Es gibt zahlreiche Resilienztrainings, die den Teilnehmenden versprechen, Krisen und Zumutungen des Lebens nicht nur zu meistern, sondern darüber hinaus gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Zwar hat sich im sozialwissenschaftlichen Kontext stets Widerstand gegen ein solch bis in die Haarspitzen neoliberales Resilienzverständnis formiert, aber allein der Umstand, dass ein Konzept zurechtgerückt und eingeordnet werden muss, zeigt seinen umstrittenen Status an.
Unter der Überschrift „Konstellationen der Resilienz von Kindern“ hat sich ein Zusammenschluss von Forscher*innen der Technischen Hochschule Köln und des Instituts für soziale Arbeit e. V. (ISA) 2021 auf den Weg gemacht, um im Rahmen der Förderrichtlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) „Abbau von Bildungsbarrieren“ zum Thema Resilienz zu forschen. Dabei wurde der Begriff der Konstellation in das Projekt eingeführt, um zu vermeiden, Resilienz als eine individuelle Eigenschaft zu begreifen.
Resilienz als Schlüsselbegriff des 21. Jahrhunderts
Als wir unsere Forschungsreise antraten, war der Konstellationenbegriff also eher ein Gegenbegriff und inhaltlich sehr vage. Als explorativ-qualitatives Forschungsprojekt galt es überhaupt erst, Konstellationen begrifflich näher zu umreißen. Dazu führten wir zunächst an Grundschulen Gruppeninterviews, bei denen neben Lehrkräften teilweise auch die Schulsozialarbeit vertreten war, und regten Gruppendiskussionen zum Thema „gelingendes Aufwachsen unter widrigen Bedingungen“ an.
Auch diese normativen Begriffe ließen wir offen und überließen sie damit der Definitionsmacht der Befragten. Anschließend sprachen wir mit Kindern, die uns von den Lehrer*innen als resilient empfohlen wurden, interviewten deren Eltern und weitere involvierte Akteur*innen wie Familienhelfer*innen.
Kultursoziologe Ulrich Bröckling beschreibt Resilienz als Schlüsselbegriff des 21. Jahrhunderts und verweist darauf, dass diesem eine Paradoxie eingeschrieben sei. Und es existiere eine Verwandtschaft zum Begriff der Prävention: Geht es beim Konzept der Prävention um Vermeidung, indem ein Problem gelöst wird, das noch gar nicht eingetreten ist, wünscht man sich, durch Resilienz Krisen zu bewältigen, die bislang im Bereich des Unbekannten liegen. Nicht zufällig machte der Begriff im Nachgang zu den Anschlägen auf das World Trade Center Karriere. Paradoxien machen Konzepte soziologisch interessant. Sie zeigen an, dass Akteur*innen am Werk sind, die handeln und nicht nur wie Automaten reagieren.
Den Umgang mit Zumutungen haben wir nie bedingungslos in der Hand
In unserem Fall geht es meist um gelingendes Aufwachsen unter widrigen Bedingungen. Oft wird von den Befragten gelingendes Aufwachsen mit Schulerfolg gleichgesetzt; etwas, das wir aus der statistischen Operationalisierung kennen, nach der Grundschulen etwa mit Übergangsquoten zum Gymnasium bewertet werden. Im Konkreten haben wir beispielsweise mit Kindern gesprochen, die vor Krieg und Gewalt geflohen sind. Sie stehen zu Hause und in der Schule vor verschiedensten Herausforderungen, haben aber dennoch eine Übergangsempfehlung zum Gymnasium bekommen.
Manche der Kinder passen voll und ganz in das Paradigma der unermüdlich Fleißigen, bringen es aber dennoch nicht so weit wie ihre Klassenkamerad*innen aus privilegierten Elternhäusern und entlarven den Anspruch auf ein leistungsgerechtes Schulsystem als ein nicht eingelöstes Versprechen. Auch Lehrkräfte gehen unterschiedlich mit den Zumutungen des Alltags um, die ihr Beruf mit sich bringt. Wobei die Formulierung genau genommen falsch ist, weil sie nahelegt, dass Lehrer*innen eben jenen Umgang bedingungslos in der Hand hätten.
Bleiben wir also zunächst auf der Beschreibungsebene: Wir führten Interviews an einer Grundschule, welche in einem Stadtteil liegt, der bereits bundesweit als sozialer Brennpunkt durch die Presse ging. An dieser Schule werden kollektiv die meisten Erwartungen, die man an einen „normalen“ Schulbetrieb stellen könnte, hinterfragt und zurückgestellt – vermutlich weil die Bedingungen es nicht anders zulassen. Das geht sogar so weit, dass es Bestrebungen gibt, neben dem offiziellen Zeugnis ein weiteres Zeugnis einzuführen, das andere Kompetenzen abbildet, die ansonsten untergehen würden.
