Schule funktioniert zum großen Teil nach dem Leitmotiv „Wir tun so, als ob wir wirklich leben“: In Mathematik rechnen wir die Anzahl der Steine für ein fiktives Haus aus. Im Englischunterricht suchen wir gemeinsam ein Handy, das ein smarter US-Boy nicht wirklich verloren hat. Im Erziehungswissenschaftskurs wird in mehreren Jahren kein einziges Kind gesehen und in Deutsch analysieren wir Liebesgedichte, ohne die Sprache und erst recht das Gefühl dahinter zu empfinden.
An nur ganz wenigen und daher besonders wichtigen Stellen in unserem System können wir echt erleben, erfahren, tun und wirken – ein Potenzial, das wir ausschöpfen sollten! Deshalb ist das Wirken der SV besonders und bedeutsam – wenn man ihr Raum gibt.
Arbeit der SV in schulischen Gremien
Grundsätze der SV-Arbeit in Schulen sind im § 74 des Schulgesetzes geregelt und im SV-Erlass ausgeführt. Die SV hat demnach die Aufgabe, die Belange der Schüler*innen bei der Gestaltung der Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schule zu vertreten und deren fachlichen, kulturellen, sportlichen, politischen und sozialen Interessen zu fördern. In diesem Rahmen kann die SV in schulischen Gremien mitwirken, auch initiative, selbstgewählte Aufgaben umsetzen und schulpolitische Belange wahrnehmen.
Klasse oder Jahrgang sind die kleinste Einheit der SV
Das kleinste Modul der SV-Struktur ist die einzelne Klasse oder der Jahrgang. Die Schüler*innen jeder Klasse wählen eine*n Klassensprecher*in und eine*n Stellvertreter*in. In der Oberstufe wählt jeder Jahrgang pro 20 Personen je eine*n Sprecher*in und eine*n Vertreter*in.
In Vollzeitschulen stehen jeder Klasse beziehungsweise jedem Jahrgang eine SV-Stunde, auch Klassenstunde genannt, pro Monat während der Unterrichtszeit für die Wahl und alle SV-Belange zur Verfügung. In Teilzeitschulen ist es eine Stunde pro Quartal.
Alle gewählten Sprecher*innen sowie mit beratender Stimme die Stellvertreter*innen sind Mitglieder des Schüler*innenrats und nehmen an deren Versammlungen teil – oft „SV-Sitzungen“ genannt. Dieses Gremium darf mindestens einmal im Monat tagen und Erörterungen schulischer Fragen durch die Schulleitung erbitten.
Schüler*innenrat wählt SV-Lehrer*innen oder Verbindungslehrer*innen
Der Schüler*innenrat wählt in der Regel aus seiner Mitte eine*n Schülersprecher*in und eine*n Stellvertreter*in – auf Antrag und mehr als 20-prozentiger Zustimmung des Schüler*innenrats auch aus der gesamten Schüler*innenschaft. Schülersprecher*in kann also auch jemand werden, der kein Mitglied des Schüler*innenrats ist. Der*diejenige wird durch die Wahl stimmberechtigtes Mitglied. In der Praxis selten vorzufinden, aber theoretisch möglich, ist die Einberufung einer Schüler*innenversammlung, also einer Versammlung aller Schüler*innen einer Schule.
Der Schüler*innenrat wählt zudem einmal im Jahr pro angefangene 500 Schüler*innen eine*n Verbindungslehrer*in oder SV-Lehrer*in. Diese Lehrkraft unterstützt die SV bei der Planung und Durchführung ihrer Aufgaben. Die Annahme der Wahl ist freiwillig. Des Weiteren wählt der Schülerrat die Vertreter*innen der Schüler*innenschaft für die Schulkonferenz. Das sind häufig die beiden Schülersprecher*innen sowie weitere Schüler*innen, die Mitglieder anderer SV-Teilorgane sind, zum Beispiel eines Eilausschusses.
Schüler*innen kennen ihre Themen selbst am besten
Vom Schulleben ist wohl niemand so betroffen, spürt so gut, was an Schule gut oder schlecht läuft, wie die Schüler*innen selbst. Alle Aspekte von Schulleben, von baulichen Kleinigkeiten bis hin zu systemischen Grundsatzfragen können von der SV aufgegriffen werden.
Einen Einblick in die Arbeit der SV bieten eingereichte Projekte zum Beispiel bei „Demokratisch Handeln“ oder dem Deutschen Engagementpreis. Dort zeigen die Schüler*innen mit welcher Überzeugung, Kreativität, Kraft und mit welchem Herzblut und sozialem Engagement sie ihre eigenen Projekte realisiert haben.
Allen gemein ist, dass sie aus dem Erleben der Kinder, aus ihrem Umfeld, ihren Gefühlen, aus dem wahren Leben stammen. In der SV-Arbeit wird – wie sonst nur sehr selten in Schule – erlebt und gestaltet mit allen Anforderungen, die es bis zum Ziel zu lösen gilt, um die Welt ein bisschen besser zu machen.
SV als Teil der demokratischen Identitätsbildung
Die SV-Arbeit ist die logische Folge einer Forderung, die Teil der Verfassung des Landes NRW ist: „dem Frieden […] zu dienen, Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand für alle zu schaffen“. Demnach müssen Schüler*innen schulisch Hilfen „zur persönlichen Entfaltung in sozialer Verantwortlichkeit“ bekommen. Darin verbirgt sich ein sehr weiter, umfassender Bildungsanspruch, der Aspekte wie soziales Handeln, Toleranz, Kreativität, Phantasie, Engagement, demokratisches Denken und Verhalten selbstverständlich impliziert – mit Folgen auch für demokratische Identitätsbildung.
Mehr Zeit für die Arbeit in der SV notwendig
Seit vielen Jahren, vor allem nach dem „PISA-Schock“, orientiert sich der Fokus der Schulentwicklung immer stärker an der Leistungsorientierung vor allem in MINT-Bereichen. Das ist an der Einschränkung von Abitur-Fächerkombinationen, vermehrten zentralen Prüfungen, aufgestockten Fachinhalten oder in der Folge an der höheren Unterrichtsstundenzahl vor allem in der Oberstufe abzulesen.
In der Praxis erschweren diese Vorgaben die Arbeit der SV substantiell: Kollegen*innen berichten, dass Schüler*innen zu SV-Stunden, zu Arbeits- oder Planungstreffen nicht kommen können, weil Stundentafeln zu voll sind. In den vergangenen 20 Jahren konkurrierte ehrenamtliches Engagement von Schüler*innen zeitlich noch nie so sehr mit Mathe, Deutsch und Naturwissenschaften wie im Moment.
Wenn man den umfassenden Bildungsauftrag von Schule wirklich ernst meint, sollte der SV Zeit gegeben werden. Deshalb gilt es, Schulstrukturen in Gänze zu überdenken und Schul-Erleben deutlich stärker zu ermöglichen. Dass zum Beispiel erstmals nach 1945 wieder Rechtsextreme im Bundestag vertreten sind, sollte Mahnung sein!