Bildungspolitik 20.04.2017

Schulstruktur und Schulentwicklung

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Parteiencheck: Schulstruktur und Schulentwicklung

Alte Muster und deutliche Unterschiede in den Wahlprogrammen

Eine Landesregierung, an der weder SPD noch CDU oder die GRÜNEN beteiligt sind, ist in der Legislaturperiode von 2017 bis 2022 in Nordrhein-Westfalen nicht denkbar. Diese Parteien haben im Schulkonsens von Juli 2011 unterschrieben, dass dessen grundsätzliche Festlegungen für den Zeitraum bis 2023 gelten und nicht einseitig aufgekündigt werden können. Dennoch ist es spannend, die Schulstruktur und Schulentwicklung betreffenden Aussagen der Parteien zu betrachten, die sie vor diesem Hintergrund umsetzen wollen. Die Unterschiede sind beträchtlich.

  • GEW NRW: Michael Schulte
  • Funktion: Geschäftsführer der GEW NRW
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Schulstruktur und Schulkonsens

Für die GRÜNEN ist klar: „Die Frage der Schulstruktur ist durch den Schulkonsens bis 2023 beantwortet. Im Rahmen dieses Konsenses setzen wir GRÜNE uns dafür ein, weiterhin die Gründung von neuen Schulen des gemeinsamen Lernens zu unterstützen.“ Das sieht die CDU völlig anders. Haupt- und Realschulen erhalten de facto eine Bestandsgarantie, die Schulen des längeren gemeinsamen Lernens werden neu justiert. Die Partei glaubt zu wissen, dass sinkende und aus ihrer Sicht zum Teil existenzgefährdende Anmeldezahlen von Sekundarschulen ihre Ursache darin haben, dass das Schulministerium Sekundarschulen einseitig und fälschlicherweise zu Schulen des längeren gemeinsamen Lernens deklariert hat. Daher kündigt die CDU an, zur weiteren Festigung der Sekundarschule die Bezirksregierungen anzuweisen, bei der Beratung der Kommunen ausdrücklich auf die im Schulkonsens vorgesehene kooperative Form der Sekundarschule hinzuweisen. Für neu zu gründende Sekundarschulen soll im Einzelfall auch eine Zweizügigkeit ausreichend sein. Auch die SPD will prüfen, ob für eine Gründung und ein Fortbestand einer Sekundarschule Zweizügigkeit ausreichend ist.

Ärgerlich wird es bei den Christdemokrat*innen im Bereich der Gesamtschule, weil ein Rückschritt droht. Die Partei hatte zugesichert, dass sie die Gesamtschule, der eine besondere Bedeutung und Verantwortung bei der inklusiven Beschulung zukommt, als festen Bestandteil des mehrgliedrigen Schulwesens in NRW sieht. Dennoch formuliert sie: „Wir werden für die Einhaltung der sogenannten ‚Drittelparität‘ – also ein Drittel Gymnasiasten, ein Drittel Realschüler und ein Drittel Hauptschüler – in der Schülerschaft unserer Gesamtschulen sorgen. Fehlen Haupt-, Real- oder Sekundarschulen, droht Gesamtschulen das Schicksal einer ‚Restschule‘ mit allen gravierenden Konsequenzen für das interne Lernklima und die soziale Ausgeglichenheit.“

Die SPD will die direkte Umwandlung bestehender Haupt- und Realschulen ermöglichen. Gymnasien soll die Umwandlung in Gesamtschulen zumindest dann ermöglicht werden, wenn sie die einzige weiterführende Schule am Ort sind. Dazu gehört für die Sozialdemokrat*innen im ersten Schritt, dass ein Gymnasium alle Abschlüsse vergeben kann, um ein diskriminierendes ‚Abschulen‘ von Kindern zu verhindern.

Inklusion

Was ist davon zu halten, wenn die SPD anders als in anderen Bundesländern auf die Wahlfreiheit der Eltern setzt, Kinder inklusiv auf einer allgemeinbildenden Schule zu fördern oder auf einer Förderschule? „Den Lernort bestimmen in Nordrhein-Westfalen die Eltern nach umfassender kompetenter Beratung, bei der das Kindeswohl handlungsleitend ist.“ Davon ist wenig zu halten, weil kein Wort über die Mindestgröße von Förderschulen fällt und zugleich jeder Hinweis fehlt, wie dauerhaft die Qualität sonderpädagogischer Förderung an unterschiedlichen Förderorten gesichert werden soll.

