In Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention ist das Recht auf Beteiligung festgeschrieben: Was heißt das für dich?
Ayman Ryari: Partizipation bedeutet für mich, dass junge Menschen aktiv in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, sei es in der Schule, in der Gemeinde, im Sportverein oder wie bei uns im politischen Gremium. Es geht darum, dass man Kindern und Jugendlichen eine Stimme gibt, ihre Perspektive ernst nimmt und sinnvolle Forderungen oder Projekte auf politischer Ebene dann auch umsetzt.
Wie kann das in der Praxis aussehen?
Ayman Ryari: Ein Beispiel: Ich bin in Iserlohn Mitglied im Jugendhilfe- und im Schulausschuss, habe dort Rederecht und stelle unsere Projekte aus dem Kinder- und Jugendrat Iserlohn vor. Vor Kurzem haben wir in meiner Stadt das erste Jugendkulturcafé errichtet – einen Ort für Jugendliche, an dem man sich nach der Schule treffen und mit seinen Freunden einfach nur abhängen kann, wo es kostenloses WLAN und regelmäßig Veranstaltungen gibt: Auftritte von Stand-up-Comedians, Autor*innenlesungen oder ein Politiker*innenfrühstück.
Es ist natürlich überzeugender und authentischer, wenn Jugendliche für ihre eigenen Wünsche sprechen, anstatt dass ein Erwachsener erklärt, was sie möchten.
Das klingt, als stehe es ganz gut um die Beteiligung junger Menschen. Oder wo gibt es noch Handlungsbedarf?
Ayman Ryari: Nicht jede Stadt hat einen Kinder- und Jugendrat. Vielerorts haben politisch interessierte Jugendliche nicht die Chance, zu partizipieren. Dort müsste von der Kommunalpolitik der erste Schritt kommen, ein Angebot zu schaffen und Politik für Jugendliche interessant zu machen. Damit bleibt eine Stadt ja auch attraktiv und zukunftsfähig. Mein Ziel als Vorstand ist es, dass wir bis Ende 2025 einen höheren Anteil an Städten haben, die sich bemühen, einen Kinder- und Jugendrat einzurichten, der sich dann auch im Kinder-und Jugendrat NRW stark- macht. Auch auf höherer politischer Ebene fehlt die direkte Partizipation von Jugendlichen noch.
Wie kann der Kinder- und Jugendrat NRW Veränderung bewirken?
Ayman Ryari: Wir haben schon Druck gemacht, indem wir beispielsweise Antragspakete und einen Forderungskatalog auf Landesebene gestellt und Gespräche mit der Landespolitik geführt haben. Ich möchte aber, dass wir uns bundesweit noch stärker vernetzen, dann könnten wir erheblich mehr bewirken. Mein Traum wäre ein Dachverband aller Bundesländer und ein kleines Parlament mit einem oder zwei Vertreter*innen aus jedem Land. Dort würden die Meinungen aller Jugendlichen zusammengeführt, man bearbeitet die Probleme, kommt auf einen gemeinsamen Nenner und sagt dann: Das will die Jugend in Deutschland, das müssen wir durchsetzen. Damit könnten wir dann auch an Bundestag und Bundesregierung herantreten.
Warum ist es so wichtig, dass sich Kinder und Jugendliche selbst für ihre Rechte einsetzen?
Ayman Ryari: Es ist natürlich überzeugender und authentischer, wenn Jugendliche für ihre eigenen Wünsche sprechen, anstatt dass ein Erwachsener erklärt, was sie möchten. Außerdem zeigen Jugendliche dadurch, dass sie sich beteiligen und engagieren wollen und wie wichtig ihnen Themen und deren Durchsetzung sind. Jugendliche werden oft unterschätzt. Deswegen ist es wichtig, dass sie für sich selbst sprechen und Erwachsenen das Gegenteil beweisen.
Möchtest du auch etwas in deiner Stadt bewirken oder dein Leben als Bürger*in dieser Stadt verändern? Dann komm in den Kinder- und Jugendrat.
Nicht alle sind von sich aus so engagiert und aktiv wie du. Wie motiviert man Kinder und Jugendliche, sich zu beteiligen?
Ayman Ryari: Man muss Politik attraktiv machen, spätestens in der Schule. Das hängt natürlich auch viel von der Lehrkraft ab. Wenn diese das Thema mit Überzeugung vermittelt und erklärt, wie wichtig es ist, dass Jugendliche etwas sagen und dass ihre Stimme zählt, dann wirkt das.
Der Landesjugendring lud jüngst zum Netzwerktreffen mit dem Titel Be(nach)teiligt? – Partizipation ermöglichen, auch für Kinder und Jugendliche in Benachteiligungslagen ein. Wie kann Beteiligung dort ermöglicht werden?
