lautstark. 09.12.2022

Bildung ist präventive Sozialpolitik

Prekäre BeschäftigungChancengleichheitGehaltBesoldungBelastung

GEW NRW fordert Sofortmaßnahmen zur Entlastung in der Krise

Corona, Krieg in der Ukraine, Energiekrise, Inflation – die multiplen Krisenlagen hinterlassen Spuren. Angst, Depressionen und Stress haben durch das Leben und Arbeiten im Ausnahmezustand seit Beginn der Pandemie zugenommen. Immer mehr Menschen sind von Armut bedroht. Als Bildungsgewerkschaft schauen wir genau hin: Wie geht es den Menschen im Bildungssystem? Was brauchen sie jetzt?

Download pdf | 2 mb
  • Ausgabe: lautstark. 06/2022 | New Work in Schule: Wie willst du arbeiten?
  • Autor*in: Ayla Çelik
  • Funktion: Vorsitzende der GEW NRW
Min.

Auch die Beschäftigten in den Bildungseinrichtungen leiden derzeit unter den massiv steigenden Kosten. Das gilt insbesondere für die schlechter bezahlten Arbeitnehmer*innen in den Kitas oder den Offenen Ganztagsschulen (OGS), für die prekär Beschäftigten in der Weiterbildung oder die befristet Beschäftigten an den Hochschulen. Diese Berufsgruppen brauchen dringend Unterstützung. 

Das Besoldungsgefüge braucht eine Reform

Im Schulbereich treffen die höheren finanziellen Belastungen vor allem diejenigen Lehrkräfte, die immer noch nicht angemessen nach A 13 bezahlt werden, und die Tarifbeschäftigten, die zwar analog in EG 13 überführt, aber dennoch nicht gleich bezahlt werden. Die Landesregierung hat zwar endlich die Einführung von A 13 als Einstiegsamt beschlossen, aber leider die Chance verpasst, gleichzeitig die Besoldungsstruktur zu reformieren und vorhandene Ungleichheiten aufzuheben. Ziel muss eine einheitliche Laufbahn für alle Lehrkräfte sein: Die GEW NRW fordert Laufbahngruppe 2, zweites Einstiegsamt!

Nicht nur angesichts der Krise müssen dabei auch weitere Beschäftigtengruppen im Schulbereich berücksichtigt werden: Seiteneinsteiger*innen, Lehrkräfte für Herkunftssprachlichen Unterricht (HSU), Fach- und Werkstattlehrer*innen. Sie besser zu bezahlen, wäre zugleich eine wichtige Stellschraube, um mehr Menschen ins System zu bekommen und Abgänge zu verhindern.

Soziale Krise abwenden

Eine Entspannung der Krisenlage ist nicht in Sicht, gerade mit Blick auf den Winter befürchten wir weitere Härten. Bund, Länder und Kommunen sind als politische Verantwortungsgemeinschaft in der Pflicht, auch im Bildungssektor für sofortige Entlastung zu sorgen – mit dem Ziel, Bildung für alle Kinder und Jugendlichen sicherzustellen. Die aktuelle Situation in Zusammenhang mit dem ohnehin schon eklatanten Fach-und Lehrkräftemangel verdichtet sich zu einer sozialen Krise und verschärft die ungleichen Bildungschancen, die es bereits vor der Corona-Krise gab.

Benachteiligt sind vor allem diejenigen Kinder und Jugendlichen, die herkunftsbedingt über keine guten Startbedingungen verfügen. Dabei sind gerade sie auf ein Bildungssystem angewiesen, das über eine gute personelle, sächliche und finanzielle Ausstattung in der Lage ist, sie zu unterstützen und ihre herkunftsbedingten Nachteile aufzufangen. Die Landesregierung muss dringend handeln, wenn Bildung die Grundvoraussetzung zur gleichberechtigten politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Teilhabe und der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben sein soll.

Wenn wir Bildung als präventive Sozialpolitik verstehen, als Möglichkeit, Armutsverhältnisse zu durchbrechen, dann muss der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg endlich gekappt werden. Dann darf die Ausstattung einer Schule nicht länger von ihrer Postleitzahl abhängen. Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends sollten ein weiteres Alarmsignal sein, endlich umzusteuern und den Beschäftigten in den Bildungseinrichtungen die Instrumente und Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die sie brauchen, um ihrem Erziehungs- und Bildungsauftrag bestmöglich nachzukommen. Damit die Kinder dort abgeholt werden, wo sie stehen, damit das Lernen als Prozess kontinuierlich und ohne Brüche gestaltet werden kann. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass Politik kann, wenn sie will: Jetzt muss sie alle Hebel in Bewegung zu setzen, um für Bildungs- und Chancengerechtigkeit zu sorgen.

