lautstark. 05.05.2021

Wirtschaftsforschung: Den Reichen auf der Spur

CoronaChancengleichheit

Die großen Unbekannten?

Wer sind sie, diese Reichen, von denen Medien und Politik gern sprechen? Was wissen wir über sie? Woran lässt sich Reichtum festmachen? Dr. Markus M. Grabka ist Wirtschaftswissenschaftler am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und setzt zur Erhebung von Reichtum auf das Vermögen.

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  • Ausgabe: lautstark. 03/2021 | Arm und Reich: Schieflagen ausgleichen
  • im Interview: Markus M. Grabka
  • Funktion: Wirtschaftswissenschaftler am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung
  • Interview von: Roma Hering
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Wer gilt in Deutschland als reich?

Markus M. Grabka: Zunächst müssen wir uns darauf verständigen, was Reichtum ist, denn darüber gibt es in der Forschung unterschiedliche Vorstellungen. Im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung beispielsweise wird der Begriff Einkommensreichtum verwendet, den ich für nicht angemessen, weil zu unbeständig, halte.
Nach unserer Definition ist eine Person dann reich, wenn sie über ein so hohes Vermögen verfügt, dass sie aus den erzielten Erträgen ihren Lebensstandard finanzieren kann, und damit frei von der Entscheidung ist, ihre Arbeitskraft zu verkaufen oder nicht. Um diese abstrakte Beschreibung zu konkretisieren, arbeiten wir empirisch messbare Merkmale heraus, um zu zeigen, wo Reichtum beginnt. Dabei sind immer auch die zu erwartenden Wertsteigerungen der Anlagen zu betrachten. Um eine bestmögliche Schichtung der Bevölkerung mit quantitativer Relevanz vornehmen zu können, bleibt – wenn es um Reichtum geht – nur der Blick auf das Vermögen. Alle anderen Indikatoren wie Bildungsniveau oder berufliche Position sind interessantes Beiwerk, aber wenig relevant.

Was bedeutet das in Zahlen? Wo beginnt Reichtum nach Ihrer Definition?

Markus M. Grabka: Ab einer Million Euro Nettovermögen kann von Vermögensreichtum gesprochen werden.
Den oberen Bereich der Vermögenden differenzieren wir weiter, in die sogenannte Vermögenselite, das sind diejenigen Personen, die über so hohe Nettovermögen verfügen, dass daraus gesellschaftliche Machtpositionen entstehen. Dies betrifft insbesondere Betriebsvermögen, da hieran Arbeitsplätze gebunden sind. Allein das Wissen darum, dass eine vermögende Person ihr Unternehmen von Stadt A nach Stadt B verlegen könnte, verleiht ihr gesellschaftliche Macht, weil die Konsequenz Arbeitslosigkeit der betroffenen Arbeitnehmer*innen wäre. Hier sprechen wir über den Bereich ab etwa zehn Millionen Euro Nettovermögen.

Eine letzte Kategorie sind die der Milliardär*innen: Ihr Vermögen wird von gesellschaftlichen Krisen nur selten signifikant negativ beeinflusst und häufig über mehrere Generationen hinweg vererbt.

Auf wie viele Menschen in Deutschland treffen diese Kriterien zu?

Markus M. Grabka: Vermögensreich sind in Deutschland etwa 1,5 Prozent aller Erwachsenen. Angaben zur Vermögenselite liegen mir nicht vor. Die Zahl der Milliardär*innen beläuft sich laut Forbes-Liste auf 119.

Was ist denn mit all denen, die sich unterhalb der Millionengrenze bewegen? Das mittlere Einkommen in Deutschland liegt bei 1.870 Euro netto. Wer 3.440 Euro netto verdient, gehört schon zu den oberen zehn Prozent. Ist das nicht auch schon Reichtum?

Markus M. Grabka: Nein, Reichtum liegt für mich nur dann vor, wenn man ein so hohes Vermögen hat, dass man von den Erträgen seinen Lebensunterhalt dauerhaft finanzieren kann. Für die soziale Position am oberen Ende der Verteilung oder der gesellschaftlichen Schichtung ist Vermögen weitaus relevanter als das laufende Einkommen, das volatil sein kann.

Lassen sich die Reichen noch  genauer definieren?

Markus M. Grabka: In unserer letzten Studie haben wir für Deutschland erstmals die Datenlücke im Bereich der oberen Vermögen schließen können. Das war in der Vergangenheit ein blinder Fleck, weil es seit Aussetzung der Vermögensteuer 1997 keine Datengrundlage mehr gab, um diese Personengruppe zu beschreiben. Nun konnten wir sie erneut erfassen und sehen: Es handelt sich um überwiegend in Westdeutschland lebende Männer, die vorrangig Unternehmer oder Selbstständige sind. Trotzdem sind wir hier mit der Forschung noch am Anfang; mit den aktuell publizierten Daten konnten wir ein erstes Schlaglicht auf diese Personengruppe werfen.

Und warum sind die Vermögenden so reich?

