Sie betreuen mit der Pacemaker Initiative einige Schulen in NRW bei der digitalen Transformation. Warum schaffen die Schulen diesen Prozess nicht alleine?
Weder die Schulleitungen noch die Kollegien wurden dafür ausgebildet, mit solch grundsätzlichen Veränderungen wie Digitalisierung umzugehen und diese in die Schule zu integrieren. Deswegen bieten wir Ihnen unsere Expertise und Begleitung an. Wir unterstützen sie im Prozess mit innovativen Fortbildungsangeboten, die Lehrkräfte und Schüler*innen befähigt und Schulen miteinander vernetzt. Schulen sollten aus Fehlern anderer lernen und das ist in Zeiten der digitalen Vernetzung viel einfacher geworden. Wir schätzen aber auch den persönlichen kollegialen Austausch und arbeiten zukünftig gemeinsam mit universitären Partnern in Schulnetzwerken, die den Austausch zwischen den Schulen einer Kommune befördern.
Auf Ihrer Webseite ist die Rede von der „Transformation der Lernkultur“. Was steckt genau dahinter?
Die digitale Transformation unserer Gesellschaft hat auch einen starken Einfluss auf die Lern- und Lehrkultur an Schulen. Wichtig ist uns nicht einfach alte Muster digitalisieren.
Digitale Medien in der Schule dienen oftmals dem Konsum. Zum Beispiel wird ein Video zum Ökosystem des Great Barrier Reefs gezeigt und der lehrer*innenzentrierte Unterricht steht weiterhin im Vordergrund. Dabei können wir mithilfe digitaler Medien mittlerweile das Great Barrier Reef per Virtual Reality erlebbar machen, mit Klassen in Australien über Soziale Medien in Kontakt treten, kollaborativ an einem Präventionsprojekt arbeiten oder Modelle für kreative Lösungsansätze erstellen und gleich Feedback von Betroffenen einholen. Für die Schüler*innen ist die Vernetzung im Digitalen bereits Alltag. Der Bezug zur Lebenswelt steigert aus unserer Sicht die Lernmotivation. Das kann ich auch aus eigener Erfahrung von einer Hauptschule im sozialen Brennpunkt sagen.
Schüler*innen nutzen die Sozialen Medien schon ganz selbstverständlich als privates Kommunikationsmittel. Inwiefern sind Instagram, YouTube und Co. auch im Unterricht relevant?
Während des Unterrichts bekommen sie über Instagram Nachrichten von Freund*innen, sei es aus dem Nebenraum oder ihrem Herkunftsland. Sie senden sich in der kleinen Pause schwarze Bilder per Snapchat, damit die Flammen nicht erlöschen. Sie gucken nochmal kurz ein Video zur binomischen Formel auf YouTube an, weil sie gleich in den Matheunterricht müssen. Viele Lehrkräfte sehen darin allein Ablenkung oder mögliche Stressrisiken. Die Sozialen Medien eignen sich aber ideal, um über den eigenen und den gesellschaftlichen Medienkonsum zu reflektieren. Fake News verdeutlichen uns, dass man den Bildungsauftrag, unsere Kinder zu mündigen Bürger*innen zu erziehen, gerade mit Blick auf die Sozialen Netzwerke, ernst nehmen muss. Soziale Medien können aber auch als identitätsstiftendes und verbindendes Element zwischen Schüler*innen und der eigenen Schule dienen. Der schuleigene YouTube-Kanal, in dem Schüler*innen ihre selbstproduzierten Videos hochladen können, verbindet die gesamte Schulgemeinschaft.
Es gibt Lehrkräfte, die massiv unter Druck stehen, weil sie weniger über diese Medien wissen als ihre Schüler*innen. Was ist nötig, damit Lehrkräfte und Schüler*innen auf Augenhöhe arbeiten können?
Wir arbeiten viel an der Haltung der Lehrkräfte. Sie können lernen die Expertise der Schüler*innen zu nutzen, um von und mit ihnen zu lernen. Natürlich ist es nicht leicht Kontrolle abzugeben, aber das gegenseitige Lernen ist auch Beziehungsarbeit in der Schule. Man sollte den Medienkonsum – übrigens auch zu Hause – nicht sanktionieren, sondern sich gemeinsam mit den Sozialen Medien beschäftigen und die Nutzung kritisch reflektieren. Wir arbeiten dabei mit Steuergruppen und geben Workshops für Schüler*innen, in denen wir mit Ihnen eine gemeinsame Vision ihrer zukünftigen Aufgaben als Digitalexpert*innen erarbeiten. Wir merken, dass die Bedarfe an Fortbildungen für Lehrkräfte gerade sehr hoch sind, die zeitlichen Kapazitäten wiederum sehr gering. Hilfreich sind Arbeitsgruppen in der Schule, die sich der stetigen Weiterbildung des eigenen Kollegiums widmen, immer wieder motivieren und als Vorbilder agieren. Mit Mikrofortbildungen, in denen bereits erfahrene Lehrkräfte ihren Kolleg*innen kleine Weiterbildungsformate anbieten, können die zeitlichen Hürden überwunden werden.
Auch Sie organisieren immer wieder Workshops für Lehrer*innen. Auf welche Fragen stoßen sie dabei am häufigsten? Was raten Sie Kolleg*innen vor Ort, die gerne Teil der digitalen Transformation an der Schule sein wollen?
Ganz klar ist der Datenschutz immer wieder ein Thema, weil es leider noch zu wenige datenschutzkonforme Lösungen für Schulen gibt. Digitale Medien müssen darüber hinaus oft einen Mehrwert für die Lehrkräfte darstellen, den sie sofort erkennen können. Wobei wir mitten im Leitmedienwechsel sind und die Frage des Mehrwerts durch der Schüler*innen bereits beantwortet ist. Daher rate ich den Lehrkräften, mit denen wir zusammenarbeiten, dass sie sich nicht auf unseren Unterstützungsangeboten ausruhen sollten. Sie müssen sich auch selber auf den Weg machen, sich Unterstützung suchen, sich austauschen und mit Kolleg*innen vernetzen. Einzelkämpfer*innen werden in der digitalen Transformation schnell abgehängt, denn es gibt bereits tolle Ideen, Ansätze und Materialien. Nicht jede Schule oder Lehrkraft muss das Rad neu erfinden.