Ayman Ryari: Man muss aktiv in sozialökonomisch schwächere Gebiete der Stadt gehen, um die jungen Menschen dort zu erreichen. Man kann ja einfach Flyer in Briefkästen werfen, auf denen steht: „Möchtest du auch etwas in deiner Stadt bewirken oder dein Leben als Bürger*in dieser Stadt verändern? Dann komm in den Kinder- und Jugendrat.“ Wir brauchen den direkten Kontakt zu den Leuten. Ich bin Ansprechpartner für alle, jede*r kann direkt auf mich zukommen. Das ist mein Job, und das mache ich gerne.
Gibt es bei manchen jungen Menschen auch eine Hemmschwelle, in einem Gremium wie dem Kinder- und Jugendrat mitzumachen – dass sie etwa denken, sie könnten das nicht?
Ayman Ryari: Das gibt es öfter als gedacht. Vielen Jugendlichen fehlt es aber gar nicht an Kompetenz, sondern einfach nur an Selbstbewusstsein. Ich versuche immer wieder, zu vermitteln: Du bist mehr als fähig genug, dich politisch zu beteiligen. Wir sind sehr froh über jede Person, die mitmacht. Diese Angst vor Fehlern, die man vielleicht in der Schule hat, gibt es im Kinder- und Jugendrat nicht. Es gibt keine falschen Antworten, es gilt, seine Meinung geäußert zu haben. Das ist das Wichtigste.
Hast du Schwerpunkt- oder Herzensthemen?
Ayman Ryari: Ja, Jugendpolitik und schulische Bildung beziehungsweise Ausbau der schulischen Infrastruktur. Als erster Vorsitzender des Jugendrates in Iserlohn bin ich aber in fast jeder Arbeitsgruppe dabei. In der AG Agrar und Umwelt veranstalten wir zusammen mit dem Bürgermeister regelmäßig eine Bienendemonstration. Wir haben ein Kleidertauschcafé und wie bereits erwähnt ein Jugendkulturcafé eröffnet. Außerdem machen wir den Podcast Fit für Politik, in dem wir Kommunalpolitik einfach erklären. Das ist nur ein Bruchteil von den Projekten, die wir in unserem Gremium haben.
Was war deine bisher beste Erfahrung im Kinder- und Jugendrat?
Ayman Ryari: Das mit Abstand beste Gefühl war, als ich erst im Kinder- und Jugendrat Iserlohn zum ersten Vorsitzenden und jetzt auch als Vorstandsmitglied ins Sprecher*innenteam des Kinder- und Jugendrates NRW gewählt wurde. Es ist ein wirklich atemberaubendes Gefühl, wenn man das Vertrauen der Jugendlichen bekommt und merkt, dass sie auf mich zählen. Es besteht ein tief verankertes Bedürfnis, die Menschen nicht zu enttäuschen und alles in seiner Macht Stehende zu tun, um gegebene Versprechen einzuhalten und sich für das Wohl der Kinder und Jugendlichen einzusetzen.
Macht man manchmal auch die Erfahrung, dass sich etwas nicht durchsetzen lässt? Und ist das vielleicht gar nicht schlecht, weil es einem ein Gefühl dafür gibt, wie Politik funktioniert?
Ayman Ryari: Sich in der Politik zu engagieren, ist ein Lernprozess. Politik ist kein Phantasialand. Man kehrt am Anfang schon ein bisschen auf den Boden der Tatsachen zurück. Demokratische Prozesse und Kompromissfindung sind zeitaufwendig, und man merkt, dass man nicht einfach alles direkt umsetzen kann. Es erfordert Arbeit, Diskussionen, Absprachen. Als wir das Jugendkulturcafé in Iserlohn eröffnen wollten, haben wir Räume in Stadtnähe gesucht, einen Businessplan erstellt und ein Konzept für die Einrichtung entworfen. Und dann hieß es aus der Politik: Das ist finanziell nicht möglich, das sollte circa 250.000 Euro kosten. Daraufhin haben wir gesagt: Okay, vielleicht finden wir eine günstigere Variante. Und das haben wir dann auch, sodass wir am Ende 25.000 Euro genehmigt bekommen und daraus das Beste gezaubert haben. Das war nicht das Ziel, das wir am Anfang vor Augen hatten – aber es ist eine Version davon.
Gremien für Kinder und Jugendliche
Demokratie erleben
Der Kinder- und Jugendrat NRW ist die Landesvertretung aller Kinder- und Jugendgremien in Nordrhein-Westfalen. In dem Dachverband tauschen sich Kinder und Jugendliche über ihre Themen aus und entwickeln gemeinsame landespolitische Positionen. Außerdem organisieren und setzen sie eigene Projekte um. Kommunale Kinder- und Jugendgremien, die sich vor Ort für Partizipation engagieren, können Delegierte in die Sitzungen entsenden. Im Landesjugendring (LJR) NRW haben sich 25 Jugendverbände und ein Anschlussverband zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. Der LJR vertritt die Interessen junger Menschen und der Jugendverbände in der Öffentlichkeit sowie gegenüber der Politik. Er engagiert sich für Themen wie Bildungsbenachteiligung, Inklusion oder Kinder- und Jugendarmut.