Hochschule 02.06.2017

Studiengebühren befeuern soziale Selektion

Wissenschaft und ForschungChancengleichheitBildungsfinanzierung
Studiengebühren befeuern soziale Selektion

Landes-ASten-Treffen schreibt Offenen Brief an Armin Laschet

CDU und FDP stecken mitten in den Koalitionsverhandlungen. Zu den Kernideen der Parteien zählen der Erhalt aller Förderschulen, die flexible Entscheidung für G8 oder G9, die mögliche Wiedereinführung der Studiengebühren, die Unterrichtsgarantie und die Flexibilisierung der Kitas.

  • Autor*in: Berthold Paschert
  • Funktion: Referent für Hochschule und Forschung der GEW NRW
Min.

Expert*innen aus unterschiedlichen Fachbereichen geben in einer mehrteiligen Serie konkrete Antworten auf bildungspolitische Fragen aus den Koalitionsverhandlungen und machen deutlich, wo es in der Praxis hakt. Katrin Lögering, Koordinatorin des Landes-ASten-Treffens NRW (LAT NRW), hat an einem Offenen Brief an den designierten Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens mitgeschrieben. Sie macht deutlich, welche Folgen die Ideen von CDU und FDP zum Thema Studiengebühren hätten.

In Baden-Württemberg hat die grün-schwarze Landesregierung Studiengebühren für Studierende aus Nicht-EU-Ländern und für das Zweitstudium eingeführt. Die FDP will in NRW den Hochschulen die Erhebung von Studiengebühren ermöglichen. Wird das Thema gesellschaftlich und politisch wieder salonfähig?

Zumindest müssen wir leider feststellen, dass die Debatte um Studiengebühren wieder in den Fokus einiger Politiker*innen rückt. Salonfähig ist das Thema vor allem gesellschaftlich dennoch keineswegs. In einer vor zwei Tagen von der Bürger*innenbewegung Campact gestarteten Kampagne wurden in sehr kurzer Zeit über 25.000 Unterschriften gegen Studiengebühren gesammelt. Die Ablehnung von Studiengebühren ist gesellschaftlich weiterhin groß. Argumentationen pro Bildungsgebühren werden in kurzer Zeit vernichtend zurückgewiesen.

Seit dem Volksbegehren gegen Studiengebühren in Bayern aus dem Jahr 2013 ist auch den von der Union geführten Landesregierungen klargeworden, dass die Bevölkerung Studiengebühren ablehnt. Auch politisch sollte das Thema – trotz anderslautender Vermutungen – nicht salonfähig sein. Die CDU hat nach einer Basisentscheidung Studiengebühren in ihrem Wahlprogramm und in einem Entschließungsantrag im Landtag abgelehnt. Mit der FDP als möglichen Koalitionspartner verhandelt die CDU mit einer Partei, die in ihrem Wahlprogramm ein konstruiertes Modell nachgelagerter Studiengebühren fordert. In ihrer Wortwahl bedient sich diese Partei vielfach benutzter Synomyme, um sich und ihren Ansatz zu rechtfertigen.

Sie bringt Begriffe wie „Studierendenbeitäge“ oder „Absolvent*innengebühren“ in entsprechende Verhandlungen ein, was nicht nur unserer Auffassung nach nichts anderes darstellt als eine mehr oder weniger subtile Strategie zur Durchsetzung der Einführung von Studiengebühren. Die Hoffnung bleibt bestehen, dass die CDU in NRW in dieser Frage Wort hält und die FDP sich nicht durchsetzen kann.

Der designierte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hielt es in einem Interview für „ein Gebot der Gerechtigkeit“, Modelle über die finanzielle Beteiligung von Studierenden an der akademischen Ausbildung zu entwickeln. Der LAT NRW hat diese Aussage in einem Offenen Brief an Armin Laschet aufgegriffen. Welche Motive und Argumente führen Sie an?

Zu unseren Grundsatzpositionen hinsichtlich bildungspolitischer Fragestellungen gehört, dass wir Bildungsgebühren jeder Art geschlossen und entschieden ablehnen. Bildung ist nach Auffassung des LAT NRW ein Grundrecht. Studiengebühren, sei es während oder nach dem Studium, schaffen zusätzliche finanzielle Hürden und erschweren damit den Zugang zu Bildung gerade für die Menschen, die am meisten von ihr profitieren könnten. Die soziale Selektion im Bildungssystem beginnt nicht erst an der Hochschule. Ein Haupteffekt von Studiengebühren ist jedoch immer die Zementierung dieser sozialen Selektion.

Außerdem kritisieren wir Armin Laschets Versuch, gesellschaftliche Gruppierungen gegeneinander auszuspielen. Dass Pfleger*innen für ihre Ausbildung zahlen, ist genauso zu kritisieren, wie die zusätzliche Beteiligung von Studierenden an ihrer Ausbildung. Studierende kommen bereits jetzt für ihre Ausbildung auf. Ein immer größer werdender Teil der Studierenden muss aktuell den Lebensunterhalt durch einen Nebenberuf selbst finanzieren.

