Vor 75 Jahren wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet, am 29. Mai 1949 das Grundgesetz verabschiedet. In Artikel 1 heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Im November 2023 treffen sich in einem Hotel in Potsdam AfD-Politiker*innen, Neonazis und finanzstarke Unternehmer*innen; sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft, sind Ärzt*innen, Jurist*innen, Politiker*innen. Auch zwei CDU-Mitglieder sind darunter. Gemeinsam planen sie wie selbstverständlich die Vertreibung von Menschen aus Deutschland, sprechen von Remigration.
Daraufhin geht eine Protestwelle durch Deutschland: Alle sind entsetzt über so viel Rassismus und über die Entschlossenheit, Geschichte zu wiederholen. Doch längst ist Rassismus gesellschaftliche Realität. Trotz 75 Jahren Grundgesetz sind laut Mitte-Studie rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen mit völkisch-nationalem Narrativ in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Trotz 75 Jahren Grundgesetz grölen junge Leute auf Sylt rassistische Parolen in eine Handykamera und skandieren wie selbstverständlich „Deutschland den Deutschen“.
Ohne Bildung keine Demokratie – ohne Demokratie keine Bildung!
Parallel zu dieser Entwicklung beobachten wir, dass unsere Bildungseinrichtungen ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag schon seit Langem nicht mehr nachkommen können. Die Gründe sind schnell genannt: Jahrzehntelange bildungspolitische Fehlentscheidungen gepaart mit einer chronischen Unterfinanzierung sorgen dafür, dass notwendige Ressourcen nicht zur Verfügung gestellt werden und die Beschäftigten zu Mangelverwalter*innen gemacht werden. Der eklatante Lehr- und Fachkräftemangel verschärft die Bildungskrise und den sozialen Spalt, weil dort, wo Armut herrscht, der Mangel am größten ist. Als Bildungsgewerkschaft sind wir parteipolitisch unabhängig – das ist gut so, bedeutet aber nicht, dass wir wertneutral sind.
Die Gleichwertigkeit aller Menschen ist für uns handlungsleitend! Indem wir die politische Handlungskompetenz von Kindern und Jugendlichen stärken, erreichen wir, dass sie Extremist*innen nicht auf den Leim gehen, dass sie als Wähler*innen verantwortungsbewusst handeln und antisemitische, rassistische, frauenverachtende sowie queerfeindliche Positionen nicht den Zugang in die Parlamente finden. Auch deshalb stand unser Gewerkschaftstag unter dem Motto Bildung sichern: Demokratie stärken!. In Bochum sind wir zusammengekommen, um über unsere bildungspolitischen Forderungen für die nächsten Jahre zu sprechen. Dabei wurde der Fokus neben politischer Bildung, Chancengleichheit und Bildungsfinanzierung auf den Zusammenhang von Bildung und Demokratie gelegt. Wir können festhalten: Ohne Bildung keine Demokratie – ohne Demokratie keine Bildung!
Personalie
Neue stellvertretende Vorsitzende
Der Vorstand der GEW NRW begrüßt ein neues Teammitglied: Der Gewerkschaftstag hat Caroline Lensing zur neuen stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.
Bildungsgerechtigkeit ist der Gymnasiallehrerin aus dem Bezirk Düsseldorf äußerst wichtig – genau wie eine gerechte Bezahlung für alle Beschäftigten im Bildungsbereich. „Ich bin davon überzeugt, dass nur eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen den Fachkräftemangel in der Bildung beseitigen kann“, sagt Caroline Lensing. Seit 2011 setzt sie sich auch als Personalrätin für gute Arbeit ein. In der GEW NRW ist Caroline Lensing seit 2008 aktiv, zuletzt im Vorstand der GEW im Rhein-Kreis Neuss sowie in den Leitungsteams des Fachgruppenausschusses Gymnasium und des Bezirksvorstands Düsseldorf. Die GEW NRW zukunftsfähig zu machen, ist der 57-Jährigen ein wichtiges Anliegen: „Wir müssen attraktiver werden für junge Kolleg*innen und sie für unsere Anliegen begeistern.“ Seit Beginn gehört Caroline Lensing deshalb zur Kommission Generationenwechsel.
