Die zunächst sieben und dann 32 Gesamtschulen der ersten Generation befanden sich bis 1982 im Schulversuch. Ziel war es, zu erproben, wie das Schulsystem in Richtung Chancengleichheit und höherer Effektivität umgebaut werden kann. Es war gerade nicht das Ziel eine weitere Schulform neben dem gegliederten System zu gründen. Dementsprechend wurde sie von ihren ideologischen Gegnern im politischen Bereich von Anfang an mehr als kritisch beobachtet. Als die Gesamtschule ab 1982 gesetzliche Regelschule wurde, waren Neugründungen nur möglich, wenn durch förmliche Elternbefragungen ein hinreichender Bedarf für eine Vierzügigkeit bestand. Trotzdem wurden jedes Jahr neue Gesamtschulen gegründet. Alleine seit dem Schulkonsens im Jahr 2011 ist die Zahl von 232 Gesamtschulen um 110 Gesamtschulen und 115 Sekundarschulen gewachsen.
Erfolg ja, aber für wen?
Am einfachsten ist die Frage nach dem Erfolg für die Schüler*innenperspektive zu beantworten. Im Grundsatz gilt: es gibt keine Verlierer, es gibt nur Gewinner. Bis zum ersten Abschluss existiert kein systemisches Sitzenbleiben, es gibt keine Abschulungen und weniger Schüler*innen ohne regulären Schulabschluss. Und die Gesamtschüler*innen übertreffen auch in Zeiten der zentralen Abschlussarbeiten der Sek I und des Zentralabiturs, die ihnen am Ende der Grundschule gestellten Prognose. Besonders eindrucksvoll: 70 Prozent der Abiturient*innen an Gesamtschulen hatten keine Empfehlung für das Gymnasium.
Bewertet man die Entwicklung aus der Sicht der GGG NRW mit der Zielperspektive der einen Schule für alle Schüler*innen, fällt das Ergebnis nüchterner, vielleicht sogar negativ, aus. Die Gesamtschule ist von ihrer Grundidee her nicht eine Ergänzung des gegliederten Schulsystems, sondern ihre Alternative. Seit dem Schulkonsens ist die notwendige ideologische Auseinandersetzung darüber, welches Schulsystem einer demokratischer Gesellschaft angemessen ist, einem grenzenlosen Pragmatismus gewichen. Da das Land jegliche Steuerung aufgegeben hat, bedienen sich die Schulträger in ganz unterschiedlicher Weise aus dem breiten Angebot der Schulformen. Die integrierten Schulen haben an vielen Standorten die Aufgabe, das nicht mehr vollständige gegliederte System funktionsfähig zu halten. An anderen Standorten wiederum haben sie Leuchtturmfunktion.
Unterstützung der Politik fehlt
Von der Landespolitik haben die Gesamtschulen zu keiner Zeit die Unterstützung erhalten, die notwendig gewesen wäre. Bei allen Landesregierungen gab es eine rote Linie bezüglich der Gesamtschule und der Schulstruktur, die nicht überschritten werden durfte: Das Gymnasium darf nicht angetastet werden . Die CDU ist von offener Gegnerschaft mittlerweile zu einer Tolerierung der Gesamtschule als vierter Schulform übergegangen. Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP wird absurderweise von einer Benachteiligung der Realschulen und der Gymnasien gesprochen. Da die Schulform Gymnasium schon von der rot-grünen Vorgängerregierung bevorzugt behandelt wurde, dient diese Formulierung zur Kaschierung einer noch stärkeren Privilegierung. Und so wurden die Gymnasien im Kern von der Aufgabe der Inklusion befreit. Dafür müssen die Gesamtschulen jetzt mehr Inklusionsschüler*innen pro Eingangsklasse aufnehmen. An den Gymnasien erhalten alle Kollegen*innen A13Z als Eingangsbesoldung, an den Gesamtschulen lediglich 47 Prozent. Der allgemeine Lehrer*innenmangel wirkt sich deshalb an den Gesamtschulen noch deutlich stärker aus. So wird den integrierten Schulen effektiv geschadet, ohne dies offiziell zu verlautbaren.
Und was bringt die Zukunft?
Seit dem Schulkonsens ist nicht nur die Bildungslandschaft insgesamt zersplitterter geworden – ein vollständiges gegliedertes Schulsystem ist zunehmend Fiktion. Den integrierten Schulformen wird zunehmend die Rolle der Absicherung des nicht mehr funktionsfähigen gegliederten Schulsystems zugewiesen. Dagegen muss und wird die GGG NRW mit den Gesamtschulen verstärkt angehen. Dafür brauchen wir auch die Eltern, die ihre Interessen für die Schulen ihrer Kinder mit Nachdruck gegenüber den politisch Verantwortlichen artikulieren. Spätestens seit dem Schulkonsens ist die Gesamtschule in die Fläche gegangen und die Schulträger erwarten deshalb zunehmend, dass alle Gesamtschulwünsche umgesetzt werden. Das verändert an manchen Schulen die Heterogenität nachteilig. Und es gibt mittlerweile ungefähr hundert Gesamt- und Sekundarschulen mit Teilstandorten, ohne die dafür nötigen personellen und sächlichen Ressourcen.
Forderungen des Gesamtschulverbands GGG
Die faktischen Benachteiligungen müssen beseitigt werden. Die Gesamtschulen haben landesweit die größten Klassen und das trotz heterogener Schülerschaft und Inklusion. Das muss durch reduzierte Klassengrößen und mehr Lehrkräfte pro Schüler*in verändert werden. Es gilt mit einem schülerscharfen Sozialindex bei der Ressourcenverteilung den unterschiedlichen Aufgaben der Schulen Rechnung zu tragen. Alle Schulformen sind aufgefordert sich gleichermaßen an der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Inklusion beteiligen. Das gegliederte Schulsystem hat seine strukturellen Probleme selber und nicht zu Lasten der Gesamtschulen zu lösen. Auch deshalb fordern wir das Abschulverbot. Und für alle Kolleg*innen bedarf es dringend einer Eingangsbesoldung nach A13Z. Und gesamtgesellschaft brauchen wird eine bildungs- und gesellschaftspolitische Diskussion für ein Schulsystem, das einer modernen, demokratischen Gesellschaft entspricht und den Bedürfnissen aller Schüler*innen gerecht wird.