lautstark. 23.03.2023

Studentische Beschäftigte: Jung, akademisch, prekär?

Prekäre BeschäftigungWissenschaft und Forschung

Vorbereitungen auf den Tarifkampf für den TVStud

Wenn im Herbst 2023 die Verhandlungen zum Tarifvertrag der Länder (TV-L) starten, wird es auch darum gehen, endlich einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte, den TVStud, zu etablieren. Wie dringend er gebraucht wird, belegt unter anderem die Studie Jung, akademisch, prekär. vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen in Kooperation mit ver.di, der GEW und der bundesweiten TVStud-Bewegung. Ann-Kathrin Hoffmann vom Leitungsteam der jungen GEW NRW ist Co-Autorin und mobilisiert für den Countdown bis zum Arbeitskampf.

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  • Ausgabe: lautstark. 02/2023 | Wie willst du studieren?
  • im Interview: Ann-Kathrin Hoffmann
  • Funktion: Leitungsteam der jungen GEW NRW
  • Interview von: Sherin Krüger
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

In der Studie werden studentische Beschäftigte als Ausnahmephänomen beschrieben. Was heißt das genau? Welche Erkenntnisse liefert die Studie für die Tarifverhandlungen?

Ann-Kathrin Hoffmann: Die Studie hat vor allem gezeigt, wie sich der Staat in seiner Doppelfunktion als Arbeit- und Gesetzgeber einen Sonderzugriff auf die Arbeitskraft von Studierenden geschaffen hat: Studentische Beschäftigte sind vom Tarifvertrag der Länder und vielfach auch von der Mitbestimmung durch Personalräte ausgeschlossen. Durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz kommt ein Sonderbefristungsrecht obendrauf. Die Konsequenzen sind erheblich und strukturell bedingt. Arbeitnehmer*innenrechte werden nicht eingehalten – und das ist die Regel!

Rund 39 Prozent der Hilfskräfte und Tutor*innen machen regelmäßig Überstunden, etwa genauso viele nehmen ihren Urlaubsanspruch nicht wahr, Krankheitstage werden nachgearbeitet. Gleichzeitig laufen die Verträge außerhalb Berlins, wo Mindestvertragslaufzeiten von vier Semestern gelten, im Schnitt 5,7 Monate. Wer häufiger als ein Mal an einer Hochschule beschäftigt ist, arbeitet durchschnittlich zum dritten Mal auf derselben Stelle.

Es geht um nicht weniger als die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von über 300.000 studentischen Beschäftigten und das Ende der größten Tariflücke im öffentlichen Dienst.

Was bedeutet das für studentische Beschäftigte im Arbeitsalltag und was kann ein Tarifvertrag konkret bewirken?

Ann-Kathrin Hoffmann: Fehlende Planbarkeit und hohe Abhängigkeit von den Vorgesetzten sind in diesem System der permanenten Bewährung die Folge. Erst durch längere Vertragslaufzeiten sind Beschäftigte besser über ihre Rechte informiert und können diese wahrnehmen. Und das umso mehr, wenn – wie in Berlin – ein eigener Tarifvertrag für sie gilt und studentische Personalräte bestehen. Ein Tarifvertrag verbessert deutlich die soziale Lage der Beschäftigten – und das ist dringend nötig. Bei Löhnen auf Mindestlohnniveau haben fast die Hälfte der Hilfskräfte und Tutor*innen zwei oder mehr Verträge gleichzeitig, hinzukommen 33 Prozent, die zusätzlich außerhalb der Hochschule einer Nebentätigkeit nachgehen. 78 Prozent der befragten studentischen Beschäftigten sind armutsgefährdet – trotz Anstellung im öffentlichen Dienst!

Gerade hat die Konferenz Jetzt oder nie vom bundesweiten Netzwerk zum TVStud in Göttingen stattgefunden: Welche Themen habt ihr diskutiert und wie geht es weiter?

Ann-Kathrin Hoffmann: Genau, Ende Februar haben wir drei Tage lang mit 250 Teilnehmenden aus ganz Deutschland diskutiert und uns auf das kommende Organizing-Semester vorbereitet. Den Auftakt machte ein Podium zu den Rahmenbedingungen der Tarifbewegung studentischer Beschäftigter. Wir haben insbesondere die Frage, diskutiert, wie wir unseren Kampf mit anderen verbinden können. Angesichts gegenwärtiger, aber auch historischer Streikerfahrungen an Hochschulen wurde deutlich: Wenn wir gewinnen wollen, müssen wir unterschiedliche Kämpfe verbinden!

Die Organizing-Akademie bildete das Herzstück der Konferenz. Wir schulten uns gegenseitig darin, wie wir mit Kolleg*innen anhand der nun beginnenden Beschäftigtenbefragung ins Gespräch kommen, Einwänden begegnen und sie als TVStud-Botschafter*in und für den gemeinsamen Arbeitskampf gewinnen können. Denn auf einen strukturierten Auf- und Ausbau der Aktivenstrukturen wird es die nächsten Wochen und Monate ankommen. Die Aufbruchsstimmung nach dem langen Wochenende in Göttingen war überwältigend!

