Beamt*innen 04.07.2019

Schule braucht einen stabilen öffentlichen Dienst

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Was Schule braucht ist ein stabiler öffentlicher Dienst

Früher herrschte Arbeitslosigkeit, heute Mangel: Wann kommt die Balance im öffentlichen Dienst?

War früher alles besser im öffentlichen Dienst? Die bald pensionierte Lehrerin muss mit „Ja“ antworten. Ihr junger Kollege kann es sich nur allzu gut vorstellen. Denn den Mangel in Schule spüren heute alle. Anette Mevenkamp und Tino Orlishausen erzählen von Frust, Verpflichtung, Wertschätzung, Aufwertung, Problemen und Lösungen rund um ihren Arbeitsplatz als Lehrer*innen im öffentlichen Dienst. Zwei Lehrer*innengenerationen im Interview.

  • Interview: Sherin Krüger
  • Funktion: Redakteurin im NDS Verlag
Min.

Anette Mevenkamp steht kurz vor dem Ruhestand. Nach den Sommerferien 2019 wird sie nicht mehr als Lehrerin an die Schule und auch nicht mehr als Personalrätin in ihr Büro zurückkehren. Sie hat den Wandel im öffentlichen Dienst mitgemacht von der Arbeitslosigkeit vieler Kolleg*innen über tolle Zeiten in Bestbesetzung bis hin zum heutigen Lehrkräftemangel in NRW. Tino Orlishausen hingegen startet gerade erst so richtig durch im öffentlichen Dienst. Er hat sein Referendariat 2010 abgeschlossen und wurde zwei Jahre später verbeamtet. Zwei Lehrer*innengenerationen im Interview.

Überforderte Schüler*innen, aufgebrachte Eltern, unzufriedene Wirtschaft – im Kreislauf Schule sind nicht viele so richtig zufrieden mit unserem System. Schuld daran sind oft die Lehrkräfte. Die machen sich als Beamt*innen im öffentlichen Dienst ein schönes Leben. Vorwürfe wie diese sind ein alter Hut. Was entgegnet ihr?

Anette Mevenkamp: Mit Kindern und Jugendlichen arbeiten ist aus meiner Sicht immer noch eine tolle Aufgabe, aber die Rahmenbedingungen der Arbeit stimmen leider gar nicht: Die Klassen und Lerngruppen sind zu groß, die Unterrichtsverpflichtung ist zu hoch und es gibt viel zu wenig Zeit für den Austausch im Team und dringend notwendige Fortbildungen. Burnout und Überlastungen nehmen deshalb immer mehr zu. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Eltern anerkennen, dass wir Lehrer*innen uns nach Kräften um ihre Kinder bemühen. Eltern wissen und erkennen an, dass die Rahmenbedingungen – angefangen von den Räumen über die Arbeitsbedingungen bis hin zur Schulausstattung im Detail – dringend verbessert werden müssen. O-Ton eines Elternteils in einem meiner letzten Elterngespräche: „Ich möchte nicht mit Ihnen tauschen!“

Tino Orlishausen: Ich habe sehr viel Verständnis für den beschriebenen Frust, jedoch sind die Lehrer*innen eher ein Dämpfer für alle strukturellen Probleme als ein Katalysator. Häufig gleichen sie mit immensen Einsatz die Rahmenvorgaben aus. Beispielsweise sollen Aufgaben in der Inklusion mit wenigen oder gar keinen Fortbildungen gestemmt, die Digitalisierung nebenbei organisiert und zugleich die Schüler*innen auch auf eine Lebenswelt vorbereitet werden, die sich in einem beschleunigten Wandel befindet. Viele dieser benannten Aufgaben sind in den letzten Jahren hinzugekommen, jedoch sind kaum Entlastungen an anderer Stelle mitgedacht worden. Die spürbare Arbeitsverdichtung in Zeiten der Globalisierung macht auch bei Lehrer*innen nicht halt. Dass es große Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung in nahezu allen Schulformen gibt, spricht weniger für eine gute Bezahlung, viel Freizeit und eine familienorientierte Politik.

War früher alles besser im öffentlichen Dienst? Welcher Wandel ist dir als langjährige Beamtin ganz besonders im Gedächtnis geblieben? Wie beurteilst du das System des öffentlichen Dienstes aus heutiger Sicht?

Anette Mevenkamp: Tatsächlich war früher wirklich vieles besser: Es gab genügend Lehrkräfte an den Schulen. Jetzt sind viele Schulen unterbesetzt und die Arbeit wird auf weniger Schultern verteilt. Die Unterrichtsverpflichtung ist gestiegen von 23,5 auf 25,5 Stunden an meiner Schulform und dabei haben auch die zusätzlichen Aufgaben zugenommen: zentrale Prüfungen, Qualitätsanalyse, Lernstandserhebungen, Problembeseitigung durch unzureichende Ausstattung, immer mehr Konferenzen und Dienstbesprechungen wegen der ständigen Änderungen im Schulgesetz. Es müssen Konzepte für individuelle Förderung, Inklusion und Integration gestaltet und umgesetzt werden, Vertretungsunterricht und Mehrarbeit nehmen zu.
Im Gegensatz zu früher kann man jetzt voraussetzungslos Teilzeit oder ein Sabbatjahr beantragen und diese Möglichkeiten nutzen auch viele Kolleg*innen gerne. Ich bin aber der Meinung, dass der Arbeitsplatz Schule so gestaltet sein muss, dass man bei ganzer Stelle die Arbeit gut bewältigen kann und dabei gesund bleibt. Die aktuelle COPSQ-Untersuchung in NRW zeigt, dass das derzeit für viele Lehrkräfte nicht der Fall ist. Hier muss sich dringend etwas ändern, damit wieder mehr junge Menschen den Lehrberuf wählen.

