Im September 2018 wurden die Ergebnisse einer Studie zu den Rechtschreibleistungen von 3.000 Grundschulkindern in NRW vorgestellt. Ein Team aus Psycholog*innen um Prof. Dr. Una Röhr-Sendlmeier von der Universität Bonn belegt damit, dass der „systematische Fibelansatz“ zu einer besseren Rechtschreibung bei Schüler*innen in der Grundschule führt. Die Fachgruppe Grundschule der GEW NRW hat zu der bisher nicht veröffentlichten Studie viele Fragen.
Fibeln sind unterschiedlich in Methodik und Anwendung
„Auch, wenn die aktuelle Studie der Uni Bonn drei Methoden des Schreibenlernens in der ersten Klasse gegenüberstellt und eine vermeintliche Siegerin kürt, muss vor voreiligen Entscheidungen wie ‚zurück zur Fibel’ unbedingt genauer hingeschaut werden“, warnen Grundschulexpertinnen der GEW NRW.
Der Markt bietet unzählige Fibeln, die das Lesen- und Schreibenlernen nach unterschiedlichen Methoden erarbeiten. Bisher ist nicht bekannt, welche konkrete Methode mit welcher Fibel in der Studie angewandt wurde. Denn „die Fibel“ gibt es schlichtweg nicht.
Beschreibung der Studie wirft Fragen in Methodik und Vergleichbarkeit auf
Darüber hinaus müssen die Fragen erlaubt sein, ob die getesteten Klassen vergleichbar sind und für die Studie mit derselben Fibel und Methode gearbeitet haben. Im Detail wäre zu klären, ob die getestete Schüler*innenschaft vergleichbar ist in ihren Vorkenntnissen, in der Unterstützung des Elternhauses, nach den eigenen Leseaktivitäten sowie ihrer sozialen Herkunft.
Die Fibel ist ein Schulbuch für die erste Klasse. Da für die Studie Schüler*innen über mehrere Schuljahre getestet wurden, ergeben sich Fragen nach den Auswirkungen des Rechtschreibunterrichts in den Klassen 2 bis 4 oder dem Lehrkräfteeinsatz in den beteiligten Klassen – zum Beispiel bezogen auf Unterrichtsausfall, Lehrkräftewechsel oder Stundenumfang.
Fibelunterricht berücksichtigt Vorerfahrungen von Grundschüler*innen nicht
Nach Veröffentlichung einer Pressemitteilung zur Studie wird der Fibelunterricht in den Medien gelobt. Doch gerade dieser Unterricht, in dem alle Kinder zur selben Zeit am selben Buchstaben arbeiten, wurde von den Schulen abgeschafft. Er war mit vielen Misserfolgen und Frustrationen verbunden: Grundschüler*innen schreiben wochenlang Lautverbindungen wie „mi – ma – mu“. Die Kinder dürfen erst dann Wörter bilden, wenn sie alle erforderlichen Buchstaben „gelernt“ haben.
In anderen Fibeln werden Schüler*innen mit ganzen Wörtern konfrontiert, die jene überfordern, die Probleme mit der visuellen Wahrnehmung haben. Die unterschiedlichen Vorerfahrungen der Kinder konnten oft nicht angemessen berücksichtigt werden.
Heterogenität der Schüler*innen erfordert Methodenvielfalt an Grundschulen
Die vor Jahren in den Schulen beschlossenen Änderungen zum Lesen- und Schreibenlernen ab Klasse 1 waren pädagogisch begründet. Sie resultierten aus der Erkenntnis, dass Kinder sehr individuell lernen und der Unterricht ihre Individualität aufgreifen muss.
Die Heterogenität der Kinder erfordert eine Methodenvielfalt im Grundschulunterricht. Nur so werden individuelle Zugänge zur Schriftsprache für alle Kinder ermöglicht. Das wird von vielen Grundschulen in NRW aktuell erfolgreich praktiziert.
Handreichung des MSB sorgsam mit Expert*innen planen!
Auf Basis einer Pressemeldung ohne genaue Kenntnis der Studie der Universität Bonn voreilig die Abschaffung des bisherigen Rechtschreibunterrichts zu fordern ist fahrlässig. Für eine fundierte Auseinandersetzung mit der komplexen Materie „Schriftspracherwerb“ fehlen zum jetzigen Zeitpunkt Informationen zur Studie. Zu einer genauen Analyse gehören zum Beispiel die Rahmenbedingungen der beteiligten Klassen, die bisher nicht bekannt sind.
Deutschunterricht in der Grundschule ist wesentlich mehr als nur Rechtschreibung. Es ist zu hoffen, dass das Ministerium für Schule und Bildung NRW bei der angekündigten Handreichung zu diesem Thema die derzeitigen schlechten Bedingungen in den Grundschulen ebenso berücksichtigt wie Expert*innen aus der Schulpraxis und der Wissenschaft zum Deutschunterricht in der Grundschule hinzuzieht.