Die Juristin Ulrike Lembke sieht Behörden in der Pflicht, eine gendergerechte Sprache zu verwenden. In einem Rechtsgutachten kommt die Berliner Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien zu dem Schluss, dass geschlechtergerechte Sprache eine konsequente Umsetzung verfassungsrechtlicher Anforderungen sei. Dazu zählten die Gleichberechtigung von Frauen und Männern sowie die verfassungsrechtliche Anerkennung weiterer Geschlechter. Auftraggeberin des Gutachtens ist die Stadt Hannover, die 2019 eine Pflicht zur Verwendung geschlechtergerechter Sprache inklusive des Gendersterns eingeführt hat.
Genderverbot ist in einigen Bundesländern schon Realität
Doch in vielen Bundesländern läuft die Diskussion in eine ganz andere Richtung. So haben nach Sachsen auch Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Bayern ein Verbot von Gender-Sonderzeichen an Schulen eingeführt. In Hessen wurde ein solches Verbot zumindest angekündigt. Sternchen, Doppelpunkt oder Binnen-I müssen demnach in schriftlichen Arbeiten als Fehler gewertet werden. Seit Sommer 2023 sind in Sachsen auch Kooperationspartner*innen des Kultusministeriums verpflichtet, in der Kommunikation mit Dritten auf die Sonderzeichen verzichten.
Zentraler Bezugspunkt für das Verbot in Sachsen war und ist die Haltung des Rats für deutsche Rechtschreibung: 2021 hatte das Gremium davon abgeraten, die Verwendung von Gender-Sonderzeichen im Wortinneren in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung aufzunehmen. Nach erneuter Diskussion wurden die Sonderzeichen im Dezember 2023 als Sonderzeichen vermerkt; man werde die „weitere Schreibentwicklung beobachten“, ließ das Gremium in einer Pressemitteilung verlauten. Zum Kernbestand der deutschen Sprache gehörten sie aber weiterhin nicht. Denn Sonderzeichen beeinträchtigten „die Verständlichkeit, die Lesbarkeit, die Vorlesbarkeit und die automatische Übersetzbarkeit sowie die Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten“.
Das Genderverbot ist eines von vielen Themen, mit denen die AfD die politische Konkurrenz vor sich hertreibt.
Bürgerliche Parteien übernehmen rechte Diskursstrategien
Solche und ähnliche Argumente macht sich nicht nur die AfD in ihren Forderungen nach einer flächendeckenden Umsetzung des Genderverbots zunutze. Auch bürgerliche Parteien ziehen sie als Referenzpunkte heran und übernehmen damit die Diskursstrategien von Rechtspopulist*innen – wohl auch im Bestreben, eigene Wähler*innen vom Abwandern ins rechte Lager abzuhalten. Das Genderverbot sei damit nur eines von vielen Themen, mit denen die AfD die politische Konkurrenz vor sich hertreibe, sagt Politikwissenschaftlerin Dorothée de Nève von der Universität Gießen. „Ich denke, es geht der AfD nicht wirklich um Sprachpolitik. Dahinter steckt vielmehr ein Kulturkampf gegen die progressive und vielfältige Gesellschaft der Gegenwart.“
Mit der Übernahme rechter Diskursstrategien gestehe die bürgerliche Mitte nicht nur ihre Niederlage gegenüber der politischen Konkurrenz von rechts ein, betont die Wissenschaftlerin. Ein solches Verhalten sei auch strategisch sehr riskant: „Politische Beobachtungen und wissenschaftliche Studien zeigen, dass dieses Verhalten kontraproduktiv ist und die Rechtspopulist*innen und Antidemokrat*innen weiter stärkt.“
Zwar seien die politischen Debatten an sich nicht demokratiegefährdend – wohl aber der Verrat grundlegender Überzeugungen für eine liberale und offene Gesellschaft durch die Parteien der bürgerlichen Mitte: „Für die Demokratie ist es wichtig, dass Demokrat*innen Haltung zeigen und bewahren. Es geht um die eigene Glaubwürdigkeit, die auf dem Spiel steht“, sagt Dorothée de Nève. Ähnlich bewerten es die Vorstandsmitglieder der AG „Sprache in der Politik“ und die Jury der sprachkritischen Aktion „Unwort des Jahres“ in einer gemeinsamen Stellungnahme zu Genderverboten.
Sie warnen vor einer „Aushöhlung der Demokratie durch die Verstärkung rechter Diskursstrategien“. Der Streit um Wörter und um Sprachkonventionen sei ein wichtiges Kennzeichen funktionierender Demokratien. „Sprachgebrauchsverbote durch Institutionen, die mit politischer und rechtlicher Macht ausgestattet sind, hingegen unterdrücken diesen wichtigen, integralen Bestandteil des Meinungskampfs und schränken damit die Meinungsfreiheit ein.“
Lehrkräfte in Sachsen sind mit ungewisser Situation konfrontiert
Auch Eva Gerth, Landesvorsitzende der GEW in Sachsen-Anhalt, wertet das Genderverbot in ihrem Bundesland als „verzweifelten Versuch der CDU, die AfD in diesem Punkt rechts zu überholen“. Der Umgang mit gendersensibler Sprache sei dort seit Langem kontrovers diskutiert worden. „Ich bin immer wieder angegangen worden, weil ich Gendersprache verwende und damit eine vermeintlich falsche Grammatik benutze – doch damit konnte ich umgehen“, sagt Eva Gerth. Nun aber sähen sich Lehrkräfte strukturell mit einer ungewissen Situation konfrontiert.
