Gesellschaft 28.04.2017

Gewerkschafter*innen trotzen Konflikten

BildungsgewerkschaftWissenschaft und ForschungInklusion

Treffen der GEW NRW mit Bildungsgewerkschaften aus Moskau und Donezk

Seitdem der Krieg im Osten der Ukraine ausgebrochen ist, herrscht Funkstille zwischen der GEW NRW und der Donezker Bildungsgewerkschaft. Nun haben sich die Gewerkschaften in Moskau getroffen.

  • Autor*in: Rike Müller
  • Funktion: im Leitungsteam der jungen GEW
  • Autor*in: Jan Rohwerder
  • Funktion: Mitglied der Fachgruppe HuF des Regionalverbands Aachen
  • Autor*in: Manfred Diekenbrock
  • Funktion: im Leitungsteam des Referats K Gewerkschaftliche Bildung
Min.

Im Rahmen der Städtepartnerschaft zwischen Düsseldorf und Moskau gibt es seit den 1990er Jahren freundschaftliche Beziehungen zwischen den lokalen Bildungsgewerkschaften, die von der GEW NRW und von der Abteilung Internationales der Bundesorganisation unterstützt werden. Bis 2008 gab es regelmäßig gegenseitige Besuche, bei denen Informationen ausgetauscht wurden und über die jeweilige gewerkschaftliche Arbeit berichtet wurde.

Ebenso lebendige Kontakte gibt es seit mehr als 25 Jahren zwischen den Bildungsgewerkschaften der Partnerstädte Bochum und Donezk in der Ukraine. Da auch die Moskauer und Donezker Gewerkschaften intensive Kontakte pflegen, hat sich bald eine gemeinsame Freundschaft zwischen NRW, Moskau und Donezk entwickelt. Leider sind die sehr stark von Ehrenamtlichen getragenen Kontakte in den vergangenen Jahren abgeflaut. Der Krieg im Osten der Ukraine und die Machtübernahme durch Separatist*innen in Donezk haben dazu geführt, dass alle Kontakte dorthin abgebrochen sind.

Umso erfreulicher ist es, dass die Initiative einer Gruppe um Benno Hammerschmidt, GEW Bochum, Dietger Rohwerder, GEW Düsseldorf, und Manfred Diekenbrock, im Leitungsteam des Referats K Gewerkschaftliche Bildung, zu einer Einladung nach Moskau in der Woche vor Ostern geführt hat. Im Auftrag des Landesverbandes sind Rike Müller, im Leitungsteam der jungen GEW, Jan Rohwerder, Mitglied der Fachgruppe HuF des Regionalverbands Aachen, und Manfred Diekenbrock zu Gesprächen über die Intensivierung der Zusammenarbeit nach Moskau gefahren.

Zukunft und Schulwesen Donezks hängen von einer neuen Generation ab

Im Moskau trafen die Vertreter*innen der GEW NRW auf eine Hochschuldelegation aus der „Volksrepublik Donezk“ und die Vorsitzende der Donezker Bildungsgewerkschaft Acja Gorschkowa. Die Gewerkschafterin berichtete der deutschen Delegation, dass sie ihre Funktionen auf der nationalen Gewerkschaftsebene der Ukraine verloren habe, nachdem sie sich entschieden hatte, in Donezk zu bleiben und ihre Arbeit unter der Herrschaft der Separatist*innen fortzusetzen.

Von den 1,2 Millionen Menschen, die vor dem Krieg in Donezk gelebt hätten, seien etwa 500.000 geflohen. Unter ihnen ist auch eine langjährige Freundin der GEW NRW Alla Fedorenko, die jetzt als Pensionärin mit ihrem Mann in Russland lebt. Zeitweilig sei in Donezk kein Schulbetrieb möglich gewesen, erzählte Acja Gorschkowa. Auch jetzt sei täglich der Donner von Geschützen zu hören. Die abtrünnige Stadt, die politisch von niemandem anerkannt wird, stehe unter dauerhafter Anspannung. Die Versorgung erfolge fast ausschließlich von Russland aus – einschließlich der Gehälter für Lehrer*innen und Dozent*innen –, die Mailkontakte enden auf .ru. Nach und nach werde die Produktion in Kohlezechen und einem Stahlwerk aufgenommen. Elena Andrienko, eine Philosophieprofessorin aus Donezk, erklärte, dass dennoch gerade junge Menschen bemüht seien, ein normales Leben zu führen. In der Innenstadt von Donezk seien Geschäfte, Theater, Universitäten und die Schulen geöffnet.