Die FDP betont ebenfalls den Wert des Elternwahlrechts bei der Inklusion. Die CDU will die Wahlfreiheit der Eltern dadurch dauerhaft sichern, dass bis auf weiteres keine Förderschulen mehr geschlossen werden sollen. „Ein solches Moratorium bedeutet keine Absage an die Inklusion oder gar deren Rückabwicklung, sondern sichert die Wahlfreiheit der Eltern und wichtige Ressourcen, die in der weiteren Entwicklung der Inklusion noch dringend benötigt werden. Wir wollen, dass Eltern frei entscheiden können, wo ihr behindertes Kind am besten gefördert wird.“
 
Die Haltung der Linken ist gegenteilig. „Durch das Nebeneinander von Inklusion in Regelschulen und Förderschulen wird die Ressourcenknappheit durch organisatorische Probleme weiter verschärft. Der Umstellungsprozess von Förderschule zur Regelschule wird derzeit nicht beherrscht. Darunter leiden alle Beteiligten: Die Schüler*innen mit Behinderungen und deren Familien und die Lehrer*innen spüren die Probleme am stärksten. (…) Was ist zu tun? Garantie auf einen Platz im gemeinsamen Unterricht.“

Selbstständigkeit und Eigenverantwortung

Die SPD will Schulen in Anlehnung an die Selbstständige Schule mehr Möglichkeiten für eine eigenverantwortlichere Stellenbewirtschaftung geben, die CDU will das bewährte Konzept der eigenverantwortlichen Schule reaktivieren und weiter stärken. Die FDP setzt auf die Vergesslichkeit der Betroffenen. Wer die Folgen des Hochschulfreiheitsgesetzes der Regierung Rüttgers / Pinkwart erinnert, kann sich nur wundern, dass die liberalen Politiker*innen nun ein Schulfreiheitsgesetz propagieren. Es soll Schulen mehr organisatorische, finanzielle, pädagogische und personelle Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Auf freiwilliger Basis soll es den Schulen viel stärker ermöglicht werden, eigenständig ihre pädagogischen Konzepte, ihr Personal und ihr Budget zu verantworten.

Schulen in schwierigem sozialen Umfeld

SPD und Grüne wollen in den nächsten fünf Jahren tun, was sie in den vergangenen fünf Jahren hätten tun können. Sie wollen den Sozialindex weiter entwickeln und Ungleiches ungleich behandeln. Wenig originell, aber hoffentlich glaubhaft. Originell ist die FDP. Sie bereichert die Fachdebatte: „Wir wollen dreißig exzellente Top-Gymnasien mit modernster Pädagogik und bester Ausstattung dahin bringen, wo sie am dringendsten benötigt werden und maximalen Effekt erzielen: In kinderreiche Stadtteile mit den größten sozialen Herausforderungen.“ Das Gymnasium – und nur das Gymnasium – kann es richten. Alte Denkmuster, Wahlkampf.

Parteien zielen auf Stammwähler*innen – mit Widersprüchen

Wer Wahlen gewinnen will, muss sich zunächst die Zustimmung der Stammwähler*innen sichern – zur Not auch um den Preis, Widersprüche zu produzieren. „Wir verbannen eine bildungspolitische Ideologie aus den Schulen und analysieren stattdessen sachlich und wissenschaftlich fundiert die Stärken und Schwächen unseres Schulwesens in Nordrhein-Westfalen“, schreibt die CDU. An anderer Stelle steht, dass die Christdemokraten die Einheitsschule entschieden ablehnen, da sie überzeugt sind, dass die Unterschiedlichkeit der Kinder auch schulische Vielfalt braucht. Die Stammwähler*innen werden zudem mit der Versicherung beruhigt, dass die Partei den Erwerb von Basiskompetenzen wieder stärken will, zu denen das Beherrschen von Lesen, Schreiben und den Grundrechenarten gehört.

Eine Partei sieht – wissenschaftlich fundiert begründet – die Notwendigkeit, die Einheitsschule in NRW bekämpfen und dafür sorgen zu müssen, dass die Vermittlung von Lesen, Schreiben und Rechnen in den Schulen wieder gestärkt wird. Eine andere schreibt auf: „Leistungsnivellierung und einen schleichenden Weg zur leistungslosen Schule lehnen wir ab.“ Schulpolitik und Landtagswahl 2017? Ja, leider.