Die duale Ausbildung soll junge Menschen unmittelbar auf den Start ins Berufsleben vorbereiten. Wie sind die Schulen für diese Aufgabe aktuell ausgestattet?
Cornelia Nieswandt-Espey: Ganz unterschiedlich! Der Schulträger ist grundsätzlich zuständig für die Immobilie. Er muss sich um die Ausstattung und Einrichtung der Werkstätten und Übungsräume für die verschiedenen Ausbildungsberufe kümmern. Das heißt für Berufskollegs in kommunaler Trägerschaft, dass sie auf die Finanzkraft der Kommune angewiesen sind. Und die sind ungleich aufgestellt: Während zum Beispiel die Stadt Köln eher knapp bei Kasse ist, hat der Rhein-Erft-Kreis mit nur fünf Berufskollegs andere Möglichkeiten, in seine Schulen zu investieren.
Eleonore Dickmeiß: In der Praxis heißt das, manche Berufskollegs warten vergebens auf einen neuen Herd in der Übungsküche für die Gastronomie-Azubis. Es fehlen ausbildungsrelevante Maschinen oder Geräte, und das mindert die Ausbildungsqualität erheblich! Diese schlechten Rahmenbedingungen fordern von Fachlehrer*innen und Werkstattkolleg*innen ein hohes Maß an Flexibilität und Improvisationsfähigkeit. Diejenigen Berufskollegs, die von Unternehmen finanziell unterstützt werden, können grundsätzlich bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen bieten. Die Qualität einer Schule darf aber nicht vom Schulträger oder von wirtschaftlichen Interessen abhängen!
Chancengleichheit kann so nur schwer hergestellt werden. Was bedeutet das für das duale System?
Cornelia Nieswandt-Espey: Die Stimmen zur fachlichen Konzentration von Berufskollegs werden lauter. Der Gedanke, allen Auszubildenden in einem Beruf so die gleichen Chancen zu bieten, ist sicher ehrenwert. Allerdings ist das zu kurz gedacht und kann sich insgesamt negativ auf das System auswirken: Ich glaube nicht, dass sich ein junger Mensch für eine Ausbildung im Bäckerhandwerk entscheidet, wenn er 30 Kilometer mit dem öffentlichen Nahverkehr zur Berufsschule pendeln muss. So würde das duale System den Fachkräftemangel sogar selbst generieren.
Eleonore Dickmeiß: Die Bildung von zentralen Berufsfachklassen kann katastrophale Konsequenzen für die Arbeit im dualen System bedeuten. Kolleg*innen der Fachpraxis können sich jahrelang mit hohem Engagement eingebracht haben und dann brechen an ihrem Schulstandort ihre Arbeitsplätze weg. Und ein Schulwechsel löst nicht selten Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus, was für die Betroffenen eine erheblich höhere Belastung bedeutet.
Was ist also unbedingt notwendig, um die Qualität der dualen Ausbildung für die Zukunft zu sichern?
Cornelia Nieswandt-Espey: Wie viel Zeit haben wir? Da spielen unendlich viele Faktoren rein: Die Ausstattung für die Werkstätten und Übungsräume, die Lehrer*innen im dualen System, ihre Lehrbefähigungen und Fortbildungsmöglichkeiten, die mediale Ausstattung im Rahmen der Digitalisierung – all das muss zusammengehen. Die Digitalisierung ist auf Landesebene natürlich ein großes Thema und auch die Berufskollegs haben von der Förderung profitiert. Sie wurden vielerorts kostenneutral mit Tablets ausgestattet – von deren Nutzung allerdings explizit ausgeschlossen ist: das duale System.
Eleonore Dickmeiß: Viele Schulträger ermöglichen für alle Schüler*innen der Vollzeitbildungsgänge die Ausstattung mit Tablets. Auszubildende und Studierende der Fachschulen haben darauf häufig kein Anrecht und Barrierefreiheit für Menschen mit Einschränkungen wird außer Acht gelassen. Manchmal springen Ausbildungsbetriebe ein und finanzieren die Tablets ihrer Azubis.
Aber nicht alle können sich diese Investition leisten. Dann sind Auszubildende genötigt, ihre digitalen Endgeräte selbst zu finanzieren. Das bedeutet, wir finden auch im Kontext der digitalen Ausstattung in der dualen Ausbildung einen unüberschaubaren Flickenteppich vor.
Cornelia Nieswandt-Espey: Auf der anderen Seite verstauben an vielen Schulen Tablets im Keller, weil die Schüler*innen sie nicht abrufen. Die meisten bringen ihr privates Gerät mit, das oft moderner ist. Und Schüler*innen, die auf ein Leihgerät angewiesen sind, geben schnell auf, da die Hürden ziemlich hoch sind, eines zu erhalten. Zudem ist die digitale Ausstattung in manchen Ausbildungsberufen auch überbewertet:
Für angehende Kfz-Mechatroniker*innen ist eine professionelle Werkstatt sicher relevanter und für die Lehrkräfte in diesem Bereich sind Fortbildungen von großer Bedeutung! Beide können mit dem schlechten Status quo kaum am Puls der Zeit bleiben. Die wenigen Plätze für Lehrer*innen im dualen System bei bundesweit ausgeschriebenen Fortbildungen decken den Bedarf bei Weitem nicht.
