Am 11. Mai 2021 wurde im NRW-Landtag in einer Anhörung in der Sitzung des Ausschusses für Schule und Bildung und im Wissenschaftsausschuss ein „Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Lehramtszugangsverordnung“ vorgestellt. Am Mittwoch, 9. Juni 2021, findet nun die Abstimmung dazu statt. Neben der geplanten Abschaffung der Sozialwissenschaften, lässt der Entwurf unter Artikel 1, § 5 Absatz 5 kein Studium der Förderschwerpunkte „Emotional-Soziale Entwicklung“ und „Lernen“ im Lehramt Berufskolleg mehr zu, das über 30 Jahre möglich war. Die Änderungen werden von Lehrer*innen, Schulleitungen, den fachpraktischen Seminaren und den Universitäten aufs schärfste kritisiert.
Sonderpädagogisch ausgebildete Lehrer*innen werden am BK gebraucht!
Die Lehrerinnen Nina Dollenkamp und Pia Schulze Kersting vom Freiherr-vom-Stein Berufskolleg in Werne weisen ausdrücklich darauf hin, dass „sonderpädagogisch ausgebildete Lehrer*innen an Berufskollegs in NRW unentbehrlich sind.“
Der vorliegende Entwurf trägt der Lebensrealität des schulischen Alltags und der zunehmend heterogenen Schüler*innenschaft am Berufskolleg (BK) keine Rechnung und wird den Bedürfnissen zukünftiger Schüler*innengenerationen nicht gerecht. Nicht außer Acht gelassen werden dürfen laut Nina Dollenkamp und Pia Schulze Kersting auch die Schüler*innen mit Fluchterfahrung, deren Beschulung die Anforderung an Differenzierung und Beziehungsarbeit um ein zusätzliches Aufgabenfeld erweitert. Hier agieren Lehrer*innen „häufig zweisprachig und sind noch größere Fachleute für Sprachsensibilität geworden“, wissen die beiden Lehrerinnen.
Schüler*innen am Berufskolleg sind auf Förderung häufig angewiesen
Berufskollegs bilden die Schnittstelle zwischen Schule und Beruf. Jedes Schuljahr nehmen sie Schüler*innen als Abgänger*innen aus dem Förderschulsystem oder aus dem Gemeinsamen Unterricht (GU) auf, die noch keinen anerkannten Schulabschluss erworben haben. Dafür haben sich regionale, sehr professionell agierend Übergabemanagements gebildet, in denen Lehrer*innen der Förderschulen und der Berufskollegs gemeinsam und behutsam die Lernenden bei den Übergängen begleiten. Der „offizielle“ Förderbedarf nach der Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sonderpädagogische Förderung (AO-SF) in den Förderschwerpunkten „Emotional-Soziale Entwicklung“ und „Lernen“ wird nach Beendigung der Regelschulen beziehungsweise Förderschulen zwar weitgehend aufgehoben, besteht aber in der Realität in den meisten Fällen weiterhin.
Sonderpädagog*innen fördern pädagogisch-methodischen Austausch am Berufskolleg
BK-Schulleitungen in NRW bewerten Sonderpädagog*innen mit den Förderschwerpunkten „Emotional-Soziale Entwicklung“ und „Lernen“ häufig als systemrelevant: „Sie sind ein äußerst wichtiger Baustein beim Aufbau und der Entwicklung von Multiprofessionellen Teams (MPT) im Rahmen der Schulentwicklungsplanung und der Fortschreibung des jeweiligen Schulprogramms“, so Nina Dollenkamp und Pia Schulze Kersting. Zudem steigern und verbessern die Kolleg*innen statistisch messbar das Erreichen von Schulabschlüssen als Zugangsvoraussetzung zum Arbeitsmarkt.
Das Fachvokabular der Förderpädagogik ist noch lange nicht in allen Kollegien angekommen und hat immer noch nicht genügend Eingang in die sonstigen Studienfächer erlangt. Die BK-Lehrerinnen betonen, dass „wir somit auch Multiplikatorinnen für eine förderpädagogische Denkweise in den Kollegien an unseren Berufskollegs sind. Wir initiieren Förderpläne, Förderbänder, Fördergespräche, Drehtürmodelle, Übergaben innerhalb unseres Systems und vieles mehr. Damit fördern wir den pädagogisch-methodischen Austausch innerhalb unserer Kollegien. Vor allem weiten wir die Denkstrukturen innerhalb des Systems Berufsschule. Oft stehen unsere Kolleg*innen hilflos vor der wachsenden Heterogenität und den Folgen für das tägliche Unterrichtsgeschehen. Hier können wir Hilfestellung bieten und Anregungen geben, wie der Heterogenität in allen Bildungsgängen des Berufskollegs begegnet werden kann.“
Die Heterogenität der Schüler*innenschaft zieht sich nicht zuletzt wie ein roter Faden durch alle unsere Bildungsgänge am Berufskolleg, von der Ausbildungsvorbereitung über die duale Ausbildung bis hin zum Abitur.
Keine Chance für inklusives Lehren und Lernen am Berufskolleg
Fachleitungen, Lehrkräfte und Interessensvertretungen kritisieren die geplanten Änderungen scharf: Die angestrebte Lehramtszugangsverordnung tritt die Inklusion in NRW mit Füßen und missachtet die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), da das Land NRW diesen Bereich des inklusiven Lehrens und Lernens ersatzlos streicht. Unter dem Aspekt der inklusiven Bildung werden Schüler*innen mit und in schwierigen Lernumständen Zugang und Teilhabe an individuellen Fördermöglichkeiten im Rahmen ihrer beruflichen Vorbildung und Ausbildung verweigert. „Das trifft Schüler*innen besonders dann, wenn wir ihnen Lehrkräfte mit der entsprechenden Ausbildung in den Förderschwerpunkten ‚Emotional-Soziale Entwicklung‘ und ‚Lernen‘ vorenthalten und in Zukunft nicht mehr ausbilden“, sind sich die BK-Lehrerinnen Nina Dollenkamp und Pia Schulze Kersting sicher.
Förderschwerpunkte im Studium für das Lehramt am Berufskolleg weiter ermöglichen!
In Gesprächen mit Praxissemesterstudierenden, Lehramtsanwärter*innen , Kolleg*innen, Fachleiter*innen und Schulleitungen an Berufskollegs wurde deutlich, dass eine Ausbildung von Lehrkräften im Lehramt Berufskolleg mit den Förderschwerpunkten „Emotional-Soziale Entwicklung“ und „Lernen“ in Kombination mit einem Fach beziehungsweise einer beruflichen Fachrichtung unbedingt fortgesetzt werden muss! Wir hoffen auf eine positive Abstimmung im Landtag am 9. Juni 2021.