lautstark. 03.02.2025

Sprachbarrieren abbauen!

ChancengleichheitEntlastungMitbestimmungNachhaltigkeitVersorgung

Integration und Chancengleichheit im Bildungsbereich

Sprache ist weit mehr als ein Mittel der Verständigung: Sie ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Bildungsbiografie, gesellschaftlicher Teilhabe und einem selbstbestimmten Leben. Ayla Çelik, Vorsitzende der GEW NRW, fordert deshalb: Wer gleiche (Bildungs-)Chancen für alle will, muss für gute Sprachbildung sorgen.

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  • Ausgabe: lautstark. 01/2025 | Sprache. Macht. Teilhabe.
  • Autor*in: Ayla Çelik
  • Funktion: Vorsitzende der GEW NRW
Min.

Kinder mit unzureichenden Sprachkenntnissen sind oft benachteiligt, weil sie Schwierigkeiten beim Verstehen von Unterrichtsinhalten und bei der aktiven Teilnahme am Schulalltag haben. Fehlende Sprachkompetenzen beeinflussen nicht nur schulische. Leistungen, sondern auch die langfristigen Möglichkeiten der Kinder – von beruflichen Perspektiven bis hin zur gesellschaftlichen Integration.

Die Studien der vergangenen Jahre, wie PISA- und IGLU-Studie oder die IQB-Bildungstrends, zeigen immer wieder, dass Kinder aus armutsgefährdeten Familien oder mit Migrationshintergrund schlechter abschneiden als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. Besonders betroffen sind diejenigen, bei denen sich soziale Benachteiligung und mangelnde Sprachkenntnisse überschneiden. Statt Chancengleichheit zu ermöglichen, verstärkt das Bildungssystem in NRW bestehende Ungleichheiten.

Die Ressourcen für Sprachförderung fehlen

In Nordrhein-Westfalen fehlt eine umfassende Strategie, um sprachliche Barrieren frühzeitig abzubauen. Sprachförderung sollte bereits im Vorschulalter beginnen, doch es fehlt an Ressourcen und qualifiziertem Personal in Kitas und Schulen. Lehrkräfte, die sich auf Deutsch als Zweitsprache (DaZ) oder Deutsch als Fremdsprache (DaF) spezialisiert haben, arbeiten häufig unter prekären Bedingungen, was eine langfristige Arbeit in diesen Bereichen erschwert. 

Zudem bleiben Konzepte zur Förderung von Mehrsprachigkeit ungenutzt. Mehr als ein Drittel der Schüler*innen in NRW wächst mit einer anderen Familiensprache als Deutsch auf. Diese sprachlichen Kompetenzen könnten eine wertvolle Ressource sein, finden jedoch kaum Anerkennung. Herkunftssprachlicher Unterricht (HSU) wird oft nur als freiwilliges Zusatzangebot betrachtet und hat aufgrund unsicherer Rahmenbedingungen keinen festen Platz im Schulalltag.

Politik muss Sprachförderung zur Priorität machen

Die langjährige Forderung der GEW NRW, Unterschiede bildungspolitisch unterschiedlich zu behandeln, bedeutet in der Konsequenz auch eine Kehrtwende in der Sprachbildungs- und Förderpolitik. Chancengleichheit kann nur gelingen, wenn die Politik gezielt in Sprache als zentralen Faktor von Bildungsgerechtigkeit investiert, gerade mit Blick auf die zugewanderten Schüler*innen in den vergangenen Jahren. Damit das gelingen kann, sieht die GEW NRW konkreten Handlungsbedarf in drei Feldern:

1. Mehrsprachigkeit als Ressource anerkennen

Anstatt Mehrsprachigkeit als Hindernis zu sehen, fordert die GEW NRW, sie als Ressource zu nutzen.
Herkunftssprachlicher Unterricht (HSU) muss ausgebaut und in den Regelunterricht integriert werden.
Dies stärkt sowohl die sprachlichen als auch die sozialen Kompetenzen der Schüler*innen und fördert
ihre Identitätsentwicklung.

2. Kontinuierliche Sprachförderung ermöglichen

Sprachförderung kann nicht isoliert betrachtet werden. Sie muss kontinuierlich erfolgen – von der
frühkindlichen Bildung bis zur weiterführenden Schule. Dafür braucht es

  • verpflichtende Gesamtkonzepte für Sprachbildung, die alle Altersstufen umfassen,
  • eine deutliche Erhöhung der finanziellen Mittel für DaZ- und DaF-Stellen,
  • bessere Fortbildungsangebote für Lehrkräfte, um mit heterogenen Lerngruppen arbeiten zu können,
  • kleinere Klassen, um individuelle Förderung zu ermöglichen, vor allem für geflüchtete Kinder und Kinder mit sprachlichem Förderbedarf.

3. Faire Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte schaffen

Hoch qualifizierte Lehrkräfte im Bereich Sprachförderung haben derzeit oft schlechtere Arbeitsbedingungen als ihre Kolleg*innen. Dies gefährdet nicht nur die Qualität des Unterrichts, sondern auch die Motivation der Fachkräfte, langfristig im Bereich DaZ, DaF oder HSU zu bleiben. Als GEW NRW fordern wir daher

  • eine Gleichstellung der Arbeitsbedingungen von DaZ- und DaF-Lehrkräften mit anderen Lehrkräften,
  • feste und unbefristete Verträge, um langfristige Planungssicherheit zu gewährleisten,
  • eine deutliche Erhöhung der Vergütung, um die gesellschaftliche Bedeutung dieser Aufgabe anzuerkennen.

Ohne Sprachförderung keine Chancengleichheit

Seit Jahren gibt es von der Landesregierung Lippenbekenntnisse zur Integration und Chancengleichheit. Doch das Bildungs- und Sprachförderungssystem bleibt unterfinanziert und schlecht organisiert. Diese Untätigkeit ist ein Verstoß gegen die Verantwortung, die die Politik gegenüber allen Kindern und Jugendlichen in NRW hat. Die GEW NRW fordert die Landesregierung auf, nicht nur von Chancengleichheit zu sprechen, sondern konkrete Maßnahmen zu ergreifen:

  • massive Investitionen in Sprachförderung und Sprachbildung,
  • eine klare Positionierung für die Förderung von Mehrsprachigkeit sowie
  • den Aufbau eines funktionierenden Systems zur Unterstützung von Lehrkräften und Bildungseinrichtungen.

Solange NRW die Ressourcen für Sprachförderung nicht bereitstellt, bleiben die Versprechen von Integration und Chancengleichheit hohle Phrasen.

 

Aus eigener Erfahrung als Zugewanderte, die vor etwa 45 Jahren in einer der Willkommensklassen saß, und aus meiner über 20-jährigen Erfahrung als Lehrerin kann ich nur bestätigen: Sprache ist der Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen Bildungsbiografie. Doch solange NRW die Ressourcen für Sprachförderung und Bildungsgerechtigkeit nicht bereitstellt, bleiben die Versprechen von Integration und Chancengleichheit hohle Phrasen. Es ist höchste Zeit, dass die politisch Verantwortlichen ihrer Pflicht nachkommen und sicherstellen, dass kein Kind aufgrund von Sprachdefiziten benachteiligt wird und es nicht von glücklichen Zufällen abhängt, dass ein Kind die eigenen Potenziale entwickeln kann. Investitionen in Sprache sind Investitionen in die Zukunft – für die Schüler*innen, für die Lehrkräfte und für die Gesellschaft insgesamt.