Es braucht mehr als Optimismus und Training, um den Hebel umzulegen
Während an anderen Grundschulen Kinder morgens ausgesperrt werden, um sie und ihre Eltern zur Pünktlichkeit zu disziplinieren, ist man an dieser Schule froh, wenn die Kinder überhaupt den Weg zur Schule finden. Auch gibt es dort kein Klagen über eine marode Bausubstanz oder ein mangelndes Engagement der Eltern. Letzteres wird eher als Chance begriffen, mit den Kindern pädagogisch arbeiten zu können. Anderenorts übliche Erwartungen fallen zu lassen, bewirkt zudem eine Öffnung für das Erleben pädagogischer Selbstwirksamkeit. Die Kinder werden nach dem alten Grundsatz dort abgeholt, wo sie stehen, und nicht zurückgelassen, weil sie bestimmte Standards nicht erfüllen.
Eben weil die Grenzen des pädagogisch Vermittelbaren an die vorgefundenen Bedingungen angepasst werden, öffnen sich weitere Türen. Manche Kinder beginnen, sich von selbst für die offiziellen Unterrichtsinhalte zu begeistern. Hängt nun alles von den Deutungsmustern vor Ort ab? Gewiss ist es so, dass dieselbe Situation unterschiedlich interpretiert werden kann. Nicht umsonst wird das halb gefüllte Wasserglas im Resilienzkontext oft zitiert und damit suggeriert, dass wir es selbst in der Hand haben.
Und ja: Optimismus mag beispielsweise helfen, Situationen zu lösen, die auf den ersten Blick unlösbar erscheinen. Optimistische Deutungsmuster lassen sich aber nicht herbeischnipsen, sondern sie enthalten einen Moment der Unverfügbarkeit. Denn wenn der Pessimismus als Misstrauen gegenüber der kontingenten Zukunft in der Welt ist und darüber hinaus durch Erfahrungen in der Vergangenheit gestützt wird, braucht es nicht einfach nur ein bisschen Training, um den Hebel umzulegen.
Wie macht Schule gelingendes Aufwachsen unter widrigen Bedingungen möglich?
In der Forscher*innengruppe müssen wir uns von Zeit zu Zeit wechselseitig daran erinnern, dass die unterschiedlichen Herangehensweisen an den pädagogischen Alltag höchstwahrscheinlich nicht über das individuelle Erwartungsmanagement zu erklären sind, sondern dass Erwartungen auf eine Konstellation treffen, die wiederum bestimmte Strategien begünstigen. Unsere Interpretation läuft im Kern darauf hinaus, dass die Bereitschaft zur Reorganisierung von Erwartungen dann begünstigt wird, wenn hegemoniale Erwartungen sehr massiv infrage stehen und darüber hinaus Out-of-the-Box-Strategien in der Umwelt – etwa der Zivilgesellschaft oder der Elternschaft – als Lösungsmöglichkeit anerkannt werden.
Diese Anerkennung zu organisieren, halten wir für möglich. Hierzu bedarf es Netzwerke, in denen relevante Akteur*innen zusammenfinden, die die Lebenswelt Schule gestalten und sich gegenseitig hören und stützen. Überhaupt macht es unseres Erachtens einen großen Unterschied, ob sich das Kollegium mit seinen Problemen vor Ort gehört fühlt oder eben nicht. Welche weiteren Konsequenzen und Gestaltungsmöglichkeiten sich aus unseren Forschungsergebnissen ableiten lassen, möchten wir im Rahmen unserer Bilanztagung (→ Infokasten) gemeinsam mit Vertreter*innen verschiedener Praxisfelder diskutieren.
Bilanztagung
KoReKi gemeinsam weiterdenken
Was genau ermöglicht gelingendes Aufwachsen in von Armut betroffenen Milieus? Im Rahmen der Bilanztagung werden zentrale Ergebnisse des Forschungsprojekts „Konstellationen der Resilienz von Kindern (KoReKi)“ vorgestellt und mit einer interessierten Fachöffentlichkeit aus Wissenschaft und Praxis in ihrer Bedeutung für schulische, pädagogische und kommunal- beziehungsweise bildungspolitische Handlungsfelder diskutiert. Ziel der Bilanztagung ist es, gemeinsam Ansatzpunkte für den weitergehenden Abbau von Bildungsbarrieren zu identifizieren und in die eigenen Netzwerke mitzunehmen.
Wann: Dienstag, 25. Juni 2024, 10–16 Uhr
Wo: Tagungshotel Wyndham Duisburger Hof
Kosten: Die Teilnahme ist kostenfrei
Anmeldung: bis zum 14. Juni 2024 hier anmelden