Der Begriff der Heimat hat seit einigen Jahren wieder Hochkonjunktur. Alles lässt sich damit vermarkten, allem lässt sich damit ein wohliges Gefühl der Geborgenheit anheften. Heimat scheint heute vor allem als Konsumgegenstand aufzutreten. Aber auch die ursprüngliche, in der Romantik entstandene Bedeutung, in der Heimat eine antimoderne Sehnsucht nach überhistorischen und unveränderlichen identitätsstiftenden Bezugspunkten verkörpert, findet sich in heutigen Diskursen wieder. So lassen sich die Umbenennungen von Ministerien in diesem Kontext begreifen – unter der schwarz-gelben Landesregierung wurde in NRW 2017 das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung (seit 2022 Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung; Anmerk. d. Red.) neu geschaffen und im Bund erfolgte 2018 unter CSU-Innenminister Horst Seehofer die Umbenennung des Innenministeriums in Bundesministerium des Innern und für Heimat. Mit diesen Umbenennungen wird der Begriff der Heimat zu einer Angelegenheit nationaler Politik mit vielfältigen Auswirkungen. Nicht zuletzt wird das Thema über Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien für die schulische Bildungsarbeit relevant. Dies zeigt sich beispielsweise in der Heimat-Box des nordrhein-westfälischen Heimatministeriums, die allen Schulen in NRW kostenlos und ungefragt zugesendet wird.
Die extrem rechte Identitäre Bewegung hat seit 2013 mit Parolen wie ,Heimatliebe ist kein Verbrechen‘ versucht, ihren völkischen Nationalismus smart und modern zu verpacken.
Heimatbegriff im politischen Mehrheitsdiskurs bestärkt rechte und extrem rechte Positionen und Kräfte
Dabei erfolgte der Aufstieg des Begriffs Heimat nicht zufällig parallel zum sogenannten Rechtsruck der deutschen Gesellschaft, also parallel zum Aufstieg der AfD ab 2013, und beschleunigt sich seit dem verstärkten Zuzug geflüchteter Menschen infolge des Krieges in Syrien seit 2015. Ähnlich wie bei dem gescheiterten Landtagswahlkampf der CSU 2018 in Bayern wird mit der Übernahme des Heimatbegriffs versucht, die Topoi der extremen Rechten – nationale Zugehörigkeit, Tradition, Leitkultur – demokratisch aufzugreifen, sie neu zu besetzen und umzudeuten. Allerdings macht man Rechten das Feld nicht streitig, indem man versucht, sich ihnen anzunähern. Rechten macht man das Feld streitig, indem man ihnen widerspricht. Dies musste auch die CSU feststellen, die 2018 mehr Wähler*innen an DIE GRÜNEN als an die AfD verlor und ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1950 erhielt.
Die Übernahme des Heimatbegriffs in den politischen Mehrheitsdiskurs der deutschen Gesellschaft ist dementsprechend als Ergebnis und Erfolg der Diskursstrategien der populistischen extremen Rechten zu verstehen. Er kann als Folge sowie als Ausdruck einer gestiegenen Diskursmacht rechter und extrem rechter Positionen und Kräfte in der deutschen Gesellschaft gesehen werden. Die extrem rechte Identitäre Bewegung hat seit 2013 mit Parolen wie „Heimatliebe ist kein Verbrechen“ versucht, ihren völkischen Nationalismus smart und modern zu verpacken und zu verbreiten. Ihr zentraler Slogan „Heimat–Freiheit–Tradition“ stellt die harmlos aussehende Fassade für ihr rassistisches wie völkisches Konzept des Ethnopluralismus dar. Dieses Konzept kann als modernisierte Variante der historischen „Volksgemeinschaft“ des Nationalsozialismus begriffen werden, bei dem der Begründungszusammenhang der „Rasse“ durch den der „Kultur“ ersetzt wurde. Allerdings geht es dabei nicht um einen offenen und pluralistischen Kulturbegriff. Es geht in diesem Kontext um einen geschlossenen, essenzialistischen Kulturbegriff, der die Menschen ebenso unabänderlich bestimmt wie im Konzept von Blut und Boden.
