Gesellschaft 21.01.2020

Berufsverbote: Vergessene Geschichte

ErinnerungskulturPolitische Bildung

Ausstellung erinnert an Betroffene in NRW

GEW NRW und GEW Wuppertal erinnern mit einer Ausstellung an die politische Verfolgung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik Deutschland und wollen damit auch die politische Aufarbeitung voranbringen.

  • Autor*in: Christiane Bainski
  • Funktion: ehemalige Landtagsabgeordnete (B90/GRÜNE), Lehrerin und selber Betroffene des Berufsverbots
Min.

Am 18. Februar 1972 beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz unter Vorsitz des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt den sogenannten Radikalenerlass. In ihm wurde formuliert: Wer „nicht die Gewähr dafür biete, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten“, sollte nicht im öffentlichen Dienst arbeiten dürfen. Daraufhin wurden für eine ganze Reihe von Beamt*innen und weiteren Beschäftigten im öffentlichen Dienst Entlassungsverfahren eingeleitet; Neubewerber*innen in großer Zahl wurden nicht eingestellt. Angeblich sollten auf diese Weise politisch rechte und linke Positionen aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten werden. In der Praxis wurden willkürlich politisch linke Auffassungen verfolgt und diskriminiert.

Berufsverbot für Tausende

Als Resultat wurden alle Bewerber*innen für den öffentlichen Dienst einer Regelanfrage durch den Verfassungsschutz unterzogen. Das bedeutete, dass in den 1970er und bis Anfang der 1980er Jahre etwa 3,5 Millionen Bewerber*innen – vor allem auch Lehrkräfte und Wissenschaftler*innen – auf ihre politische Gesinnung durchleuchtet wurden. Die bittere Bilanz: 11.000 offizielle Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen.

Der Erlass führte zum Berufsverbot für Tausende von Menschen, die als Lehrer*innen, als Lokführer*innen, in der Sozialarbeit, in der Briefzustellung, an Hochschulen sowie in der Rechtspflege tätig waren oder sich auf solche Berufe vorbereiteten. Bis weit in die 1980er Jahre hinein vergiftete die staatlich betriebene Gesinnungsjagd auf vermeintliche Linksradikale das politische Klima.

Betroffene waren etwa Personen, die sich gegen den Krieg in Vietnam engagierten, gegen Aufrüstung protestierten sowie Studienreisen in die DDR oder andere sozialistische Länder unternahmen. Sie setzten sich ein für eine konsequente Aufarbeitung des NS-Regimes, demonstrierten gegen die Notstandsgesetze und für den Erhalt demokratischer Rechte. Organisiert waren sie in verschiedenen linken Gruppierungen und Parteien der damaligen Zeit, ein großer Teil in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), dem sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) oder anderen linken Organisationen.

Rehabilitation überfällig

Obwohl es einen breiten Protest und Widerstand gegen diese politische Verfolgung im In- und Ausland gab, wurde diese Praxis über Jahre betrieben. Für viele der Betroffenen bedeutete dies jahrelange Diskriminierung, Probleme in der Gestaltung neuer beruflicher Wege, zeitweilige Arbeitslosigkeit sowie finanzielle Benachteiligungen. Die Aufarbeitung dieses Kapitels bundesdeutscher politischer Verfolgung und Diskriminierung fand bisher kaum statt.

1995 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Urteil fest, dass die Berufsverbotspraxis gegen die europäische Konvention für Grund- und Menschenrechte verstößt. Dennoch wurde der Erlass bisher nicht offiziell zurückgenommen, eine Rehabilitation der damals Abgelehnten oder Entlassenen hat in den meisten Fällen bis heute nicht stattgefunden und ist auch in NRW überfällig.

Die Betroffenen in NRW wünschen sich – ähnlich wie im Landtag in Niedersachsen bereits beschlossen – einen Beschluss des Landtags NRW, in dem das Parlament:

  • sich deutlich von der Praxis der „Berufsverbote“ distanziert,
  • sich gegenüber den Betroffenen entschuldigt,
  • die Betroffenen rehabilitiert, indem eine Aufarbeitung dieses Kapitels unter Beteiligung Betroffener geleistet und dokumentiert wird,
  • sich auch hinsichtlich möglicher Entschädigungen offen zeigt.

Ausstellung in Wuppertal schafft Öffentlichkeit

Die GEW bemüht sich seit Jahren um die Aufarbeitung dieses Kapitels politischer Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland. GEW NRW und GEW Wuppertal bieten vom 29. Januar bis 29. Februar 2020 eine Ausstellung an verschieden Orten in Wuppertal an. Im Rahmen des Begleitprogramms findet am Dienstag, dem 11. Februar 2020, in der Citykirche eine landesweite Veranstaltung der GEW statt. Ausstellung und Begleitprogramm sollen dazu beitragen, diese politische Aufarbeitung auch in NRW zu leisten.