Redaktion: Wie lange noch glaubst du, kann die Landesregierung NRW den Missstand an den Grundschulen ignorieren? Welche Hauptursachen für den Lehrkräftemangel in der Primarstufe kannst du aus deiner Erfahrung der letzten Jahrzehnte ausmachen?
Susanne Huppke: Wenn so viele Lehrkräfte fehlen, wieso läuft‘s dann irgendwie doch an den Grundschulen? Eine Frage, die ich mir häufig von Nicht-Expert*innen gefallen lassen muss. Ich habe darauf einige Antworten gefunden: Unter dem Druck des Lehrkräftemangels fällt alles weg, was Bildung richtig gut macht – nämlich Förderangebote, intensive Sprachförderung oder die Doppelbesetzung im Gemeinsamen Lernen. Die Stundentafel wird auf ein Minimum reduziert oder fällt sogar darunter. Kolleg*innen leisten regelmäßig Mehrarbeit und auch Lehrer*innen ohne Lehramtsausbildung sind an Grundschulen häufig zu finden.
Die Landesregierung ignoriert die Situation an den Grundschulen schon viel zu lange. Eine von der Landesregierung im April 2018 veröffentlichte Prognose zum Lehrkräftearbeitsmarkt hat das Ausmaß des Lehrkräftemangels sehr deutlich aufgezeigt. Die ergriffenen Maßnahmen und die teure Werbekampagne haben bisher nicht zu einer Wende zum Besseren geführt. Die beste Werbekampagne sind eine faire Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen. Beides fehlt an den Grundschulen.
Mit der Aktion „#IhrFehlt“ will die GEW NRW Politiker*innen wachrütteln und so dazu beitragen, dass die Landesregierung die vielfältigen Folgen des Lehrkräftemangels nicht länger ignoriert! Sie müssen handeln gegen die daraus resultierende soziale Benachteiligung und die starke Belastung der Kolleg*innen.
Mit der Grundschule starten Kinder von der Kita in den Schulalltag. Welche gravierenden Folgen bedeutet der Lehrkräftemangel an dieser Stelle für die Schullaufbahn und die Ausbildung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen?
Damit die Bildungslaufbahn einen guten Verlauf nimmt, muss der Schulstart gelingen. Hier braucht es vor allem gut ausgebildetes Personal, kleine Lerngruppen und ausreichend Zeit, um jedes Kind individuell fördern zu können. Gerade diese Förderung fällt dem Mangel häufig zuerst zum Opfer. 30 Kinder in einer Klasse des Gemeinsamen Lernens oder ein*e Sonderpädagog*in, die mit sechs Stunden eine ganze Schule versorgen soll – das kann nicht gut gehen! In ihrer Not setzen Schulleitungen manchmal sogar sozialpädagogische Fachkräfte oder Seiteneinsteiger*innen als Klassenleitung ein.
Das Schlimmste daran ist, dass die gutwilligen Kolleg*innen für solche Aufgaben keinerlei berufsbegleitende Qualifizierung erhalten. Die GEW NRW fordert daher als kurzfristige Maßnahme eine Qualifizierungsoffensive für eine berufsbegleitende Aus- und Fortbildung. Die Schulen sind auf sich gestellt und müssen schauen, wie sie mit der Mangelsituation klarkommen, eine sehr schwierige Situation für Schulleitungen. Kolleg*innen tun ihr Möglichstes, leisten Mehrarbeit, stocken ihre Stunden auf, geraten aber zunehmend an ihre eigenen Grenzen.
Leittragende sind die Schüler*innen und hier insbesondere die Kinder, bei denen das Elternhaus die schulischen Defizite nicht kompensieren kann. Die soziale Spaltung nimmt zu. Eins ist klar: Mit Unterbesetzung erreicht man Mangelverwaltung, aber keine gute oder sogar beste Bildung.
Welche Stimmen erreichen dich von Kolleg*innen vor Ort? Kannst du konkrete Beispiele nennen, die den Missstand veranschaulichen?
Mich erreichen insbesondere Hilferufe aus den Städten in NRW, die sehr stark vom Lehrkräftemangel betroffen sind. Denn der Mangel verteilt sich nicht gleichmäßig. Auch das ist ein Problem. Die Landesregierung hat noch nicht verstanden, dass es ein spezielles Maßnahmenbündel braucht, um die Schulen zu unterstützen, die in einem sozial herausfordernden Umfeld arbeiten. Der Lehrkräftemangel ist hier besonders deutlich. Schlechte Arbeitsbedingungen und Bildungsnotstand gehen oft Hand in Hand.
Ein Beispiel: Wenn an einer Schule nur 80 Prozent der Stellen besetzt werden können, dann nützt es dieser Schule gar nicht, wenn ihr nach dem neuen Sozialindex noch eine Stelle zugesprochen wird, die dann auch nicht besetzt werden kann.
Kannst du drei konkrete Maßnahmen nennen, die dem Lehrkräftemangel an Grundschulen langfristig entgegenwirken werden? Wofür setzt sich die GEW NRW insbesondere mit ihrer Aktion „#IhrFehlt“ ein?
Mit der Aktion „IhrFehlt für gute Schule“ rütteln wir die Politik wach und setzen uns ein für mehr Studienplätze im Lehramt, eine Bezahlung nach A 13 Z/EG 13 für alle Lehrkräfte und für die Versorgung mit ausreichend qualifiziertem Personal an jeder Schule in NRW!
Ich möchte den Kolleg*innen Mut machen, sich an der Aktion #IhrFehlt für gute Schule zu beteiligen. Wenn du mitmachst, werden wir viele. So kann unsere Aktion stark werden und Eindruck hinterlassen, damit sich endlich etwas ändert an den Grundschulen.
Mitmachen bei #IhrFehlt für gute Schule
Alle Infos zu unserer Tour durch NRW findet ihr hier. Wer es nicht zu einem der Termine schafft, knipst einfach ein Selfie mit den Silhouetten auf unserem Flyer. Den Flyer bekommt ihr über eure Schule oder bei der GEW NRW vor Ort sowie unten als Download. Alle Postings in den Sozialen Medien unter dem Hasgtag #IhrFehlt werden auf unserer Social Wall gesammelt.