Was wird schulpolitisch in die duale Ausbildung investiert? Wie sehen die Werkstätten und Übungsräume im Jahr 2023 aus?
Cornelia Nieswandt-Espey: Das ist höchst spannend, zum Beispiel beim Thema Energiewende: Wir sprechen vom Ende der Verbrennermotoren und von Wärmepumpen statt von Öl- und Gasheizungen. Die Berufskollegs sollen die Techniker*innen und Installateur*innen dafür ausbilden. Und was politisch gesetzt ist, aber in der Umsetzung total vergessen wird: die Schulen entsprechend auszustatten. Stattdessen bekommen wir immer neue Lehrpläne und die duale Ausbildung soll noch praxisnaher und effektiver werden. Aber Leute, wir müssen uns anders aufstellen! Mobilität wird sich grundsätzlich verändern und Wärmepumpen werden genauso wenig wie E-Motoren die bisherige Technik eins zu eins ersetzen können. Welche Alternativen gibt es noch? Wie kann die duale Ausbildung für die Zukunft fit gemacht werden, um sie mitzugestalten? Genau diese Fragen gehören an unsere Berufskollegs.
Eleonore Dickmeiß: Der Investitionsschub, den es hier braucht, ist bisher ausgeblieben. Wir können Auszubildende nicht flächendeckend in den relevanten Technologien ausbilden und hinken der freien Wirtschaft oft 10 bis 15 Jahre hinterher. Wenn ich das jetzt mal ganz plakativ darstellen darf: An nicht wenigen Schulen in NRW sind erst vor zwei, drei Jahren die Overheadprojektoren verschwunden. Das ist auf jeden Fall ein grundsätzliches Problem von Schule und bringt traurigerweise zum Ausdruck, was Bildung eigentlich wert ist.
Was können die Ausbildungsbetriebe auffangen, was Schule an vielen Stellen nicht leisten kann?
Eleonore Dickmeiß: Zunächst einmal stehen Berufskollegs leider zu oft in Konkurrenz zueinander. Das liegt unter anderem an der anfangs besprochenen Schieflage bei der Finanzierung. Die Betriebe sind gut beraten, ihre Auszubildenden auf bestmöglich ausgestattete Schulen zu schicken. Denn die meisten Betriebe haben nicht die Möglichkeit, die Defizite in der dualen Ausbildung auszugleichen. Berufskollegs, die da nicht mithalten können, sind weniger attraktiv für Auszubildende. Lernortkooperationen – also Kooperationen von verschiedenen Schulen, aber auch von Betrieben – können hier wie in der Beziehung von Schule und Betrieb das Stichwort sein! Denn das ist ja die Kernidee der dualen Ausbildung: Die Beteiligten müssen als Netzwerk im Interesse der Azubis wirken.
Cornelia Nieswandt-Espey: Das duale System im deutschsprachigen Raum ist in dieser Form einmalig. Nur durch die Vernetzung von Staat, Schule und Privatwirtschaft können vergleichbare Abschlüsse vergeben und – ganz wichtig –
Standards festgelegt werden, die zum Beispiel Auszubildende schützen und die Qualität in den Berufen sichern. Da bietet unsere duale Ausbildung wirklich viel, nur in der Ausführung hakt es an zu vielen Stellen.
Wie macht sich der Lehrkräftemangel im dualen System bemerkbar? Und was muss aus gewerkschaftlicher Sicht in das Kollegium investiert werden?
Cornelia Nieswandt-Espey: Die beste Möglichkeit, den Lehrer*innenberuf gegenüber der Privatwirtschaft attraktiver zu gestalten, ist, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Lehrkräfte am Berufskolleg werden mit immer neuen Aufgaben zusätzlich zu ihrem Kerngeschäft belastet, und das unter Bedingungen, die mitunter nicht einmal den Arbeits- und Gesundheitsschutz wahren! Da kehrt manch eine Lehrkraft, die von der Industrie gerufen wird, der Schule den Rücken. Und ganz wichtig: Die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte im dualen System muss Schritt halten mit technischen Innovationen sowie mit politischen Konzepten zum Beispiel für die Energiewende. Es nützt wenig, sie zu proklamieren, wenn niemand sie umsetzen kann.
Eleonore Dickmeiß: Die Politik zieht sich gerne raus und sieht durch neue Regelungen und Lehrpläne für das Berufskolleg ihre Pflicht erfüllt. Deutlich wird das am Beispiel der Schwerpunktschulen für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung: Ihre Arbeit bleibt trotz der Streichung des Studienfachs Sonderpädagogik am Berufskolleg wichtig und wertvoll. Wer aber an diesen Schulen in Zukunft die Schüler*innen auf die Berufswelt vorbereiten soll, wenn die Kolleg*innen mit den entsprechenden Kompetenzen nach und nach in den Ruhestand gehen, weiß niemand. Das spezialisierte Studium muss also unbedingt wieder ermöglicht werden. Es geht dabei um nichts weniger als um Investitionen an den richtigen Stellen, um die duale Ausbildung zu sichern!