Darüber hinaus brauchen wir als Gesellschaft einen Bildungspluralismus. Dieser beinhaltet nicht nur Absolvent*innen als Ärzt*innen, Jurist*innen und Betriebswirt*innen, welche man im Rahmen der Studiengebühren wohl im Blick hat, sondern auch und gerade Historiker*innen, Geolog*innen, Germanist*innen, Philosoph*innen, Soziolog*innen, Psycholog*innen. Es wird in der Sache – aber nicht im Wortlaut – auf eine kleine begrenzte Gruppe mit häufig überdurchschnittlichem Jahreseinstiegsgehalt abgestellt und darüber dann versucht, die Erhebung von Beiträgen für alle Studierenden zu rechtfertigen. Dann aber beurteilt man Bildung nach ihrem Preis – aber nicht nach ihrem Wert.

Bildung ist als gesamtgesellschaftlicher Auftrag zu verstehen. Eine freie und qualitativ hochwertige Bildung stellt für das LAT NRW die Grundlage eines mündigen und aufgeklärten Menschen dar. Jede Person muss dazu befähigt sein aktiv an der Gesellschaft zu partizipieren, zu deren Gestaltung beizutragen, sowie bestehende Verhältnisse kritisch zu hinterfragen. Bildung ist für das LAT NRW die Grundvoraussetzung eines funktionierenden demokratischen Staates und für Fortschritte und Entwicklung innovativer Ideen in Bereichen der Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft oder Politik.

Um dem hohen Stellenwert der Bildung gerecht zu werden, müssen endlich zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung zur Verfügung gestellt werden – so wie es Bund und Länder 2008 auf dem Bildungsgipfel in Dresden bis 2015 vereinbart haben. Dieses Ziel wurde noch nicht erreicht.

Der Brief endet mit dem Statement „Gebühren für die Bildung bleiben Gebühren für die Bildung“ und dem Appell an die CDU „die Erhebung von Studiengebühren sind bei den Koalitionsverhandlungen nicht verhandelbar“. Was passiert, wenn sich doch die FDP in dieser Frage durchsetzt?

Wie auch schon im Vorfeld der Landtagswahlen werden wir wieder Demonstrationen organisieren. Man sieht es ja derzeit auch in Baden-Württemberg: Das Thema bringt immer noch viele Studierende auf die Straße. Mit dem Bündnis „Nein zu Studiengebühren“ sowie dem „Aktionsbündnis gegen Studiengebühren“ haben wir Strukturen geschaffen, die in kurzer Zeit viele Studierende mobilisieren können. Was genau passiert, wenn sich die FDP in dieser Frage durchsetzt, weiß unserer Auffassung nach nicht einmal die FDP selbst. Die Positionen der Partei erfordern nämlich vor allem eines: eine Bürokratisierung der Hochschulen.

Eine Evaluierung der FDP-Positionen stellt folgende Fragen: Ab welcher erreichten Einkommensgrenze sollten nachgelagerte Studiengebühren eingezogen werden? Über welche Faktoren soll die Einkommensgrenze ermittelt werden? Werden alle eingezogenen Mittel wirklich für die Verbesserung der Lehre eingesetzt? Wenn ja, wie soll das vollzogen und überprüft werden? Was ist mit Studierenden, die an mehreren Standorten studieren oder Aufbauseminare an anderen Universitäten besuchen? Wie wird im Fall eines Studienabbruchs oder Studiengangwechsels vorgegangen? Wie wird der Fall einer Beschränkung auf ein Bachelorstudium gehandhabt, wenn eigentlich der Master berufsqualifizierend wäre? Wie werden Zahlungsausfälle berücksichtigt? Wir haben tatsächlich das Gefühl, dass die FDP viele Hintergründe in ihrem erneuten Vorstoß leider nicht durchdacht hat.

Gibt es schon Pläne über die nächsten Schritte in dieser Auseinandersetzung? Was sind Ihre Forderungen mit Blick auf die Verbesserung der Qualität der Lehre und der Hochschulausstattung?

Bisher werden die Koalitionsverhandlungen abgewartet. Unser Fokus liegt darauf, die von der FDP geplanten Bildungsgebühren doch noch zu verhindern. Die abgeschafften Studiengebühren wurden in NRW eins zu eins durch Landesmittel kompensiert. Kommissionen mit studentischer Mehrheit entscheiden über die Vergabe dieser sogenannten Qualitätsverbesserungsmittel. Dies war kein schlechter Schritt. Denn nicht Studiengebühren haben die Qualität der Lehre und Ausstattung verbessert, sondern die studentische Mitbestimmung bei der Vergabe der Gelder.

Weiterhin bedarf es natürlich einer ausreichenden Grundfinanzierung der Hochschullandschaft, damit Qualitätsverbesserung eben wirklich erreicht werden kann.