Und die Zukunft? Achselzucken. So recht kann sich niemand vorstellen, dass Donezk wieder ein Teil der Ukraine werden könnte. Zu groß seien die gegenseitigen Verletzungen. Da müsse, sagte Elena Andrienko, eine ganz neue Generation von Politiker*innen mit neuen Ideen heranwachsen. Donezk bleibt also eine Stadt im Ausnahmezustand.

In seiner Rede vor Gewerkschafter*innen aus dem Hochschulbereich bringt Jan Rohwerder auf den Punkt, was die deutsche Delegation bei diesem Besuch besonders bewegt: Gerade in Zeiten heftiger politischer Konflikte müssen Menschen, die pädagogisch arbeiten, im Gespräch bleiben, Fragen stellen und einander zuhören. Das ist während dieser Reise gelungen und macht Lust auf die weitere Zusammenarbeit.

Intensiver Austausch russischer und deutscher Gewerkschaften geplant

Die gemeinsame Zusammenarbeit ist auch für die Vorsitzende der Stadtorganisation Moskau der Gewerkschaft der Russischen Bildungsarbeiter*innen, Marina Ivanova, wichtig. Sie informierte bei dem Zusammentreffen in Moskau über die aktuellen Arbeitsschwerpunkte ihrer Organisation, die allein in Moskau über 300.000 Mitglieder hat. Unter russischen Bildungsarbeiter*innen gibt es einen hohen Organisationsgrad, weil die Gewerkschaft Aufgaben der Sozialversicherung wahrnimmt und damit in der Tradition der Gewerkschaften der Sowjetunion steht. Diese Tradition ist auch daran zu erkennen, dass die Gewerkschaft in die Administration der Bildungseinrichtungen eingebunden ist. Sie versteht sich selbst als unpolitisch und sieht sich den sozialen und tariflichen Belangen ihrer Mitglieder verpflichtet.

In den vergangenen Jahren sind pädagogische Fragen in den Fokus der Gewerkschaft gerückt. Denn die Mitglieder verlangen Unterstützung im beruflichen Alltag, fordern Fortbildung und Einsatz für gute Bildung und Ausbildung. Aktuelles Megathema: Inklusion! Marina Ivanova selbst und ihr Stellvertreter, Konstantin Guschewkin, leiten Kongresse und Seminare zu diesem Thema. Die deutsche Delegation lernte Trainerinnen kennen, die sich auch auf Fragen junger Gewerkschaftsmitglieder konzentrieren und gewerkschaftliche Bildung betreiben wie sie in Deutschland üblich ist. Die Moskauer Kolleg*innen sind deshalb sehr an einem Austausch interessiert, den sie bereits mit Bildungsgewerkschaften in Singapur, Finnland und Estland intensiv pflegen.

Im Mittelpunkt des Treffens steht die Frage: Wie kann eine Intensivierung der Kontakte aussehen? Um Bildungseinrichtungen und Konzepte der Partner*innen besser kennenzulernen, hat die Moskauer Bildungsgewerkschaft Lehrer*innen, die sich in der Jungen GEW engagieren, Plätze in einem Bildungscamp an der Schwarzmeerküste angeboten. Im Gegenzug haben die deutschen Gewerkschafter*innen eine Einladung im Herbst nach NRW ausgesprochen. Im nächsten Jahr ist eine Reise für GEW-Mitglieder nach Moskau geplant, die Schulbesuche, gewerkschaftliche Kontakte und ein touristisches Programm umfasst.