lautstark. 28.06.2024

Auf Umwegen ins deutsche Lehrer*innenzimmer

HSU – Herkunftssprachlicher UnterrichtChancengleichheitBildungsfinanzierungLehrkräftemangel

Anerkennung ausländischer Abschlüsse

Zugewanderte Lehrkräfte sind angesichts unbesetzter Stellen ein großes Potenzial für deutsche Schulen. Doch oft gelingt es nicht, Lehrer*innen aus dem Ausland entsprechend ihrer Qualifikation in Deutschland zu beschäftigen – obwohl sie den Unterricht und die Institution Schule bereichern können. Eine dieser Lehrerinnen ist Mehtap Suvaroglu.

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  • Ausgabe: lautstark. 03/2024 | Wie Übergänge gelingen
  • Autor*in: Denise Heidenreich
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

„Niemals hätte ich gedacht, dass mein Einstieg in den Schuldienst so schwierig wird – vor allem nicht bei meinem Hintergrund“, sagt Mehtap Suvaroglu. Die heute 35-Jährige ist in Deutschland geboren und zur Schule gegangen. „Nach meinem Abitur wollte ich raus in die Welt. Ich habe mich für Istanbul entschieden und 2008 begonnen, an der dortigen Universität Deutsch zu studieren.“ In der Türkei war der Einstieg als Lehrerin nach ihrem Bachelor kein Thema, ein Referendariat gibt es dort nicht: „Direkt nach meinem Abschluss arbeitete ich an einer österreichischen Stiftungsschule – meine Qualifikation passte genau in das Konzept. Und zeitgleich konnte ich meinen Master machen.“ Vielleicht hätte einfach alles so bleiben können.

Doch nach fast einem Jahrzehnt in der Türkei wurde deutlich, dass sich die politischen und wirtschaftlichen Grundsätze in der Türkei fortwährend von Mehtap Suvaroglus eigenen Werten entfernten. „Die Lage spitzte sich immer mehr zu – und ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine Tochter in der Türkei aufwächst. Bildung und Gesundheit wurden zu mehrheitlich privaten, finanziellen Institutionen, die man sich nur schwer leisten konnte. Was in Deutschland selbstverständlich war, galt in der Türkei als Luxus.“ Auch ihr Mann war bereit, über einen Umzug nachzudenken. „Wir haben in den Osterferien mehrere Städte rund um Oberhausen, Köln und Berlin bereist und am Ende war er sich sicher, dass wir uns hier ein Leben nach unseren Vorstellungen aufbauen können.“

Richtlinien für Anerkennung von ausländischen Abschlüssen? Fehlanzeige!

och aus der Türkei heraus begann Mehtap Suvaroglu, ihren Berufseinstieg in Deutschland zu organisieren. Trotz ihrer Kinder- und Jugendzeit – und damit ohne Sprachbarriere, die alles noch verkompliziert hätte – stieß sie auf Hürden: „Es begann ein kräftezehrender Schriftverkehr mit den Bezirksregierungen in Düsseldorf und Detmold. Nach langem Hin und Her stellte sich raus, dass das Problem im Vergleich meines türkischen Abschlusses mit den deutschen Hochschulabschlüssen liegt. Ich habe einen Master of Arts absolviert und keinen Master of Education. Und es fehlt das Referendariat. Für diesen Fall gibt es keine Richtlinien.“ Oft bestehen Unterschiede in den Fächern bei einem Studium im Ausland im Vergleich zu Deutschland.

„Aus meiner Sicht gehört dieses System dringend überdacht. Wir brauchen Lehrer*innen, aber gut ausgebildete Kräfte können aufgrund von bürokratischen Auflagen nicht arbeiten.“ Viele Menschen wählen Abzweigungen, um Tätigkeiten zu finden, die ihrer ursprünglichen Qualifikation zumindest ähneln. So auch Mehtap Suvaroglu: „Man bot mir an, dass ich in einem dreijährigen Prozess ein zweites Fach studieren und das Referendariat nachholen könne. Das war für mich in meiner damaligen Situation keine Option: Meine Tochter war gerade zwei Jahre alt und mein Mann musste erst einmal in Deutschland ankommen – ich wollte arbeiten.“

Einstieg über viele Umwege – und doch noch nicht am Ziel

Also schickte Mehtap Suvaroglu ihre Unterlagen an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und erhielt recht zügig ein Zertifikat für die Arbeit in Integrationskursen, in denen sie Deutsch als Zweitsprache unterrichtete. „Ich war froh, dass ich arbeiten konnte, aber wirklich glücklich war ich nicht.“ Deshalb hielt sie weiter die Augen nach möglichen Einstiegschancen auf: „Die Robert-Koch-Grundschule in Oberhausen suchte eine Lehrerin für den Herkunftssprachlichen Unterricht (HSU) – für mich bot sich damit die Gelegenheit, in den Schuldienst einzusteigen.“ Ihre Bewerbung war erfolgreich und mittlerweile unterrichtet Mehtap Suvaroglu seit vier Jahren an der Schule. Ob sie zufrieden ist mit dieser Lösung?

