GEW NRW: Bildung beginnt in der Kita und Sprache ist ein wichtiger Schlüssel dazu. Was verbirgt sich hinter alltagsintegrierter Sprachförderung und wie profitiert die frühkindliche Bildung davon?
Prof. Dr. Renate Zimmer: Die Unterstützung der kindlichen Sprachentwicklung ist grundlegender Bestandteil des Bildungsauftrags von Kindertageseinrichtungen. In den vergangenen Jahren dominierten vorrangig additive, also zusätzliche, von externen SprachexpertInnen durchgeführte Sprachförderprogramme. Diese Praxis hat sich aufgrund der Rückmeldungen der pädagogischen Fachkräfte, aber auch aufgrund der Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen zur Effektivität der Fördermaßnahmen geändert. Unterschiedliche Studien belegen, dass Kinder in ihrer Sprachentwicklung nachweislich nicht von isolierten, additiven Sprachförderprogrammen profitieren.
NRW hat sich zu einer Neuausrichtung der Sprachbildung im Sinne einer alltagsintegrierten Sprachbildung entschlossen: Sie durchzieht den gesamten Alltag der Kindertageseinrichtungen und nutzt – statt vorgegebener Materialien und festgelegter Zeiten – alltägliche Situationen, um sprachbewusste und sprachbildende Prozesse anzuregen. Eine solche Neuausrichtung der Sprachbildung bedarf auch eines veränderten Vorgehens bei der Beobachtung und Dokumentation der kindlichen Sprachentwicklung. Pädagogisch sinnvoller als punktuelle Tests zur Erhebung des Sprachentwicklungsstandes sind entwicklungs- und prozessbegleitende Beobachtungsverfahren, die eine Beurteilung der kindlichen Sprachkompetenzen von Anfang an, also auch schon im Krippenalter ermöglichen. Im Rahmen der Anwendung der Verfahren wird auch eine sprachanregende Gestaltung des pädagogischen Alltags in Kindertageseinrichtungen angestrebt.
Ein Indikator des Bochumer Memorandums ist die Bildungsbeteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund – ein Thema, das angesichts der geflüchteten Kinder und Familien eine ganz neue Dimension bekommen hat. Welche Rolle spielt hier das Sprachenlernen in der Kita?
Aus meiner Sicht ist es zunächst einmal notwendig, den Blick auf die Defizite aufzugeben und eher darauf zu schauen, was das Kind kann, über welche Ressourcen und Kompetenzen es verfügt. Wir sollten uns in der Kita daher nicht allein auf die verbale Sprache konzentrieren: Die Körpersprache, Kommunikation mit Gesten und auch die Mimik, Blickkontakt, ein aufmerksames Lächeln spielen eine genauso große Rolle. Der Zugang zu den Kindern ist über die verbale Sprache oft erschwert, viel leichter ist es, den Zugang über gemeinsame Aktivitäten zu gewinnen, über das gemeinsame Spiel. Gibt man ihnen zum Beispiel einen Ball, fangen sie meist sofort an, damit zu spielen. Und das Schöne daran ist: Sie sind auch während des eigenen Tuns aufmerksam für das, was die anderen Kinder oder die PädagogInnen sagen, sie kommen mit anderen in Interaktion, nehmen Redewendungen auf, erweitern ihren Wortschatz, eignen sich Begriffe an, erkennen ihre Bedeutung, wiederholen gehörte Satzmuster – und finden so viel schneller zur deutschen Sprache als durch einen Sprachkurs.
Der Erwerb einer neuen Sprache gelingt umso besser, je mehr er an authentische, bedeutsame Situationen geknüpft ist, je mehr die Sprachlernsituationen in motivierende Kontexte eingebunden sind.
Warum nehmen Sie am Bochumer Kongress teil? Was erwarten Sie von der Veranstaltung?
Ich schätze die Vielfalt und Aktualität der Themen und freue mich auf die Veranstaltung weil ich davon ausgehe, dass dort brennende bildungspolitische Fragen diskutiert werden.