Und welche Auswirkungen haben negative wie positive Änderungen aus der Vergangenheit auf die Lehrkräfte von heute? Wie fällt dein Urteil zum System des öffentlichen Dienstes aus?

Tino Orlishausen: Dass Kolleg*innen sich schulscharf bewerben können, ist bei aller berechtigten Kritik sicher eine positive Entwicklung für junge Lehrer*innen. Ebenfalls beobachte ich, dass gerade Väter immer öfter in Elternzeit gehen, weil sie es heute zum Glück können, und somit alle Familienmodelle auch in Schule gelebt werden. Als Betroffener schätze ich auch die Möglichkeit der voraussetzungslosen Teilzeit im Blockmodell – also die Möglichkeit, Sabbatjahr einzulegen.

In der Schule selbst berichten mir ältere Kolleg*innen, dass sie mehr Zeit zum Einarbeiten in das System Schule hatten. In den ersten Tagen gab es organisierte Veranstaltungen und viele Abläufe in der Schule wurden geklärt. Durch den hohen Stellenbedarf und fast ganzjährige Einstellungsrunden starten viele Kolleg*innen mitten im Schuljahr, müssen sich alleine durch Lehrpläne, Formulare und Dienstabsprachen kämpfen. Das erzeugt viel Frust.

Und leider führt auch das Ganztagmodell – ausnahmslos ein wichtiger Beitrag für gleiche Bildungschancen – zu starken Belastungen. Für die Schüler*innen sind Mensen gebaut, Begegnungsräume geschaffen und Arbeitsgemeinschaften eingeführt worden. Ganztagsschule ist jedoch häufig noch ein Halbtagsarbeitsplatz. Es gibt kaum Korrektur-, Vorbereitungs- und Besprechungsräume. Die Kolleg*innen bleiben jetzt bis zum späten Nachmittag in der Schule, müssen aber danach ihre eigentlichen Aufgaben Zuhause erledigen. Letztlich führte das in vielerlei Hinsicht zu einer massiven Ausweitung der Arbeitszeit.

Wie steht es eurer Meinung nach um die Wertschätzung der Lehrer*innen im öffentlichen Dienst? Wie lässt sich diese verbessern? Was kann die GEW-Forderung „A 13 Z“ zur Wertschätzung beitragen?

Tino Orlishausen: Von Wertschätzung spricht der Arbeitgeber in jeder Sonntagsrede. Auch verdeutlichen sehr viele Politiker*innen die positive Rolle der Pädagog*innen in der Gesellschaft. In der Ausbildung hat der Arbeitgeber die Gleichwertigkeit aller Schulformen bereits eingesehen. Letztlich kann sich die Ungleichheit der Aufgaben nicht in der Bezahlung, sondern nur in der Ungleichheit der Entlastung ausdrücken. Bei dem Versuch diese Ungleichheit kostenneutral auszugleichen, ist das Bildungsministerium gescheitert, denn die Aufgabenvielfalt führt bereits jetzt alle Kolleg*innen an die Belastungsgrenze.

A 13 Z für alle Kolleg*innen unterstreicht dabei den eigentlichen Anspruch der Gesellschaft: Die Arbeit mit allen Kindern ist gleichwertig. Kleine Kinder gleich kleine Probleme – das hat mit der Realität nichts zu tun. Die Schieflage führt momentan auch dazu, dass auf der einen Seite arbeitslose Gymnasiallehrer*innen auf eine Stelle warten, während beispielsweise im Grundschulbereich nicht mal mehr Bewerbungen auf freie Stellen eingehen.

Letztlich können nur wirkliche Maßnahmen für die Kolleg*innen wirkliche Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Jedoch haben viele, auch vermeintliche Maßnahmen zur Kostenreduzierung des Landeshaushalts, genau diese Wertschätzung zwar in Reden benannt, aber das Gegenteil umgesetzt. Um ein paar Beispiele zu nennen: die Kostendämpfungspauschale der Beihilfe, die Verlängerung der Probezeit auf drei Jahre oder das Jubiläumsgeld nur auf eigenen Antrag.

Anette Mevenkamp: Wertschätzung für den Beruf drückt sich meiner Meinung nach durch eine qualitativ gute Ausbildung, selbstverständlich eine angemessene Bezahlung, aber auch durch attraktive Arbeitsplatzbedingungen aus. Hier gibt es verglichen mit der freien Wirtschaft im Lehrbereich großen Nachholbedarf. In Zeiten von Lehrkräftemangel setzt das Land jetzt auf Seiteneinsteiger*innen, die die Lücken schließen sollen, bietet ihnen aber keine Aufstiegschancen. Hier muss das Ministerium für Schule und Bildung dringend eine bessere Weiterqualifizierung – verbunden natürlich auch mit einer besseren Bezahlung – anbieten.

Lehrkräfte aller Schulformen werden jetzt gleich ausgebildet, alle machen ein Masterstudium und das ist gut so. Dann müssen auch alle gleich bezahlt werden. Also A 13 für alle muss die notwendige Konsequenz sein und auch sofort umgesetzt werden. Sonst kann der Lehrkräftemangel in der Grundschule und in der Sekundarstufe I nicht beseitigt werden. Aber Stellen an Schulen an schwierigen Standorten können nur besetzt werden, wenn hier die Voraussetzungen stimmen. Dazu gehört auch eine gute Ausstattung der Schulen.