Gewerkschaft 16.07.2020

Auslandsschuldienst: eine wichtige Erfahrung

Weiterbildung

Acht wundervolle Jahre in Johannesburg, Südafrika

Angela Schäfers hat acht Jahre an der Deutschen Schule in Johannesburg unterrichtet. Sie schreibt über diese spannende Zeit und auch die Herausforderungen für Auslandsschulkräfte.

  • Autor*in: Angela Schäfers
  • Funktion: Landesbeauftragte der AG der Auslandslehrkräfte in der GEW NRW
Min.

„Du traust dich ja was!“, war eine der Reaktionen auf meinen Entschluss, nach Südafrika zu gehen, um dort an der Deutschen Internationalen Schule in Johannesburg (DSJ) zu unterrichten. Südafrika war 2010 wegen der Fußballweltmeisterschaft häufig Thema in den Medien, was meine emotionale und politische Einstimmung auf das Land erheblich unterstützte, aber stets auch die hohe Kriminalitätsrate in dem Land, vor allem in Johannesburg, in den Mittelpunkt rückte.

Warum Südafrika? Warum Johannesburg?

Nachdem meine Tochter zum Studium nach Berlin aufgebrochen war, wollte ich mir einen alten Traum erfüllen, und zwar so schnell wie möglich: Raus aus Deutschland, andere Länder, andere Kulturen kennenlernen, und zwar richtig, mit viel Zeit. Nach der Bewerbung bei der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) im September 2009 wartete ich also nicht einfach darauf, dass Auslandsschulen an mich herantraten, sondern schrieb gezielt Schulen mit einem interessanten Profil in Südamerika -– bis dahin mein Traum-Kontinent – und Afrika an. Nach beiden Kontinenten zog mich vor allem die Musik, nach Südafrika zusätzlich die Bewunderung für Nelson Mandela, für dessen Freilassung ich mich früher politisch eingesetzt hatte.

Schließlich musste ich mich zwischen La Paz in Bolivien und Johannesburg in Südafrika entscheiden. Beide Schulen versprachen spannendes Unterrichten, beide Länder lockten mit faszinierender Kultur und Natur. Den Ausschlag gab schließlich die bessere Erreichbarkeit Johannesburgs aus Deutschland, denn meine Tochter sollte und wollte mich so oft wie möglich besuchen.

Lernen in und von der ganz anderen Kultur

Wer denkt, Deutschland sei Spitzenreiterland in Sachen Bürokratie, hat noch nie versucht, in einem afrikanischen Land ein Auto anzumelden oder ein Konto zu eröffnen. Glücklicherweise war ich als Englischlehrerin wenigstens einer der 11 Landessprachen mächtig. Es dauerte nicht lange zu begreifen, dass ich mit dem deutschen „Schnell und sofort!“ keinen Schritt weiterkommen würde. Nach und nach fand ich Gefallen an dem Smalltalk, bevor es zur Sache ging, lernte Menschen, nicht nur Dienstleister*innen, kennen, erfuhr, dass durch das – nicht nur oberflächliche – Interesse an der anderen Person Wertschätzung gezeigt wird. Wenn ich morgens auf meinem Weg zur Schule mit dem Zeitungsverkäufer an der Kreuzung hier und an der Ecke dort aus dem Auto heraus ein Lächeln und ein Winken tauschte und mit dem Wachdienst am Schultor die Begrüßungsworte auf Zulu „Sawubona“ (dt.: Ich sehe dich) und „Unjani?“ (dt.: Wie geht es dir?) wechselte, war ich gewappnet für den Tag.

Privilegiert – nicht nur an der (Privat-)Schule

Südafrika ist ein Land tiefer ökonomischer und bildungspolitischer Ungerechtigkeit. In den nördlichen Vierteln Johannesburgs lebt die wirtschaftliche Elite, zum großen Teil immer noch Weiße, in Villen mit hohen Mauern und Wachpersonal, während sich nicht weit davon entfernt in Alexandra, einer ehemaligen Township, viele – schwarze – Familienmitglieder winzige und marode Shacks (Wellblech-Hütten) teilen. Die Kinder der einen lernen in kleinen Klassen auf teuren Privatschulen mit modernster Ausstattung, die Schulklassen in den Armenvierteln sind überfüllt, die Lehrkräfte oft schlecht ausgebildet und unterbezahlt. Wer Geld hat, fährt jeden noch so kleinen Weg mit dem Auto, während die große Mehrheit oft erst nach langen Fußwegen oder in einem nicht wirklich verkehrssicheren, voll besetzten Minibus den schlecht bezahlten Arbeitsplatz erreicht. Die eklatanten Widersprüche begegneten mir überall und jederzeit. Als weiße Lehrerin, noch dazu mit einem stattlichen Gehalt aus Deutschland, gehörte ich eindeutig zu der privilegierteren Gruppe. Viele meiner Kolleg*innen an der DSJ haben deutsche Wurzeln, aber es gibt auch viele, deren Muttersprache Afrikaans oder Englisch ist. Gemeinsam ist ihnen, dass sie dieselbe Arbeit wie wir, die aus Deutschland entsendet werden, machen, aber mehr Stunden für weniger Lohn unterrichten müssen.