Was hat das Netzwerk zusammen mit der GEW und anderen DGB-Gewerkschaften bis jetzt in Sachen TVStud erreicht?

Ann-Kathrin Hofmann: Wir haben 2018 in Berlin gesehen, was Gewerkschaften und solidarischer Arbeitskampf bewirken können: Nach über 40 Streiktagen war der TVStud III in der Hauptstadt beschlossene Sache. Davon ausgehend wurde 2021 die Kampagne „Keine Ausnahme!“ initiiert. Bundesweit haben sich mittlerweile um die 40 Aktivengruppen gegründet und das Thema nach 30 Jahren wieder auf die Agenda gesetzt – in den Ländern und bei deren Arbeitgeberverband, der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL).

Ein wichtiger Meilenstein ist die laufende Bestandsaufnahme zu den Arbeitsbedingungen studentischer Beschäftigter, die in der TV-L-Runde 2021 erkämpft wurde und als Vorsondierung für mögliche Tarifverhandlungen dient. Damals traten vielerorts erstmals studentische Beschäftigte in den Streik. Auch die Studie „Jung, akademisch, prekär.“ wurde als maßgebende Erhebung beim ersten Termin im Januar 2023 eingebracht. Damit liegt der Ball jetzt aufseiten der Arbeitgeber. In der TdL steht es durch den gewerkschaftlichen Druck mittlerweile neun zu sechs:

Berlin hat schon einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte, sieben weitere Länder – darunter auch NRW – sprechen sich in ihren Koalitionsvereinbarungen dafür aus, ein weiteres Land für verbesserte Arbeitsbedingungen. In mehreren Ländern wird über studentische Personalräte und Mindestvertragslaufzeiten verhandelt; zudem sieht das Eckpunktepapier zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes – kurz: WissZeitVG – ein Jahr Mindestvertragslaufzeit vor. Hessen ist kein Mitglied in der TdL und fehlt in dieser Rechnung. Es ist also richtig viel Bewegung im Thema TVStud.

Was ist wichtig für die nächsten Monate und wie sind die Erfolgsaussichten für einen TVStud in NRW? Wie können studentische Beschäftigte oder solidarische Personen die Tarifkampagne unterstützen?

Ann-Kathrin Hoffmann: Was es jetzt braucht, damit sich die Länder aller politischen Bekenntnisse zum Trotz nicht weiter hinter ihrem Arbeitgeberverband verstecken, ist Druck – und dafür brauchen wir unbedingt viele Kolleg*innen und Unterstützer*innen! Jede*r kann sich als TVStud-Botschafter*in anmelden und an der eigenen Hochschule als Multiplikator*in mitwirken. Das Wichtigste im kommenden Semester wird sein, mit möglichst vielen studentischen Beschäftigten das persönliche 1:1-Gespräch zu suchen und den Befragungsbogen auszufüllen.

Was soll verbessert werden – und was sind die Kolleg*innen bereit, dafür zu tun? Gewerkschaftsarbeit ist Beziehungsarbeit, und die braucht es insbesondere für einen Arbeitskampf unter prekär Beschäftigten – reine Mobilisierung über Social Media und Co. reicht nicht. Für die Gespräche ist nicht entscheidend, ob man selbst Hilfskraft oder Tutor*in ist. Viele haben studentische Beschäftigte im Freund*innen- oder Kommiliton*innenkreis. Jede*r kann die Kolleg*innen für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft und die gemeinsame Sache begeistern. Denn strukturelle Missstände erfordern kollektive Lösungen.

Wer würde vom TVStud profitieren und wie muss er aussehen, um echte Veränderungen für die Beschäftigten herbeizuführen?

Ann-Kathrin Hoffmann: Es geht um nichts weniger als die Absicherung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen von über 300.000 studentischen Beschäftigten in ganz Deutschland und um das Schließen der größten Tariflücke im öffentlichen Dienst! Ein Tarifvertrag hätte außerdem erhebliche positive Auswirkungen auf den studentischen Arbeitsmarkt insgesamt, gerade mit Blick auf die Bezahlung. Die Löhne sind aber nur ein Baustein; Mindeststundenumfänge und Mindestvertragslaufzeiten sind weitere wichtige Stellschrauben, um echte und vor allem nachhaltige Veränderungen bewirken zu können. Wie der Tarifvertrag sonst aussehen soll, darüber entscheiden die Beschäftigten selbst, indem sie an der Befragung teilnehmen und sich gewerkschaftlich organisieren. Klar ist in jedem Fall: Nie waren die politischen Rahmenbedingungen für eine bundesweite Tarifierung studentischer Beschäftigter besser als in diesem Jahr – diese hart erkämpfte Chance dürfen wir nicht verspielen.