Und auch bei der AfD – laut Alexander Gauland die „einzig wahre Heimatpartei“ – konnte Georg Schuppener, Professor an der Universität Ústí nad Labem in Tschechien, bei einer Untersuchung von 18 Wahlprogrammen der AfD zwischen 2016 und 2020 feststellen, dass der Begriff der Heimat als Abwehrbegriff in den rassistischen Konzepten der AfD eine wichtige, wenn nicht gar eine zentrale Rolle spielt. Das vermeintlich Geborgenheit und Identität bietende Heimatkonzept wird in den Vordergrund gestellt, das Abweisen beziehungsweise Fernhalten von Geflüchteten bildet jedoch den Kern der Forderung. Es dient in diesem Bedeutungszusammenhang als Grundlage und Kristallisationspunkt für Rassismus, Ablehnung von Migration und Zurückweisung von Geflüchteten.
Bei den derzeitigen Diskursen zwecks Modernisierung des Begriffs der Heimat unter Berücksichtigung der Realitäten einer Einwanderungsgesellschaft ist Skepsis angebracht.
Studien belegen die reaktionäre Bedeutung des Heimatbegriffs
Die Bedeutung des Begriffs Heimat war in Deutschland immer eine reaktionäre. Man hat mit ihm versucht, gesellschaftliche Neuerungen und die Zumutungen der Moderne abzuwehren. Diese Bedeutungsgeschichte wird von der extremen Rechten aufgegriffen und haftet dem Begriff an, was sich auch empirisch zeigt. Der Thüringen-Monitor – eine Studie zu den politischen Einstellungen der Thüringer*innen, die seit 2000 von der Universität Jena erhoben wird – hatte im Jahr 2018 den Schwerpunkt „Heimat Thüringen“. Hierbei zeigte sich, dass die Thüringer*innen überdurchschnittlich heimatverbunden sind: Während bei einer bundesweiten Allensbach-Befragung 77 Prozent angaben, mit ihrer Heimat stark oder sehr stark verbunden zu sein, fanden in Thüringen 96 Prozent der Befragten Heimat eher wichtig oder sehr wichtig. Mit dem Gefühl der Heimatverbundenheit nehmen allerdings auch Tendenzen der Ausgrenzung und des Rassismus zu. Die Autor*innen der Studie kommen zu dem Ergebnis, dass „Heimatverbundenheit, Vorstellungen von einer exklusiven Gemeinschaft der Ansässigen und Ausgrenzung von ‚Fremden‘ […] einen Zusammenhang“ bilden. Das wundert nicht, ist doch Sprache, wie wir seit Jahrzehnten aus der soziologischen Forschung wissen, das Koordinatensystem zur Erschließung, Deutung und Bewertung von Realität.
Heimatdebatte trägt zur Entpolitisierung gesellschaftlicher Probleme bei
Die Erfolge der extremen Rechten in Deutschland sowie in diesem Zusammenhang auch der Aufstieg des Heimatbegriffs basieren nicht unwesentlich auf der Wahrnehmung zunehmender gesellschaftlicher Krisen, auf gesellschaftlichen Desintegrationserfahrungen und damit einhergehenden Unsicherheitsgefühlen bei sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen. Der Diskurs über die Heimat versucht nicht zuletzt, den Begriff als Ressource für Vergemeinschaftung und Zusammenhalt in Stellung zu bringen. Im Kontext der Umbenennung des Innenministeriums hat eben dies Horst Seehofer im April 2018 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) deutlich gemacht: Nation und Leitkultur seien mittlerweile zu „streitbelastet“. Der Heimatbegriff dient mithin als Chiffre. Mit den problematischen Aufladungen der Leitkulturdebatte versehen geht es hier also um Identität, Zugehörigkeit und Anpassung. Nicht nur, aber eben auch im Kontext der Migrationsgesellschaft.
Und wenn wir beim Kontext der Migrationsgesellschaft bleiben, dann stellt sich die Frage, warum zum Teil vor Generationen zugewanderte Menschen hierzulande nun auch noch ein Heimatgefühl entwickeln sollen oder sich damit auseinandersetzen sollen, ob sie gar deren zwei haben (können). Ein Gefühl der Geborgenheit stellt sich ja letztendlich über gelingende Sozialbeziehungen, soziale und ökonomische Sicherheit sowie durch Möglichkeiten der aktiven Aneignung von Gesellschaft, sprich Partizipations- und Teilhabemöglichkeiten, ein. Lassen sich diese Bedingungen in einer Gesellschaft herstellen, dann kommen Menschen auch in dieser an. Emotional, aber vor allem auch sozial und politisch.
