lautstark. 02.08.2023

GEW-Mitglieder erzählen von ihren Streikerlebnissen

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„Und dann packt es euch!“

Raus auf die Straße! Auch das ist Tarifarbeit. Acht GEW-Kolleg*innen haben wir gefragt, was das Streiken für sie bedeutet. Sie erzählen von Karnevalswagen und Kutschen, von Theaterstücken und Pyrotechnik und vom ganz großen Gemeinschaftsgefühl.

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  • Ausgabe: lautstark. 04/2023 | Tarifarbeit: Gemeinsam stark
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Jochen Bauer
Jochen Bauer ist 64 Jahre alt und Lehrer an der Willy-Brandt Gesamtschule Bochum. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Hauptpersonalrats Gesamt-, Sekundar-, Gemeinschafts- und PRIMUS-Schulen.

Im Streikbus auf dem Weg zur großen Kundgebung in Düsseldorf habe ich mit vielen Kolleg*innen zusammengesessen, die noch nie auf einer Demo waren. Ihre Anspannung war deutlich zu spüren. Über 10.000 Gleichgesinnte sind an diesem Tag in die Landeshauptstadt gereist, die Stimmung war großartig und die Nervosität schnell verflogen! Ich erzähle diese Geschichte gerne, um Tarifbeschäftigte für den Streik auf der Straße und Beamt*innen zu Solidarität zu motivieren: Ihr müsst nur einmal dabei sein und dann packt es euch! Ich habe an meiner Schule viele Eins-zu-eins-Gespräche geführt, in Konferenzen für das pädagogische Personal über die GEW-Forderungen informiert und ein Streikcafé organisiert. Ich wünsche mir, dass Behauptungen wie „Die Gewerkschaften erreichen doch nichts“ aufhören. Ich schaue in eine Gehaltsmitteilung von 2016 und stelle fest: Ich erhalte heute 700 Euro netto mehr. Dafür lohnt es sich, zu streiken! Ich wünsche mir, dass noch mehr Kolleg*innen mutig vorangehen und wir gemeinsam für faire Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen kämpfen!

Rainer Kriegel ist 52 Jahre alt, Grundschullehrer in Wuppertal und stellvertretender Vorsitzender des Örtlichen Personalrats.

Warnstreiks sind für mich eine der Möglichkeiten, mich aktiv in der GEWerkschaft einzubringen: Wir ziehen gemeinsam durch die Straßen und zeigen den Arbeitgebern, dass wir für eine Entgelterhöhung kämpfen, von der alle Kolleg*innen profitieren. Doch wir streiken auch für Verbesserungen, die die Lücke zwischen Beamt*innen und Tarifbeschäftigten ein Stück mehr schließen. Je mehr sich beteiligen, desto mehr kann auch miteinander erreicht werden! Wenn mich dann noch das Kollegium ermuntert, zur Kundgebung zu gehen und mir den Rücken stärkt, indem es Vertretungsunterricht verweigert oder selbst kreative Ideen in der Schule umsetzt, zeigt der Streiktag Wirkung. So hat es vor einigen Jahren zum Beispiel der Einsatz von Kutschen in Wuppertal, um die Gutsherrenart der Arbeitgeber zu verdeutlichen, bis in die Tagesthemen geschafft.

Vanessa Yasmin Scholl
Vanessa Yasmin Scholl ist 36 Jahre alt und Lehrerin in Wuppertal. Sie ist Bezirkspersonalrätin in Düsseldorf und im Hauptpersonalrat Gesamt-, Sekundar-, Gemeinschafts- und PRIMUS-Schulen.

Gerade in der heutigen Zeit sollte der Fokus wieder mehr auf das soziale und solidarische Miteinander gelegt werden! Der Lehrer*innenberuf verlangt allen an Schulen Beschäftigten zunehmend mehr ab – sowohl durch immer mehr und immer verschiedenartigere Aufgaben als auch durch die psychische Belastung. Daher ist es umso wichtiger, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und sich zusammen für bessere Arbeitskonditionen und eine angemessene Bezahlung für alle Beschäftigten an Schulen einzusetzen. Denn: Vun nix kütt nix! Ich bin im Herbst 2023 auf jeden Fall auf der Straße dabei.

Gabi Wegner
Gabi Wegner ist 63 Jahre alt und Lehrerin an der Gesamtschule Duisburg Meiderich. Sie ist Vorsitzende des Personalrats Gesamtschulen bei der Bezirksregierung Düsseldorf.

Meine Teilnahme an Warnstreiks steht außer Frage, denn Streiks sind das Mittel der Gewerkschaften, um Tarifforderungen durchzusetzen. Durch persönliche Ansprache, Erklärung der Forderungen und deren Auswirkungen für alle konnte ich schon viele Kolleg*innen überzeugen, aktiv an Demos teilzunehmen und keine Streikbrecher*innen zu sein. Für die anstehende Tarifrunde TV-L im Herbst wünsche ich mir, dass noch mehr bisher Nichtstreikende auf die Straße gehen und zum Beispiel Unterrichtsgänge zu den Demonstrationen organisieren. Vielleicht können sie dann, genau wie ich vor einigen Jahren, im Düsseldorfer Demozug auf einem Karnevalswagen mitfahren und sich von der Stimmung beim gemeinsamen Singen und Tanzen mitreißen lassen! So funktioniert Solidarität und die bedeutet für mich, füreinander einstehen, um vielen Einzelnen eine unüberhörbare Stimme zu geben.

Klaus Neufeldt
Klaus Neufeldt ist 69 Jahre alt und Vorstandsmitglied der GEW Viersen sowie DGB-Kreisvorsitzender.