Markus M. Grabka: Klar ist: Erbschaften und Schenkungen spielen am oberen Rand der Verteilung eine relevante Rolle. Diese Erkenntnis veröffentlichten wir Anfang des Jahres im DIW-Wochenbericht Hälfte aller Erbschaften und Schenkungen geht an die reichsten zehn Prozent aller Begünstigten. Dabei haben wir uns die Bedeutung von Erbschaften und Schenkungen im Kohortenvergleich angesehen. Es wurde deutlich: Je höher die eigene Einkommens- und Vermögensposition ist, desto höher sind die Wahrscheinlichkeit zu erben und die Höhe des geschenkten oder geerbten Vermögens.

Daneben gibt es noch eine andere Gruppe: Selbstständige und Unternehmer*innen, die aufgrund ihrer unternehmerischen Tätigkeit vermögend geworden sind. Anhand dieser Gruppe zeigt sich deutlich das Charakteristikum unserer Wirtschaftsordnung: Es gibt in Deutschland sehr viele mittelständische Unternehmen, bei denen das Betriebsvermögen die wichtigste Vermögenskomponente darstellt. Das hat historische Gründe, weil der Mittelstand sehr lange gewachsen ist und politisch gefördert wurde.

Ab einem bestimmten Vermögen ist es zudem schlicht rational, sein Privatvermögen in Betriebsvermögen zu überführen und steuerliche Vorteile zu erzielen. Auch international ist zu beobachten, dass das Betriebsvermögen eine relevante Rolle spielt, je höher man in der Vermögensverteilung nach oben blickt.

Bringt Reichtum Verantwortung mit sich?

Markus M. Grabka: Millionär*innen tragen insofern gesellschaftliche Verantwortung, weil sie mit dem Vermögen, das sie als Unternehmer*innen und Selbstständige erwirtschaften, Sorge für die Arbeitsplätze von Menschen tragen. Das unterscheidet sie von Privatpersonen, deren Erspartes zum Beispiel allein in Kunst investiert ist und damit nicht mit einer entsprechenden Verpflichtung verknüpft ist.

Das zeigt sich auch während der Corona-Krise, denn die Bundesregierung versucht, betriebliche Tätigkeiten weitgehend aufrechtzuerhalten, was zumindest bei den exportorientierten Unternehmen gut funktioniert. Diejenigen Unternehmen, die von den Shutdowns betroffen sind, unterstützt der Staat mit Kurzarbeitergeld und Unternehmenshilfen, damit sie auch nach der Krise ohne größere Arbeitsplatzverluste weiterarbeiten können.

Sie arbeiten aktuell an einer Studie mit, die sich mit den „heterogenen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Beschäftigung, Familienarbeit und Einkommen und die Rolle der sozialen Sicherungssysteme“ beschäftigt. Können Sie heute eine Aussage darüber treffen, ob sich in absehbarer Zeit eine größere Schere zwischen Arm und Reich aufmacht?

Markus M. Grabka: Noch ist die Datenlage schwach. Die Hans-Böckler-Stiftung hat dazu eine Publikation herausgegeben, die meines Erachtens das Problem hat, dass sie nur auf erwerbstätige Personen fokussiert. Ich verweise in diesem Kontext gerne auf die Arbeit der Kolleg*innen vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Die kommt zu dem Ergebnis: In der Breite der Bevölkerung gab es Einkommensverluste aufgrund von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Vor allem bei einigen Selbstständigen ist der Umsatz deutlich eingebrochen. Gleichzeitig wird staatliche Unterstützung gewährt. Hier ist insbesondere der Kinderbonus zu nennen, der aktuell zweimal ausgezahlt wurde und dazu führt, dass bestimmte Personengruppen kleine Einkommensverbesserungen vorweisen konnten. Das betrifft auch Bezieher*innen von Grundsicherung, bei denen der Kinderbonus nicht angerechnet wird.

In der Summe bedeutet das: Über die Breite der Bevölkerung sind Einkommensverluste festzustellen, insgesamt ist es aber zu einer Dämpfung der Einkommensverteilung gekommen, weil oben mehr Menschen verloren haben als am unteren Rand. Aktuell zeichnet sich daher nicht ab, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet.

Welche Auswirkungen hat die jetzige Krisensituation für die Vermögensreichen?

Markus M. Grabka: Darüber liegen keine belastbaren Informationen vor. Amazon-Gründer Jeff Bezos wird sehr gerne als Krisengewinner mit Spitzeneinkommen dargestellt, allerdings ist er ein einzelnes Schlaglicht und natürlich lebt Jeff Bezos nicht in Deutschland.

Schauen wir uns hierzulande um, sehen wir, dass viele Unternehmen in schweres Fahrwasser geraten sind, wenn sie sich nicht kurz vor dem Konkurs befinden. Für eine nicht unerhebliche Zahl von Unternehmen resultiert daraus die Auflösung des gesamten Betriebsvermögens. Das wird bei der Betrachtung von Schlaglichtern häufig vergessen.

Ich gehe davon aus, dass die Vermögensungleichheit für eine kurze Zeit zurückgeht, so wie es auch während der Finanzmarktkrise 2008/2009 der Fall war. Mittelfristig kann es bei der Einkommensverteilung aber eher wieder zu Steigerungen kommen, weil nach einer Krisensituation diejenigen, die schon davor gut aufgestellt waren, die ersten sein werden, die deutliche Einkommensverbesserungen erzielen.