„Ich bin froh, dass ich den Einstieg geschafft habe. Doch es ist verrückt: Ich gehe als Frau mit Migrationshintergrund nach Istanbul, um dort Deutsch zu studieren. Und kehre zurück und unterrichte in Deutschland Türkisch. Meine Idealvorstellung ist das nicht – zumal ich der Meinung bin, dass Menschen mit meinem Hintergrund im Rahmen des HSU viel mehr leisten können. Mein großer Wunsch ist es, dass ich irgendwann Deutsch und Türkisch lehren darf.“ Denn Mehtap Suvaroglu weiß: „Ich bin auch ein Vorbild für die Schüler*innen, Übersetzerin und Vertraute.“ Damit übernimmt sie eine Schlüsselrolle für die Kinder.

Das Potenzial zugewanderter Lehrkräfte in Perspektiven verwandeln

Ein weiteres Manko: Mehtap Suvaroglu ist – trotz aller Unterstützung und Wertschätzung, die sie an ihrer Schule erfährt – nicht mit anderen Lehrer*innen gleichgestellt. Wie viele andere wird sie nach Tarif bezahlt, eine Verbeamtung ist ausgeschlossen. Was sie anderen Lehrer*innen, die aus dem Ausland kommen und im deutschen Schuldienst arbeiten wollen, rät? „Direkt loslegen – wenn auch zunächst nur über Umwege – und Kontakte knüpfen. Und vor allem versuchen, sich Unterstützung zu holen, die an vielen Stellen fehlt. Ich habe diese nur von der GEW bekommen, die sich sehr dafür einsetzt und auch den Austausch zu anderen Lehrkräften fördert.“ Den berufsbegleitenden Seiteneinstieg OBAS sieht sie ebenfalls als gute Option für HSU-Lehrkräfte. „Wer weiß, vielleicht nutze ich diese Gelegenheit auch noch für mich – um irgendwann doch so arbeiten zu können, wie ich mir das vorstelle.“

GEW-Kommentar

Potenziale nutzen – Hürden abbauen!

Nur etwa 20 Prozent der nach Deutschland migrierten Lehrkräfte mit ausländischen Abschlüssen erhalten in Deutschland eine volle Lehramtsbefähigung. Zu diesem Ergebnis kommt die von der GEW in Auftrag gegebene Studie Verschenkte Chancen?!. Diese Quote bedeutet verschenktes Potenzial! Nicht nur in Zeiten eines eklatanten Lehrkräftemangels sind zugewanderte Lehrkräfte eine sehr große Unterstützung. Sie sind für Schulen oft eine wertvolle Bereicherung im Umgang mit Schüler*innen mit internationaler Familiengeschichte. Die GEW NRW setzt sich deshalb dafür ein, dass Hürden bei der Anerkennung internationaler Lehramtsabschlüsse aus allen Ländern abgebaut und die Beschäftigungschancen zugewanderter Lehrer*innen verbessert werden. Die Bildungsgewerkschaft fordert: 

  • Hochschulen sollen Unterstützungsprogramme beziehungsweise Kurse anbieten, die ausländische Lehrkräfte auf die Ausgleichsmaßnahmen vorbereiten.
  • Anerkennungsverfahren und Ausgleichsmaßnahmen müssen niedrigschwelliger gestaltet und die damit verbundenen Kosten für migrierte Lehrkräfte gesenkt werden.
  • Vermeintliche Unterschiede in der Ausbildung sollen durch berufsbegleitende Maßnahmen ausgeglichen werden.
  • Bewerber*innen mit internationalen Abschlüssen mit nur einem anerkannten Fach sollen in das schulscharfe Einstellungsverfahren aufgenommen werden. Der Erwerb eines Zweitfaches soll vereinfacht werden.
  • Anpassungslehrgänge, Deutschsprachkurse und Angebote zu berufsfeldbezogenem Spracherwerb müssen vermehrt angeboten werden.
  • Programme und Projekte wie Lehrkräfte Plus und Internationale Lehrkräfte Fördern (ILF) müssen entwickelt und ausgeweitet werden.
  • Haben zugewanderte Lehrkräfte Programme wie ILF erfolgreich absolviert, müssen ihnen feste Einstellungsmöglichkeiten angeboten werden.
  • Für Lehrkräfte mit ausländischen Lehramtsabschlüssen, die bereits in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis sind – zum Beispiel HSU-Lehrkräfte-, müssen berufsbegleitende Weiterqualifizierungsmöglichkeiten angeboten werden.
  • Vorhandene Berufserfahrungen im schulischen Feld müssen im Anerkennungsverfahren als förderliche Zeiten großzügig berücksichtigt werden.

Zülfü Gürbüz 
Landesausschuss Migration, Diversity, Antidiskriminierung der GEW NRW