So seien bisher keine Vorgaben für die Umsetzung des Genderverbots an Schulen in Sachsen-Anhalt bekannt – ebenso wenig wie Sanktionen gegen Verstöße. „Ich gehe davon aus, dass die meisten Lehrkräfte sehr sensibel bewerten, wenn Schüler*innen Genderzeichen in schriftlichen Arbeiten verwenden“, sagt Eva Gerth. Vor allem die Aussicht, den sogenannten Krisenordner überarbeiten zu müssen, hätten viele Betroffene als absurd empfunden: Das Handbuch zur Krisenintervention an Schulen sei durchgehend in gendersensibler Sprache verfasst. „Soweit wir informiert sind, wurde die Vorschrift zur Überarbeitung aber zurückgenommen.“
GEW-Petition gegen das Genderverbot ist in Sachsen-Anhalt noch nicht vom Tisch
Bereits im August, gleich nach Inkrafttreten des Verbots, hat die GEW Sachsen-Anhalt die Rücknahme der neuen Vorschriften gefordert. So sei das Verbot nicht nur von der gesellschaftlichen Realität entkoppelt, betont der GEW-Landesverband in seiner Stellungnahme. Es widerspreche auch den Vorgaben des Schulgesetzes, wonach Schulen zur Förderung der Gleichberechtigung von Menschen, unabhängig etwa von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Identität, beitragen sollten. Sprache sei in diesem Zusammenhang eine wichtige Mittlerin, betont Eva Gerth. Die Bestrebungen der GEW verfolgten keineswegs das Ziel, eine Vorschrift zum Gendern durchzusetzen. „Aber wir wollen keine Sanktionen gegen Menschen, die Wert auf eine gendersensible Sprache legen.“
In der Diskussion über das weitere Vorgehen erreichen die GEW-Landesvorsitzende immer wieder Forderungen nach einer Petition gegen das Genderverbot. „Das ist noch nicht ganz vom Tisch.“ Lehramtsstudierende haben zudem bereits im Februar 2024 einen offenen Brief an Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) geschickt. Der Tenor: Das Genderverbot beflügele rechte Ideologien und trage letztlich dazu bei, dass junge Lehrkräfte das Bundesland verließen – mit gravierenden Folgen für die ohnehin dünne Personaldecke an Sachsen-Anhalts Schulen. „Es wäre wichtiger, Lösungen für den Lehrkräftemangel und die vielen weiteren Probleme zu finden, als ein Genderverbot auf den Weg zu bringen und durchzusetzen“, sagt Eva Gerth.
Trotz Verbots weiter gendern? GEW Bayern will Kolleg*innen den Rücken stärken!
In Bayern, wo das Genderverbot Mitte März 2024 relativ überraschend beschlossen wurde, plant der GEW-Landesverband sein weiteres Vorgehen. Man habe lange gehofft, dass der Vorstoß für ein Verbot im Dezember nur der kurzfristigen Anpassung an die populistischen Aussagen der AfD geschuldet sei, berichtet die bayerische GEW-Vorsitzende, Martina Borgendale: „Dass es nun anders gekommen ist, sorgt für äußerst schlechte Stimmung. In den Kollegien herrscht Verunsicherung, und viele Lehrkräfte sind entsetzt über das Vorgehen des Freistaates als Dienstherren.“ Drei bayerische Lehrerinnen hätten eine Petition gegen das Genderverbot gestartet, die innerhalb von zehn Tagen bereits mehr als 12.000 Stimmen gesammelt habe. „Wir als GEW werden zudem FAQs herausgeben und erörtern, wie das alles rechtlich einzuordnen ist.“
Ich bin immer wieder angegangen worden, weil ich Gendersprache verwende und damit eine vermeintlich falsche Grammatik benutze – doch damit konnte ich umgehen.
In einem Zeitungsinterview hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder Eltern dazu aufgefordert, das Nichteinhalten der neuen Vorgaben durch Lehrkräfte bei Schulleitungen oder sogar beim Kultusministerium zu melden. „Dieses Verhalten ist nicht nur gesellschaftlich gefährlich, weil es den zunehmenden Populismus befeuert. Es ist auch extrem unklug, wenn das Land neue Lehramtsstudierende und Lehrkräfte gewinnen muss in Zeiten eines massiven Lehrer*innenmangels“, betont Martina Borgendale. Großkonzerne wie die Telekom oder Infineon genderten mit Sonderzeichen, was gerade jungen Menschen und Studierenden als Zeichen einer offenen Gesellschaft oft wichtig sei. „Wenn der Ministerpräsident nun öffentlich dazu aufruft, nicht konforme Lehrer*innen zu melden, wirkt das massiv abstoßend. Besonders die Generation Z erwartet auch am Arbeitsplatz ein gewisses Maß an persönlicher Freiheit.“