„Nie wieder!“ darf nicht nur ein Slogan bleiben, sondern muss unser aller Vermächtnis werden
Der Leitantrag mit dem Titel Bildung sichern: Demokratie stärken! fordert daher eine Loslösung des Bildungshaushaltes vom Landeshaushalt, um Bildung nachhaltig auskömmlich zu finanzieren, und fokussiert eine Stärkung politischer Bildung. Bildung und Demokratie sind zwei Seiten derselben Medaille, denn Demokratie ist nichts weniger als das Versprechen in eine gute Bildung! Und gute Bildung ist nichts weniger als die Voraussetzung zur gleichberechtigten Teilhabe und für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit, welches nur in einer Demokratie gelebt werden kann.
Wer also an Bildung spart, schwächt langfristig unsere Demokratie. Gerade in Anbetracht der gesellschaftlichen Destabilisierungstendenzen von rechts, dem Erstarken der AfD und der Zunahme rechter Tendenzen soll unser Leitantrag aus Bochum Weckruf und Mahnung gleichermaßen sein. Der Weckruf für die politischen Entscheider*innen, Bildung endlich krisen- und zukunftssicher aufzustellen und über gute Bildung den Destabilisierungstendenzen zu trotzen. Die Mahnung, nicht länger zu hadern, sondern mutig und entschlossen in gute Bildung zu investieren, um das Versagen des Bildungssystems abzuwenden und Demokratie am Leben zu erhalten. Damit „Nie wieder!“ nicht nur ein Slogan bleibt, sondern unser aller Vermächtnis wird.
Wir können den Anfängen nicht wehren, wenn wir gute Bildung – vor allem gute politische Bildung – nicht für alle Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrer sozialen Herkunft ermöglichen. Unsere nun gefassten Beschlüsse werden für uns handlungsleitend sein. Ihre Kernbotschaft ist: Die chronische Unterfinanzierung der Bildung und die politisch etablierte, geduldete Mangelverwaltung in unseren Bildungseinrichtungen sind nicht länger tragbar. Ob über unsere ehrenamtlichen Strukturen in den Stadtverbänden oder auf der Landesebene – wir werden wie gewohnt schlagkräftig unsere Themen in den politischen Diskurs einbringen. Auch deshalb ist es für uns unbedingt wichtig, im Bereich gewerkschaftlicher Gestaltungsmacht und des ehrenamtlichen politischen Engagements unser Potenzial zu stärken!
Die wichtigsten Beschlüsse
Klare Forderungen für zukunftsfähige Bildung
Mit den Beschlüssen des Gewerkschaftstags stellt die GEW NRW die Weichen für ihre politische Arbeit in den kommenden zwei Jahren. Zu den Kernthemen der Beschlüsse gehören Bildungsfinanzierung und Chancengleichheit.
Mit dem Beschluss Ungleiches ungleich behandeln, nicht nur auf dem Papier! fordert die GEW NRW eine eigene Haushaltsstelle für den schulscharfen Sozialindex. Damit der Sozialindex tatsächlich als Steuerungsinstrument wirken kann, sind über 2.000 zusätzliche Stellen nötig. Im aktuellen Haushalt stehen für die schulscharfe Steuerung jedoch noch nicht einmal 400 Stellen zur Verfügung. „Wer Ungleiches wirklich ungleich behandeln will, muss hier nachsteuern“, fordert Ayla Çelik von der Landesregierung. Soll der Sozialindex eine Maßnahme hin zu mehr Chancengleichheit sein, muss er im Haushalt deutlich gestärkt werden. Die Kapitalisierung unbesetzter Lehrer*innenstellen fordert der Beschluss mit dem Titel Kapitalisierung. Für unbesetzte Lehrer*innenstellen, sind im Haushalt Gelder hinterlegt. Diese sollen nach Auffassung der Bildungsgewerkschaft nicht in den gesamten Haushalt zurückfließen, sondern für die Schulen verwendet werden können. Aktuell fließen jährlich circa 450.000.000 Euro ungenutzt zurück – Geld, mit dem sich die nordrhein-westfälische Bildungslandschaft gut weiterentwickeln ließe. „Unbesetzte Stellen sollten nicht für Einsparungen herhalten“, warnt Ayla Çelik.
Leitbeschluss des Gewerkschaftstags 2024