Als Auslandsdienstkraft standen mir nicht nur eine steuerfreie Zuwendung sowie Umzugspauschalen zu, sondern mir wurden für meine Tochter auch zwei Flüge pro Jahr erstattet. In fast allen Ferien konnten wir so gemeinsam das Land selbst, Namibia, Mosambik und andere erkunden. So manche südafrikanische Kollegin dagegen kann sich eine Urlaubsreise, vor allem seit der südafrikanische Rand in den letzten Jahren in den Keller ging, kaum leisten, erst recht nicht ins europäische Ausland.
Umso dankbarer bin ich vielen Kolleg*innen, die mich mit offenen Armen aufnahmen und mich diese Ungerechtigkeit nie spüren ließen. Die Wärme und Hilfsbereitschaft, auch unter den Arbeiter*innen an der Schule, machten die Schule zu einem Zuhause, in dem ich – erst recht als Single – viel mehr Stunden verbrachte, als dies in Deutschland denkbar ist.

„Leiden an Leitung“ - Motto der Rückkehrertagung 2014

Was mir den Abschied nach acht Jahren – mein Vertrag wurde zweimal bis zur Höchstdauer verlängert – erleichterte, war mein Schulleiter. Schulleiter*innen von Auslandsschulen müssen und dürfen viel mehr entscheiden als hier in Deutschland. Gleichzeitig gibt es an den Schulen – nicht immer fachkundige – Vorstände, die letztendlich über die Verweildauer der Schulleiter*innen bestimmen. So stehen diese unter dem Druck, höhere Schüler*innenzahlen, mehr und bessere Abschlüsse beim Abitur und Sprachdiplom vorzuweisen. Manche schaffen den Spagat. Mein Schulleiter zog immer mehr Entscheidungen an sich, ignorierte die Expertise erfahrener Kolleg*innen, spaltete das Kollegium nach dem römischen Motto „divide et impera“ und strafte Kritiker*innen ab, diffamierte sie öffentlich. Viele Kolleg*innen, vor allem Ortslehrkräfte, äußerten aus Angst ihren Job zu verlieren Kritisches nur vertraulich und außerhalb der Schule. Da konnte selbst ein engagierter Lehrerrat, der um jede Befugnis hart und nicht immer erfolgreich kämpfen musste, wenig ausrichten. Und die zuständigen deutschen Behörden sahen sich außerstande einzugreifen und verwiesen auf den Schulvorstand.

Mein persönliches und berufliches Fazit

Die acht Jahre waren trotzdem fast die besten meines Lebens. Ich habe beruflich und persönlich ungeheuer viel erlebt und gelernt. In Sachen Binnendifferenzierung, Sprachsensibilität, kooperativen Lernmethoden und Klassenmanagement kann mir kaum noch jemand etwas vormachen. Die Zusammenarbeit mit Kolleg*innen aus unterschiedlichsten Zusammenhängen war nicht immer konfliktfrei, aber stets spannend und bereichernd. Ich durfte mit dem Segen der Elternschaft eine DVD-Sammlung für die Bibliothek aufbauen und konnte spannende Schriftsteller*innen wie Ursula Poznanski, Lutz van Dijk oder Kirsten Boie an unserer Schule begrüßen.

Wie gut die Arbeitsbedingungen an der DSJ waren, merke ich vor allem, da ich nun in Deutschland wieder Klassen mit 30 statt mit 20 Kindern unterrichte, sechs statt vier Klassenarbeiten pro Jahr korrigiere und Inklusion ohne entsprechendes Fachpersonal bewerkstelligen soll. Ich muss nun wieder mit Respektlosigkeit, permanentem Lärm und Lernverweigerung fertig werden und stelle ernüchtert fest, dass das im Ausland Gelernte hier nicht wirklich eine Rolle spielt und das Potential zurückgekehrter Auslandslehrkräfte nicht genutzt wird. Es interessiert nur wenige Menschen, was ich in Südafrika erlebt und gelernt habe.

Und: Mir fehlen der strahlend blaue Himmel, die Wärme der Sonne und der Menschen, die Schönheit der widerspenstigen Landschaft, der weite Blick über schier grenzenlose Steppen, die Musik, die mich unweigerlich zum Tanzen bringt. Und ja, es ist gut, wieder hier zu sein, aber angekommen bin ich nach eineinhalb Jahren noch nicht.