Gute Bildung in Krisenzeiten kostet erst recht Geld

Bildung im Sinne einer präventiven Sozialpolitik bedeutet auch: Bildung muss in allen Bereichen kostenlos zugänglich sein. Eine auskömmliche Finanzierung des Bildungswesens ist dafür unabdingbar und eine Reform der Schulfinanzierung in NRW unumgänglich. Dazu gehört, dass die Kommunen nicht mit der Finanzierung von Bildung alleingelassen werden, sondern dass das Land sie unterstützt. Denn viele Maßnahmen, die zu besseren Lehr- und Lernbedingungen führen können, fallen in den Zuständigkeitsbereich der Träger, also größtenteils in den der Kommunen. Die Kommunen jedoch sind finanziell unterschiedlich aufgestellt und gerade die, die am dringendsten Entlastung brauchen, werden die Kosten nicht schultern können.

Obschon alle Kommunen von der Krise betroffen sind, sind die Lasten sowie die finanziellen Nöte und Sorgen unterschiedlich verteilt. Hier muss ein Ausgleich über eine gezielte Ressourcenzuteilung nach einem Sozialindex geschaffen werden. Es braucht nicht nur eine Neuregelung für die Bereitstellung und Unterhaltung der Schulanlage und Schulgebäude (§ 79 Schulgesetz), sondern auch eine staatlich-kommunale Verantwortungsgemeinschaft. Die Bildungsentwicklung in NRW darf nicht von der Finanzkraft des Schulträgers abhängen. Klar ist: NRW muss mutig und entschieden Geld in die Hand nehmen, um die Krisentendenzen im Bildungswesen abzufedern und zu verhindern, dass sich die soziale Ungleichheit weiter verschärft.

Die Auswirkungen der hohen Kosten der Energiekrise bedeuten letztlich, an der Qualität der Bildung zu sparen. Das sehen wir zum Beispiel an der Ruhr-Universität Bochum, die aufgrund von Finanzzwängen in der Energiekrise einen Einstellungsstopp angekündigt hat. Hinzukommt, dass sich für immer mehr Familien die Frage stellt, wie sie angesichts der Inflation, der gestiegenen Energie- und Lebensmittelkosten über die Runden kommen sollen. Hier muss die  schwarz- grüne Landesregierung eingreifen, gegensteuern und für Entlastung sorgen: Wann, wenn nicht jetzt? Damit die soziale Schere in diesem Winter nicht noch weiter auseinander geht, hat die GEW NRW im Zusammenschluss mit Eltern-, Studierenden- und anderen Beschäftigtenvertretungen ein bildungspolitisches Forderungspaket entwickelt: 3 Milliarden für sozialpolitische Notmaßnahmen.

Bildungsbündnis fordert Notmaßnahmen

Um in der aktuellen Lage sofortige Entlastung für alle Menschen im Bildungssystem zu schaffen, fordern die GEW NRW, die Landeselternkonferenz der Schulen, der Landeselternbeirat der Kitas und das LandesAStentreffen vier handfeste sozialpolitische Notmaßnahmen, die das Land in der Summe drei Milliarden kosten werden:

  • Kostenfreies, warmes Essen in Kitas und Schulen: Angesichts der steigenden Preise würde diese Maßnahme Familien gezielt entlasten und soziale Ungleichheiten auffangen. 
  • Beitragsfreiheit für Kitas und Schulen: Die Befreiung von Kita- und OGS-Beiträgen sowie von den Semesterbeiträgen wären weitere Maßnahmen, die zu deutlichen Entlastungen führen würden. Bildung sollte grundsätzlich kostenfrei sein – in der jetzigen Situation ist es ein Gebot von Chancengleichheit, die Gebühren zu übernehmen. In den Schulen brauchen wir eine echte Lernmittelfreiheit. Auch das heimliche Schulgeld – dazu gehören etwa Kosten für Ausstattung, Klassenkasse, Bastelmaterial, Klassenfahrten – muss abgeschafft werden, um Familien zu entlasten und sicherzustellen, dass alle Kinder und Jugendlichen teilhaben können – unabhängig von der Finanzsituation der Eltern.
  • Studierende unterstützen: Seit der Corona-Pandemie sehen sich Studierende mit einer immensen finanziellen Unsicherheit konfrontiert, die durch die steigenden Energie- und  Lebenshaltungskosten nochmal potenziert wird. Es ist geboten, die Studierenden und Studierendenwerke in der herausfordernden Situation finanziell so zu unterstützen, dass den gestiegenen Bedarfen Rechnung getragen wird.
  • Unterstützung bei Gas- und Strompreisen: Auch die drei vergangenen Jahre unter Pandemiebedingungen haben leider nicht dazu geführt, dass Bildungseinrichtungen saniert  wurden, um für eine bessere Wärmedämmung und Lüftungsmöglichkeiten zu sorgen. Solche Maßnahmen hätten jetzt für eine bessere Energiebilanz sorgen und hohen Kosten vermeiden können. Auch die Träger der Kindertagesstätten sowie die Universitäten sind von den steigenden Strom- und Gaspreisen betroffen. Damit die hohen Kosten die Kitaträger nicht dazu nötigen, an der Qualität der frühkindlichen Bildung zu sparen und die Universitäten ihre teils energieintensive Forschung weiterhin betreiben können und die Lehrbedingungen sich nicht nich weiter verschlechtern, sollte das Land die Einrichtungen unterstützen.

Wir brauchen die schnelle Umsetzung dieser Notmaßnahmen, um unser Bildungssystem und alle Beteiligten sicher durch die Krise zu navigieren.