Hochschulen für angewandte Wissenschaft zu stärken und eine verlässliche Finanzierung des „Promotionskollegs NRW“ sicherzustellen, ebenso positiv zu bewerten wie das Bekenntnis zu Inklusion, Diversität, Gleichstellung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Wissenschaft. Erneut werden aber keine konkreten Maßnahmen benannt, sodass erst die kommenden Jahre zeigen werden, was genau die Landesregierung plant und wie es umgesetzt wird. Wir als GEW NRW werden diesen Prozess kritisch, konstruktiv und aktiv begleiten.
Erwachsenenbildung
Weiterbildung im Koalitionsvertrag
Die GEW NRW begrüßt, dass im Koalitionsvertag der gesellschaftliche Wert der Weiterbildung hervorgehoben wird und alle Weiterbildungseinrichtungen gestärkt werden sollen. Auch wenn die Finanzierung der Weiterbildung noch weit hinter dem Ziel liegt, ein Prozent des Bildungsetats zu umfassen, ist es erfreulich, dass die leicht positive Entwicklung der vergangenen Jahre fortgesetzt und „an die Kostenentwicklung angepasst“ werden soll. Hier werden wir die Landesregierung beim Wort nehmen.
Denn ohne Steigerungen wird es kaum Tarifsteigerungen oder Steigerungen bei Honoraren geben, die annähernd die Kaufkraftverluste durch die Inflation ausgleichen. Zu den großen Themen Fachkräftemangel und prekäre Arbeitsbedingungen schweigt sich der Koalitionsvertrag allerdings aus. Freiberufliche und „arbeitnehmerähnliche“ Beschäftigte benötigen dringend eine deutliche Verbesserung ihrer Beschäftigungsverhältnisse, wenn sie eine attraktive Perspektive in der Weiterbildung haben sollen.
Niklaas Hofmann
Experte der GEW NRW für Erwachsenenbildung