lautstark. 03.02.2025

Wie Sprache funktioniert

ChancengleichheitEntlastungMitbestimmung

Wandelbar und aushandelbar

Sprachliche Interaktion ist komplex: Wer wann was wie sagt – dahinter stecke eine Botschaft, sagt die Linguistin Kristin Kuck. Sie plädiert dafür, Sprache als Instrument zu sehen, das von Sprecher*innen für bestimmte Zwecke genutzt wird.

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  • Ausgabe: lautstark. 01/2025 | Sprache. Macht. Teilhabe.
  • im Interview: Kristin Kuck
  • Funktion: Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Germanistik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
  • Interview von: Nadine Emmerich
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Wie formt Sprache unsere Wirklichkeit und wie prägt sie unser Denken – und vielleicht darüber hinaus auch die Politik?

Kristin Kuck: Allgemein gesprochen ist Sprache die Brille, durch die wir unsere Welt wahrnehmen. Sie stellt Begriffe bereit, um Dinge zu ordnen, und sie ermöglicht es, Zusammenhänge zu erfassen. Sprache ist aber nicht einfach gegeben, sondern kann von den Sprecher*innen bis zu einem gewissen Grad mitgestaltet werden. Es gibt auch nicht die eine Sprache, die alle sprechen, sondern es lassen sich bei jedem Menschen sozial bedingte Einflüsse feststellen. Das kann das Alter, die Herkunft, aber auch die politische Einstellung sein. Insofern drücken wir im konkreten Sprechen immer auch aus, wie wir uns selbst und andere und die Welt wahrnehmen. 

Um das eingangs genutzte Bild wieder aufzunehmen: Wir geben unweigerlich zu erkennen, welche Brille wir benutzen. Und da sind wir bereits mitten drin in der Politik. Aktuell1 kann man zum Beispiel sehen, wie spätestens seit dem Bruch der Ampelkoalition die FDP versucht, das Hochwertwort Verantwortung für sich und ihr Handeln zu beanspruchen. Darin ist der Versuch zu beobachten, die eigene Deutung durchzusetzen, wessen Handeln verantwortungsvoll – und damit „richtig“ – ist.

Welche Rolle kommt bei der Frage des Einflusses von Sprache dem Gendern zu?

Kristin Kuck: Dass das generische Maskulinum vor allem männliche Personen ins Bewusstsein ruft, ist mittlerweile gut belegt und kann in kleinen Selbstversuchen einfach nachvollzogen werden. Die Frage, wie man nun andere Geschlechter in der Sprache sichtbarer macht, muss aber von der Sprachgemeinschaft ausgehandelt werden. Da gibt es keine linguistisch besseren oder schlechteren Wege. Ob man andere Geschlechter überhaupt sichtbarer machen möchte, ist zudem eine gesellschaftliche Frage – deren Beantwortung aber eigentlich gar nicht so kontrovers ist. Selbst konservative Parteien finden da ihre Wege. Meiner Beobachtung nach wird das Thema Gendern momentan vor allem von populistischen Kräften emotionalisiert und regelrecht aufgebauscht. Und auch das hat Einfluss auf unser sprachliches Verhalten. Denn die Entscheidung, zu gendern, nicht zu gendern oder eine bestimmte Form des Genderns zu verwenden, fällt schwer, wenn man voraussehen kann, wie emotional die Reaktion sein wird.

Kristin Kuck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Germanistik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Ihre Schwerpunkte sind Linguistische Diskursanalyse, Sprache im öffentlichen Raum, Metaphernforschung, Sprachkritik und Politolinguistik. Außerdem ist sie Co-Leiterin der Arbeitsstelle für linguistische Gesellschaftsforschung der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

Wie eine Ideologie, Weltsicht oder Identität „richtig“ ausgedrückt wird, kann die jeweilige Sprecher*innen-gemeinschaft nur selbst bestimmen, indem sie Normen aushandelt. Die sind aber wandelbar und unterliegen einer ständigen Debatte.

Inwiefern wird Sprache dazu benutzt, andere ein- oder auszuschließen? Denken wir zum Beispiel an Rassismus in der Sprache oder das Verwenden von Einfacher Sprache.

Kristin Kuck: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Sprachliche Ausdrücke sind nicht einfach Knöpfe, mit denen man in den Köpfen anderer eine bestimmte Vorstellung einschalten kann. Wir können uns entscheiden, wie wir sprechen. In welcher Situation man welche Sprache oder welchen Stil verwendet, hat selbst auch eine Botschaft. Wer sich entscheidet, einen rassistischen Ausdruck zu benutzen, signalisiert, dass er oder sie kein Interesse an einer gleichberechtigten Welt hat – unabhängig davon, ob das stimmt. Und Inklusion ist nichts, was durch die „richtigen“ Wörter einfach so geschieht. Der ganze Umgang miteinander ist extrem wichtig. Wer kann und darf sich äußern? Wessen Aussagen finden Gehör? Und wer darf
wem widersprechen?

Wie kann eine Sprache aussehen, die alle mitnimmt?

Kristin Kuck: Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Wir können allenfalls in so was wie funktionale und nicht funktionale Kommunikation oder angemessene und unangemessene Kommunikation unterscheiden. Und das ist immer von der Situation abhängig. Wer spricht aus welcher Position mit wem in welcher Weise und mit welchem Ziel? Wenn ich mit meiner Familie zu formell spreche, dann wird wahrscheinlich das Gefühl fehlender Vertrautheit entstehen. Umgekehrt wird ein zu vertrauter Stil in einer formellen Situation unangebracht erscheinen. Sprachliche – und damit soziale – Interaktion ist unglaublich komplex. Ein großer Teil unserer Sprachkompetenz besteht darin, so etwas einschätzen zu können.