Schule 17.10.2017

All inclusive ist für Bildung eine Katastrophe

LehrkräftemangelGrundschule
All inclusive ist für Bildung eine Katastrophe

Ruheständler*innen federn den Bedarf an Lehrkräften kurzfristig ab

Relindis Blätgen arbeitet in einer Offenen Ganztagsschule, obwohl sie eigentlich ihren Ruhestand genießen könnte. Eine Notlösung, ohne die einige Schulen nicht mehr funktionieren würden.

  • Interview: Jessica Küppers
  • Funktion: Redakteurin im NDS Verlag
Min.

Früher war Ruheständlerin Relindis Blätgen Grundschullehrer*in und hat ihren Job immer gerne gemacht – bis es auch gesundheitlich nicht mehr ging. Jetzt hilft sie nur noch bei Bedarf an ihrer ehemaligen Grundschule aus. Für das Kollegium ist sie eine wertvolle Stütze, doch ihre Hilfe soll das eigentliche Problem – den eklatanten Lehrkräftemangel – nicht verschleiern.

Sie könnten seit zweieinhalb Jahren ihren verdienten Ruhestand genießen, warum unterrichten Sie trotzdem weiter?

Ich habe sehr gerne in der Schule mit Kindern gearbeitet und ich habe nie bereut, diesen Beruf gewählt zu haben. Trotzdem bin ich frühzeitig, nämlich mit 63 Jahren, in den Ruhestand gegangen und das hatte Gründe: Insgesamt habe ich 41 Jahre lang vorwiegend als Klassenlehrerin in einer Grundschule gearbeitet. Dabei habe ich erlebt, dass die Belastungen an diesem Arbeitsplatz zunehmend größer wurden: wachsende Anzahl an Erziehungsaufgaben, die Integration ausländischer Kinder, zuletzt der Zuzug vieler geflüchteter Kinder und ganz besonders die völlig überstürzt durchgeführten Inklusionsmaßnahmen. All diese zusätzlichen Aufgaben sollten von viel zu wenigen Personen geleistet werden. Das war und ist für alle Schüler*innen fatal, denn sowohl die leistungsstarken Kinder, die gefordert werden sollten, als auch die Kinder, die fachlich, sprachlich oder seelisch gefördert werden müssen, bleiben dabei auf der Strecke.

Für die engagierten Lehrer*innen bedeutet das täglich Frust, weil sie den Kindern nicht gerecht werden können. Hinzu kommt, dass das Ausmaß dieser Situation zwar in jedem Lehrerzimmer zu erleben und zu hören ist, nach außen aber von der Politik immer noch beschönigt wird. Da ich noch guten Kontakt zu meinem ehemaligen Kollegium habe, erlebe ich, dass sich die Lage an den Schulen immer mehr zuspitzt. Und das ist der Hauptgrund, warum ich dort wieder arbeite: weil der Bedarf an Lehrer*innen so groß ist!

Seit wann stehen Sie erneut vor einer Klasse und wie kam es dazu?

Das kam so: Auf Anfrage der Schule und der Offenen Ganztagsschule habe ich immer mal wieder bei Bedarf für einige Stunden ausgeholfen. Ich habe zwei Klassenfahrten begleitet, habe drei Wochen lang je zwei Stunden eine erkrankte Kollegin und deren ebenfalls erkrankte Vertretungskraft ersetzt und arbeite seit Beginn des Schuljahres einige Stunden in der Hausaufgabenbetreuung. Für diese Arbeit habe ich einen Vertrag mit dem Träger der OGS, der Diakonie.

Worauf müssen Ruheständler*innen achten, wenn sie weiter unterrichten möchten?

Wichtig ist, dass bis 2019 die Hinzuverdienstgrenze für Ruheständler*innen wegfällt. Über das ganze Thema sollte man sich vorab zum Beispiel auf der Internetseite des NRW-Schulministeriums informieren.

Ruheständler*innen zurück an Schulen zu holen, ist eine Antwort auf den eklatanten Lehrkräftemangel in NRW. Halten Sie das für eine gute Lösung?

Langfristig halte ich das für keine gute Lösung. Auch deshalb nicht, weil der Einsatz von Ruheständler*innen die Missstände in der Unterrichtsversorgung verschleiert. Es ist eine Notlösung, wie auch die Einstellung von Quereinsteiger*innen, die Einstellung von Studierenden und die Einstellung von Gymnasiallehrer*innen als Grundschullehrkräfte. All diese Maßnahmen zeigen allerdings sehr deutlich, wie schlecht die Unterrichtsversorgung an unseren Grundschulen ist!

Wie lässt sich der Lehrkräftemangel aus Ihrer Sicht beheben?

Ganz einfach, aber offensichtlich bisher nicht machbar für unser wohlhabendes Land: Wir brauchen verbesserte Studienplatzkapazitäten, eine Erhöhung der Attraktivität des Lehrberufs, zum Beispiel durch bessere Arbeitsbedingungen und die Einstellung von zusätzlichen Lehrer*innen – möglichst zwei Lehrkräfte pro Klasse. Das bedeutet mehr Lehrer*innen für die Vertretungsreserve, mehr Sozialarbeiter*innen, mehr Psycholog*innen und mehr Integrationshelfer*innen.

Wir müssen den Leistungen der Lehrer*innen mehr Respekt erweisen! Das System „All inclusive“ ist für einen Urlaub auf Mallorca bestimmt schön, aber möglichst viel Leistung für möglichst wenig Geld zu propagieren, ist für den Bereich Bildung eine Katastrophe!