In Debatten über Bildungsreformen sind seit etwa zwei Jahrzehnten die Begriffe Bildungslandschaften und Bildungsmanagement präsent. Insbesondere wenn es um Anliegen geht, die nicht auf Bundes- oder Landesebene, aber auch nicht im Alleingang von einzelnen Bildungsorganisationen, sondern durch die Zusammenarbeit mehrerer Akteur*innen vor Ort bearbeitet werden sollen, werden Bildungslandschaften als Schlagwort ins Spiel gebracht. Kennzeichnend für den Begriff der Bildungslandschaften ist seine Unschärfe. So wird er unter anderem gebraucht,
- um Campusprojekte zu beschreiben, beispielsweise die bundesweit bekannt gewordene Entwicklung der Rütli-Schule und zum Campus-Rütli,
- als Bezeichnung für sozialräumliche Vernetzungsinitiativen wie die Bildungslandschaft Altstadt Nord in Köln
- oder als Ausdruck für bildungsbezogene kommunale Koordinierungsaktivitäten und das damit verbundene Engagement von Kommunalverwaltungen.
Bildungslandschaft, Bildungsmanagement – was steckt hinter den Begriffen?
Bildungslandschaften sind mithin oft schlicht eine gemeinsame Selbstbezeichnung mehrerer Bildungsorganisationen, die ein positiv konnotiertes Label für ihre Kooperationsprojekte gefunden haben. Der Begriff ist auch deshalb so erfolgreich, weil lokale Kooperation ohne weitere Voraussetzung als Lösung für ganz unterschiedliche Herausforderungen wie Bildungsungleichheit, Inklusion und Fachkräftesicherung ins Spiel gebracht werden kann. Probleme, für die aus welchen Gründen auch immer keine konkreten Lösungen verfügbar sind, finden mit der Bildungslandschaft somit einen potenziellen Ort der Verantwortungszuschreibung. Kommunales Bildungsmanagement ist eine Wortschöpfung, die im Rahmen der Projektförderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entstanden ist und der dritten oben genannten Idee von Bildungslandschaften entspricht.
Seit 2008 unterstützt das BMBF mit sechs aufeinander folgenden Förderrichtlinien Kreise und kreisfreie Städte beim Aufbau eines kommunalen Bildungsmanagements. Einige Bundesländer haben parallel eigene Fördermechanismen auf den Weg gebracht, in NRW werden beispielsweise Kommunen durch das Programm Regionale Bildungsnetzwerke gefördert. Kommunales Bildungsmanagement beinhaltet ein Set an Managementelementen, die kommunal variieren können: Bildungsbüros als kommunale Organisationseinheiten, Leitungsgremien zur strategischen Zielfindung, Arbeitsgruppen und Netzwerke zur operativen Abstimmung sowie Bildungskonferenzen, um eine breite Beteiligung und Öffentlichkeit sicherzustellen und ein Bildungsmonitoring, das statistische Informationen aufbereitet und berichtet.
Eigens für diesen Zweck eingerichtete und durch das BMBF finanzierte Agenturen beraten und begleiten die Kommunen. Grob geschätzt haben über zwei Drittel der 400 Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland zumindest einzelne Elemente kommunalen Bildungsmanagements etabliert. Großstädte verfügen im Vergleich zu ländlichen Kreisen deutlich häufiger über ein Bildungsmanagement. Obwohl Förderprogramme in der Regel einen signifikanten kommunalen Eigenanteil voraussetzen, gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass strukturschwache Kommunen seltener an entsprechenden Projekten beteiligt sind.
Welche Effekte kann kommunales Bildungsmanagement erzielen und welche nicht?