Als ehemaliger Tarifbeschäftigter, jahrelanges Mitglied im Ausschuss für Tarifpolitik (ATP) der GEW NRW und vor allem als Streiter für Tarifgerechtigkeit ist mein Motto: „Flagge zeigen – ungebrochen solidarisch!“ Ich möchte allen Mut machen, sich bei der kommenden Tarifrunde einzusetzen und sich für berechtigte Interessen in den Bildungseinrichtungen und im Tarifkampf auf der Straße zu engagieren. Bis heute ist keine Gerechtigkeit hergestellt – schon gar nicht zwischen tarifbeschäftigten und beamteten Akteur*innen. Umso mehr lohnt es sich, für die Forderungen zu kämpfen, die die GEW 2023 auf der Agenda haben wird! Als GEW-Tarifsparschwein bin ich oft Bedenkenträger*innen begegnet: „Das bringt doch alles nichts!” Da muss ich widersprechen: Doch! Jede prozentuale Erhöhung, jede Stufenverbesserung – all diese Änderungen bewirken auch etwas. Gerade in Krisenzeiten, wo der Arbeitgeber sparen will, ist unser Einsatz doppelt wichtig. Wir müssen öffentlich sichtbar sein und wirksam Druck machen. Lasst uns ungebrochen Solidarität zeigen, Tarifbeschäftigte wie Beamt*innen. Ich bin dabei!

Martin Heuer
Martin Heuer ist 59 Jahre alt und arbeitet seit 2002 an einer Hauptschule in Dortmund.

Die Tarifrunde im Frühjahr 2015 wird mir immer in Erinnerung bleiben! Mussten wir uns doch mit Kreativität einer bis dahin neuen Taktik widmen und ich mich persönlich in der Rolle des Finanzministers ausbuhen lassen: Damals waren wir besonders wütend über die Ignoranz der Verhandlungsführer. Es gab keine Signale seitens der Arbeitgeber, ein ordentliches Ergebnis erreichen zu wollen. Sogar die betriebliche Rentenversicherung für Tarifbeschäftigte wurde hinterfragt. Unsere Warnstreiks mussten groß werden und somit planten wir erstmals, rotierend an verschiedenen Standorten zu streiken. Aber wie erklären wir Neulingen den Tarifstreit und warum er zustande kommt? Wir führten ein kleines Theaterstück mit dem Titel „Der Arbeitgeber und die Tarifangestellten“ auf, kreierten Plakate, malten Luftballons, T-Shirts und Regenschirme an. Mit vielen öffentlich wirksamen Aktionen konnten wir unsere Forderungen nach der Einführung der Stufe 6 und 6 Prozent mehr Lohn gut vermitteln. Die Stufe 6 für Bestandslehrkräfte kam eine Verhandlungsrunde später. 2015 konnten wir 5,5 Prozent mehr Lohn und die Rettung der betrieblichen Rentenversicherung für uns verbuchen. Es lohnt sich einfach, immer und konsequent gerechte Bezahlung einzufordern!

Ann-Kathrin Hoffmann
Ann-Kathrin Hoffmann ist 28 Jahre alt und arbeitet als wissenschaftliche Online-Tutorin an der FernUniversität in Hagen.

Berlin 2018: Mein erster Streik als studentische Beschäftigte. Über 40 Tage, dann der Erfolg: Der TVStud III war abgeschlossen! Mit diesen Bildern im Kopf 2021 in die TV-L-Runde zu gehen, in dem Wissen, ich bin Teil einer wachsenden bundesweiten Bewegung, die sich selbst nach knapp 30 Jahren wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat, war unglaublich! In Hamburg hatten TVStud-Kolleg*innen einen Hörsaal als Streikcafé besetzt. Bürorundgang, Telefon-Organizing, Transpis malen – die Aufbruchstimmung fühle ich noch heute! Dann das erste Mal als Streikposten, das erste Mal mit einem Megafon den Wechselgesang während einer Streikdemonstration anstimmen, über die n-tv im Anschluss titelte: „Mit Pyro in den Arbeitskampf. Und abends Glühwein an der Feuertonne. TVStud-Streikromantik at its best.

Antje Adu und Uwe Pfromm
Antje Adu und Uwe Pfromm arbeiten an der Willy-Brandt-Gesamtschule in Castrop-Rauxel und engagieren sich im Bezirkspersonalrat für Gesamt-, Sekundar- und PRIMUS-Schulen in Münster.

Bist du beim Warnstreik dabei? „Da regt mich ja allein die Frage schon auf!“, wie Loriot zu antworten pflegte. Warnstreik ist doch wie Zähneputzen oder zur Wahl gehen. Da gibt es einfach keine Ausrede! Wir organisieren gemeinsam das Streikcafé in Castrop-Rauxel. Verbeamtete Kolleg*innen motivierten uns vor Jahren dazu, am Streik teilzunehmen, denn sie wiederum durften ja eigentlich nicht. Die Kolleg*innen aber haben bis hin zur eigenen Abmahnung selbst teilgenommen und für den Streik mobilisiert. Wir werden nie vergessen, wie sie einen Ausflug fürs Kollegium und Unterrichtsgänge für Schüler*innen, die so demokratische Praxis auf der Straße lernten, an den Streiktagen auf die Beine stellten. Solidarität bedeutet für uns, mit allen und für alle Beschäftigten zu kämpfen. Von unseren verbeamteten Kolleg*innen erwarten wir die gleiche Solidarität wie damals – zum Beispiel in Form von Mitgliedsbeiträgen, die eine starke GEWerkschaft erst ermöglichen.