lautstark. 03.02.2021

Altern bei der Arbeit, arbeiten beim Altern

BelastungEntlastungRente

Vereinbarkeit von Lebens- und Berufszeit

Ob Berufseinstieg, Familiengründung oder Berufsausstieg – die verschiedenen Lebensphasen von Arbeitnehmer*innen erfordern eine flexiblere Gestaltung des Arbeitslebens. Das Thema der Vereinbarkeit von Leben und Beruf und die zentraleFrage nach Lösungsansätzen rücken zunehmend in den Fokus.

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  • Ausgabe: lautstark. 01/2021 | Lebensphasen: Jedes Alter gut gestalten
  • Autor*in: Maike Finnern
  • Funktion: Vorsitzende der GEW NRW
Min.

Wer heute 15 Jahre alt ist, muss durchschnittlich 38,7 Jahre arbeiten, bevor sie*er in Rente gehen kann. Die wenigsten Menschen fangen heute so jung an zu arbeiten, insofern bedeutet das nicht zugleich, dass der Durchschnitt der Menschen mit 53,7 Jahren aus dem Berufsleben ausscheidet. In Anbetracht dessen, dass die durchschnittliche Lebenserwartung bei 81 Jahren liegt, zeigt sich rein quantitativ die große Bedeutung, die Arbeit über unsere Lebenszeit hinweg einnimmt. Während wir arbeiten, altern wir. Die Arbeit verändert sich, aber genauso verändern wir uns.

Jede Lebensphase erfordert andere Berufszeiten

Aus diesem Grund ist es wichtig, Arbeit und Alter(n) zusammen zu betrachten. Verschiedene Lebensphasen wie Berufswahl, Berufseinstieg, Familiengründung, Karriere oder Berufsausstieg stellen unterschiedliche Anforderungen an die Arbeitszeit. Vor diesem Hintergrund ist es nötig, die Zeitsouveränität der Beschäftigten zu stärken, dazu gehören neben der Diskussion um Lebensarbeitszeitkonten auch Homeoffice-Regelungen. Das darf  aber auf keinen Fall bedeuten, dass das aktuelle Arbeitsgesetz aufgeweicht wird, wie es zum Teil diskutiert wird.

Die Möglichkeit, im Berufsleben eine gewisse Souveränität über die Arbeitszeit zu haben, ist ein wesentlicher Punkt zur Attraktivitätssteigerung von Berufsfeldern. Zudem ist es ein wichtiger Schritt zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur Trennung von Beruflichem und Privatem. Je nach Lebenslage sind Wünsche an die eigene Arbeitszeit jedoch gänzlich verschieden: Während des Berufseinstiegs ist die Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben eventuell noch nicht wichtig, weil vorher sowieso der Schreibtisch und die Studienunterlagen immer im Schlafzimmer standen. Bei der Familiengründung kann sich das gänzlich verschieben. Die Zeit mit Lebenspartner*in und Kind gewinnt an Bedeutung, da sind Anrufe von Kolleg*innen und des Arbeitgebers kurz nach Feierabend genauso lästig wie Arbeitszeiten, die beispielsweise mit den Abholzeiten der Kita kollidieren. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, die Arbeitszeit an die verschiedenen Lebensphasen der Arbeitnehmer*innen anzupassen. Zugegeben: Das erscheint im pädagogischen und sozialen Berufsfeld einigermaßen schwierig, aber auch hier ist es nötig und möglich.

Möglichkeiten für mehr Flexibilität

Ideen und Forderungen gibt es genug: Weg mit der 41-Stunden- Woche, Senkung der Unterrichtsverpflichtung, festgelegte Erholungszeiten ohne Korrekturen und Vorbereitungen und vieles mehr. Die Möglichkeit, die Arbeitszeit zum Beginn eines Halbjahres zu reduzieren oder aufzustocken, Entlastung von Verwaltungsaufgaben und auch die Frage nach Überstunden und dem Abbau ebendieser muss angegangen werden. Das sind nur einige Maßnahmen für den Bereich Schule, aber auch in den Kindertagesstätten, den Hochschulen und der Weiterbildung müssen individuelle Einlassungen möglich sein. Dort, wo die Arbeit nicht flexibler gestaltet werden kann – etwa durch Vorgaben wegen Öffnungszeiten –, sollten Möglichkeiten geschaffen werden, dennoch auf persönliche Bedürfnisse einzugehen. Arbeitszeitkonten könnten hier ein zentrales Instrument sein. Mit der Möglichkeit, auf individuelle Zeitwünsche einzugehen, kann die Arbeitszeit der jeweiligen Lebenssituation angepasst werden – das brauchen alle Altersgruppen. Das schafft Zufriedenheit und reduziert Belastungen und Sorgen.

Übergänge sinnvoll und individuell gestalten

Dabei darf nicht vergessen werden, dass Übergänge aktiv gestaltet werden müssen. Der (Wieder-)Einstieg in den Beruf, aber insbesondere auch der Ausstieg aus dem Erwerbsleben stellen besondere Herausforderungen an die Arbeitszeit. Diese Phasen müssen sinnvoll und individuell gestaltet werden. Auch hier geht es um Arbeitszeit. Eine Ermäßigung für den Berufseinstieg ist genauso notwendig wie die Altersermäßigung ohne Kürzung der Bezüge in den Schulen. Das Sabbatjahr ist eine gute Variante, Teilzeit individuell zu gestalten – bei in der Summe gleichen Bezügen. Die Bedürfnisse der Beschäftigten sind gänzlich unterschiedlich, gerade deshalb braucht es generelle Spielräume, um Arbeit und die Lebenssituation zu vereinbaren, ohne zwingend Gehalts- oder Pensions-/Renteneinbußen zu haben.

Die Frage nach der Vereinbarkeit von Leben und Arbeit ist ein zentrales gewerkschaftliches Thema, das zukünftig noch an Bedeutung gewinnen wird. Deshalb müssen wir hier einen breiten Diskurs über Grenzen und Anforderungen im Sinne der Arbeitnehmer*innen führen. Dabei ist eins klar: Ein weiteres Verschieben des Rentenalters nach hinten lehnen wir Gewerkschaften ab!