Hinsichtlich der Effekte kommunalen Bildungsmanagements kann kaum Belastbares gesagt werden; bislang fehlen fundierte Wirkungsmodelle und empirische Studien. Daher lässt sich zu den Wirkungen kommunalen Bildungsmanagements mit Blick auf die eigentlichen Ziele, wie die Verbesserung der Bildungsbeteiligung, keine generalisierbare Aussage treffen. Unstrittig ist, dass kommunales Bildungsmanagement dazu beiträgt, Bildung als politische und administrative Aufgabe der Kommunen zu akzentuieren. Die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Kommune als bildungspolitische Akteurin wird gestärkt. Strittig ist hingegen die Frage, ob kommunales Bildungsmanagement Chancenungleichheiten verringern kann oder gar neue (regionale) Ungleichheiten hervorbringt.
Schwierig zu beantworten ist auch die Frage, ob sich kommunales Bildungsmanagement positiv auf die Gestaltung von Bildungsübergängen auswirkt – zum Beispiel im Sinne einer Verringerung von Bildungsabbrüchen. Die Gestaltung von Bildungsübergängen – also von der Kita zur Grundschule, dann zur weiterführenden Schule und schließlich in den Beruf oder ins Studium – ist ganz ohne lokale Koordination und Vernetzung kaum denkbar. Kommunen in ihrer Funktion als Kita- und Schulträger, das Land mit seinen örtlichen Vertretungen der Schulaufsicht sowie selbstverständlich die einzelnen Bildungsorganisationen sind bereits qua gesetzlichem Auftrag dazu angehalten, zugunsten gelingender Übergänge und Bildungsbiografien zusammenzuwirken. Insofern ist es plausibel, Übergänge im Bildungssystem als Handlungsfeld kommunalen Bildungsmanagements aufzugreifen. Bund, Länder und diverse Stiftungen haben die Kommunen in der Vergangenheit mit Nachdruck zum Übergangsmanagement aufgefordert, etwa im Rahmen von drittmittelgeförderten Vernetzungsprojekten.
Eine sich als gestaltungsorientiert verstehende Kommune sollte nicht auf Engagement an Bildungsübergängen verzichten, füllt sie damit doch Leerstellen im System, für die es ansonsten kein funktionales Äquivalent gibt. Im Kern lässt sich die Funktion kommunalen Übergangsmanagements auf die der Information zuspitzen.
Welchen Einfluss können Kommunen auf Bildungsübergänge nehmen?
Dass Übergänge nicht nur verwaltet, sondern bildungspolitisch und pädagogisch gestaltet werden müssen, erscheint evident. Übergänge sind kritische Punkte, an denen sich ungleiche Bildungs- und Lebenschancen manifestieren. Zudem geraten am Übergang von der Schule in den Beruf zunehmend arbeitsmarktpolitische Argumente in den Fokus der Kommunen, gerade wenn sich Unternehmen und Betriebe vor Ort nicht mehr mit ausreichend qualifiziertem Nachwuchs versorgen können. Beide argumentativen Anschlüsse werden zwar vielfach genutzt, können aber durch ein kommunales Übergangsmanagement angesichts der beschränkten Zuständigkeiten nur marginal adressiert werden. Auf die vornehmlich in Schule und Familie sich vollziehenden Prozesse der Formierung von Bildungsaspirationen und entsprechende Bildungsverlaufsentscheidungen wird ein kommunales Übergangsmanagement kaum substanziell Einfluss nehmen können.
Dafür fehlt es an Reichweite, beispielsweise in die bildungsbenachteiligten Milieus und die unterrichtlichen Strukturen von Schule; dafür finden entsprechende Aktivitäten zu punktuell statt, zum Beispiel im Leben orientierungsbedürftiger Jugendlicher. In der Zusammenarbeit beispielsweise mit Schulen oder der Bundesagentur für Arbeit sind Kommunen außerdem auf Goodwill und freiwilliges Engagement angewiesen. Es gibt keine Verpflichtung, sich von einem kommunalen Übergangsmanagement koordinieren zu lassen. Gleichwohl kann und sollte eine sich als gestaltungsorientiert verstehende Kommune nicht auf Engagement an Bildungsübergängen verzichten, füllt sie damit doch Leerstellen im System, für die es ansonsten kein funktionales Äquivalent gibt. Im Kern lässt sich die Funktion kommunalen Übergangsmanagements auf die der Information zuspitzen, und das in einem zweifachen Sinne:
- Peer-to-Peer-Information im System für das System, nämlich zwischen den Bildungseinrichtungen und Verwaltungseinheiten durch interorganisationale Netzwerke und (zunehmend digitalisierte) Koordinierungssysteme, sowie
- Information vom System für die orientierungsbedürftige Systemumwelt in Richtung der bildungsinteressierten Adressat*innen.