Und diese Grundproblematik ist dem Diskurs um Heimat inhärent. Entscheidend ist, dass sich die Sehnsucht der Menschen nach Geborgenheit aus einer realen Erfahrung speist, und zwar aus einer der Entfremdung, des Kontrollverlustes und der sozialen Desintegration. Der Begriff der Heimat als Identitätsangebot löst aber die dem Bedürfnis zugrunde liegenden realen Probleme nicht. Vielmehr überdeckt die Heimatdebatte die materiellen Ursachen der Entfremdung und geht einher mit einer Entpolitisierung gesellschaftlicher Probleme. Will man die Frage nach dem Zusammenhalt einer Gesellschaft in einer Zeit multipler Krisen ernsthaft stellen und will man die Ursachen allgemeiner gesellschaftlicher Verunsicherung ernsthaft angehen, dann ist der Begriff der Heimat dafür denkbar ungeeignet. Er trägt geschichtlich nicht nur den Keim der Spaltung in das „Eigene“ und das „Fremde“ mit sich, er stellt schlicht die falschen Fragen.
Gesellschaftliche Herausforderungen brauchen politische und soziale Antworten
Die richtige Frage wäre, wie Menschen sich in einer Gesellschaft sicher und geborgen fühlen können und wie man diese Bedingungen politisch herstellen kann. Da geht es dann eher um Fragen zur Sicherung und zum Ausbau des Sozialstaats, zur Herstellung von Chancengleichheit in der Bildung, Fragen nach der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung von Arm und Reich und zu den Gestaltungsmöglichkeiten der Menschen in ihren sozialen Nahräumen. Ein Begriff, der diese Fragen aufgreift, Menschen auch emotional über vermittelte menschliche Beziehungen ansprechen und für die politische Gestaltung ihrer Lebensbedingungen aktivieren könnte, wäre der Begriff der Solidarität. Da ginge es dann nicht um Herkunft und Orte, sondern um die Menschen, die diese wertvoll machen. Da ginge es nicht um die Bewahrung der Vergangenheit, sondern um die Gestaltung der Zukunft. Derzeit befindet sich der Begriff kaum im diskursiven Angebot. Dies ist charakteristisch für eine „demobilisierte Klassengesellschaft“, wie der Soziologe Klaus Dörre Gesellschaften bezeichnet, in denen Klassenverhältnisse herrschen und soziale Spaltungen zunehmen, zugleich aber abhängig Beschäftigte zunehmend schlecht organisiert und repräsentiert sind. Der Begriff müsste über breite demokratische und inklusive Aushandlungen über die politische Gestaltung einer Gesellschaft, in der wir leben wollen, wieder verankert werden.
Bei den derzeitigen Diskursen zwecks Modernisierung des Begriffs der Heimat unter Berücksichtigung der Realitäten einer interkulturellen Einwanderungsgesellschaft ist Skepsis angebracht. Zum einen verschwinden geschichtliche, sozialisationsbedingt tief in den Menschen und im Diskurs verankerte reaktionäre Bedeutungskontexte eines Begriffs nicht so einfach. Wenn überhaupt liegt hier die Hoffnung auf den Debatten, die unter Einbeziehung migrantischer Menschen stattfinden. Zum anderen trägt die in den Diskursen um Heimat zu beobachtende Tendenz der individualistischen Umdeutung und Neubesetzung das Problem mit sich, dass man mit einem rein individuell gefüllten oder umgedeuteten Begriff eigentlich gar keine gesellschaftliche Diskussion führen kann. Es reden ja alle über etwas anderes. Kontexte und Bedeutungszusammenhänge – Frames – braucht es, um überhaupt Verständigung in einer Gesellschaft zu erreichen. Diese kann man nicht einfach negieren oder ad hoc neu fassen.
Will man dennoch den Versuch unternehmen, den Begriff Heimat inklusiv und offen umzudefinieren – und im schulischen Kontext scheint es da kaum eine Wahl zu geben –, so wäre die kritische Einordnung des Begriffs und eine Erörterung seiner reaktionären geschichtlichen Aufladungen eine Minimalbedingung des potenziellen Erfolgs dieser Unternehmung. Und vor allem gilt dabei: sich von den Debatten um Heimat, von den gesellschaftlichen Herausforderungen und den nötigen politischen wie sozialen Antworten nicht ablenken zu lassen. Dabei hilft mit Sicherheit ein Wert wie der der Solidarität. Und darüber lässt sich vielleicht auch diskutieren, was das eigentliche Ziel sein müsste: Dass niemand mehr den Heimatbegriff mit seinen Belastungen braucht, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse so sind, dass man – in Anlehnung an Theodor W. Adornos Forderung – „ohne Angst verschieden sein“ kann.