Bildungspolitik 30.05.2018

Cybermobbing in Schule: Hilfen für Lehrkräfte

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Cybermobbing in Schule: Hilfen für Lehrkräfte

Reale Hemmschwellen existieren im Internet nicht

Jede*r achte Jugendliche wird bundesweit im Internet gemobbt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing. Expertin Dr. Catarina Katzer erklärt, wie Lehrkräfte mit Cybermobbing umgehen sollten.

  • Autor*in: Dr. Catarina Katzer
  • Funktion: Volkswirtin, Soziologin und Cyberpsychologin
Min.

Warum scheint es einfacher zu sein, andere Menschen im Internet fertigzumachen als im direkten Kontakt?

Zum einen können wir uns nirgendwo so perfekt von unserer wahren Identität abwenden und in eine fremde Rolle schlüpfen wie im Cyberspace. Wir trennen uns im virtuellen Raum von unserem physischen körperlichen Erleben. Mit unserem Gehirn sind wir online, wir selbst aber bleiben vor dem Bildschirm sitzen. Durch diese Entkopplung zwischen unserem Handeln im virtuellen Raum und unserem körperlichen Draußenbleiben empfinden wir nicht, dass wir eventuell etwas tun, was wir normalerweise nicht machen. Hinzu kommt, dass wir geradezu abtauchen in eine große Masse, wir werden eins mit der Onlinegemeinschaft. Dadurch bekommen wir das Gefühl, unsichtbar zu sein und anonym zu handeln. Wir lösen uns von unseren real gültigen Wertvorstellungen, können unkontrolliert reagieren und Bewusstsein und Gewissen einfach ausblenden. Die realen Hemmschwellen existieren nicht mehr.

Ein weiterer Aspekt ist die Unsichtbarkeit der Opfer im virtuellen Raum. Das Nicht-Miterleben-Können von Emotionen verringert unsere Fähigkeit, digitale Empathie zu empfinden und fördert emotionale Abstumpfung und Desensibilisierung. Viele werten ihre Attacken gar nicht als Cybermobbing. Aggressives Verhalten gehört für manche zur normalen Internetkommunikation. Aufgrund des fehlenden emotionalen Feedbacks ist Täter*innen oft nicht klar, was sie mit ihrem Handeln anrichten. Im Netz sieht man keine Tränen.

Wie ernst wird Cybermobbing an Schulen in NRW genommen?

Ich denke, dass das Bewusstsein deutlich wächst. Allerdings fehlt die Unterstützung der Politik. Dazu zählen die Lehrer*innenausbildung, Strukturen und Konzepte. So haben wir aktuell in Deutschland insgesamt nur an 22 Prozent der Schulen Anti-Mobbing-Beauftragte und eine anonyme Meldestelle. Onlineberatung gibt es nur in 11 Prozent der Schulen und Unterstützungsteams für Opfer werden in gerade einmal 12 Prozent der Schulen eingesetzt. Auch die Peer-to-Peer-Beratung ist kaum flächendeckend. Die Medienscoutausbildung haben von 2,5 Millionen NRW-Schüler*innen nur etwas mehr als 2.000 Jugendliche durchlaufen.

Was sollten Lehrkräfte tun, wenn sie Cybermobbing unter Schüler*innen bemerken oder selbst davon betroffen sind?

Wichtig ist, den Betroffenen zu signalisieren, dass man sie ernstnimmt. Häufig wird den Betroffenen eine Teilschuld zugeschoben oder Eltern reagieren über und verhängen eine Smartphone- oder Internetsperre. Deswegen suchen Betroffene oft Hilfe im Netz, bei Onlineberatungsportalen wie beispielsweise „juuuport“. Diese sind eine gute Möglichkeit, um erste Tipps zu bekommen, noch dazu von Gleichaltrigen, die die Problematik verstehen, da Jugendliche anderen Jugendlichen helfen. Nach diesem Prinzip funktioniert auch das Sorgentelefon „Cybermobbing-Hilfe“, das der 13-Jährige Lukas Pohland aus Schwerte ins Leben gerufen hatte, nachdem eine Mitschülerin und schließlich er selbst in der Realschule gemobbt wurden.

Konkret sollte man Cybermobbing dokumentieren, Kopien oder Screenshots machen, dem Anbieter melden und ihn auffordern, sich um die Veröffentlichungen im Forum zu kümmern. Oft ist auch eine Strafanzeige sinnvoll.

Welche Präventionsmaßnahmen sind sinnvoll?

Wir brauchen an allen Schulen – mindestens ab der Grundschule – ein flächendeckendes Präventionsmanagement, das dauerhafte neue Beratungs- und Hilfestrukturen implementiert. Wichtig dabei: die Jugendlichen mit einzubeziehen und sie Konzepte entwickeln zu lassen. So entstehen Verantwortung und Empathie für das Thema. Außerdem müssen Jugendliche verstehen, was es generell bedeutet, im Netz zu handeln. Nur so können wir verhindern, dass mehr Kinder zu Cybermobbing-Täter*innen werden.

Wir benötigen zukünftig auch ein Schulfach „Digitale Bildung“, eine Kombination aus Informatik und Technologie sowie aus cyberpsychologischen und digital gesellschaftspolitischen Inhalten. Auch regionale Netzwerke zwischen Schulen sowie Universitäten fördern den Austausch und die schnellere Durchdringung neuer digitaler Lernkonzepte.