Für die Erfüllung der Informationsfunktion ist essenziell, dass kommunale Anstrengungen auf typische Übergangsprobleme wie die Bewältigung von biografischen Brüchen und familialer Verunsicherung reagieren. Kommunen müssen die sich verändernden bildungsbezogenen Einstellungen, Bedürfnisse und Beratungsanliegen als Handlungsaufforderung begreifen. Vorliegende Konzeptionen eines kommunalen Übergangsmanagements zeigen, dass individuelle wie strukturelle Bedarfe verzahnt gedacht werden sollten: Ein Übergangsmanagement kann beispielsweise auf eine Verbesserung der Berufsorientierung hinwirken, Warteschleifen aufdecken und Maßnahmen zur Verringerung von Wartezeiten vorschlagen, Angebotslücken identifizieren oder die Abstimmung von Fördermaßnahmen begleiten.
Zu den bewährten Praktiken kommunalen Übergangsmanagements gehören:
- Messen und andere Informationsveranstaltungen, die Eltern, Kinder und junge Menschen Bildungswege aufgezeigen und vertiefende Informationen über Bildungsinhalte und pädagogische Programme vermitteln, - eine Bildungsberichterstattung, die sich dezidiert mit Übergangsschwierigkeiten auseinandersetzt, zum Beispiel mit der frühzeitigen Auflösung von Ausbildungsbildungsverträgen, sowie
- digital-interaktive Tools, die das unübersichtliche Feld der Bildungsmöglichkeiten individuell greifbar werden lassen. Beispielhaft ist hier der in Düsseldorf pilotierte und unterdessen in weiteren NRW-Kommunen erfolgreich installierte Bildungswegenavigator BIWENAV.
Übergangsmanagement: Möglichkeiten und Grenzen
Wie sind diese vielfältigen Aktivitäten im Bereich der Übergangsgestaltung resümierend zu bewerten? Engagierte Kommunen reagieren mit einem Übergangsmanagement auf die aus der Komplexität und Unübersichtlichkeit des Bildungssystems resultierenden Informationsbedarfe. Zudem wird deutlich, dass Kommunen mit einem Übergangsmanagement zwar differenziert berichten, zielorientiert koordinieren und engagiert gestalten können, die sich an Übergängen verfestigenden Chancenungleichheiten werden sie dadurch jedoch nicht signifikant verringern. Allein diese Hoffnung auch nur zu äußern, wäre als Zeichen von Hybris und einer verfehlten, weil evidenzfeindlichen Bildungspolitik zu deuten. Was kommunales Bildungsmanagement leisten kann, ist, kommunale Kräfte an Bildungsübergängen zu mobilisieren und zu bündeln.
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Kommunale Bildungslandschaften in der Bildungsforschung
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- Christian Brüggemann, Björn Hermstein, Rita Nikolai (Hrsg.)
Bildungskommunen: Bedeutung und Wandel kommunaler Politik und Verwaltung im Bildungswesen
Beltz Juventa, Mai 2023 | kostenfreier PDF-Download
- Christine Steiner, Alexander Kanamüller, Ronald Langner, Tabea Schlimbach (Hrsg.)
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Beltz Juventa, Mai 2024 | kostenfreier PDF-Download
- Anika Duveneck
Erwartungen, Erfahrungen und Lernprozesse. Von Kenntnissen aus 15 Jahren Bildungslandschaften lernen
In: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung GmbH: It’s the education, folks! Zehn Jahre Transferarbeit mit Großstädten | kostenfreier PDF-Download