17.02.2015

Welche Kleidung gilt als angemessen in der Schule?

  • In: nds-zeitschrift 2-2015

Zwischen Bevormundung und persönlicher Freiheit

Joggingbuxe, Leggings, Minirock – über moderne Kleidung lässt es sich lange diskutieren. Doch was gilt als angemessen in der Schule? Die Willy-Brandt-Schule in Mülheim an der Ruhr macht‘s vor.

Min.

Was ist erlaubt und was nicht

Dresscode an Schulen

In unserem aktuellen Beitrag zum Thema Kleiderordnung erklärt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schulrecht Dr. Thomas Böhm,  wie  sich angemessene Kleidung und freie Persönlichkeitsentfaltung miteinander in Einklang bringen.

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Die Willy-Brandt-Schule in Mülheim an der Ruhr hat sich vor einiger Zeit auf den Weg gemacht, die eigenen Schulregeln zu revidieren und weiterzuentwickeln. In diesen Prozess wurden Eltern, Schüler*innen und das Kollegium gleichermaßen einbezogen. „Unsere Schule existiert schon seit über 25 Jahren und so wurde es Zeit, unser Regelwerk grundlegend zu überarbeiten und den heutigen Ansprüchen anzupassen“, sagt die Schulleiterin der Städtischen Gesamtschule Ingrid Lürig. Immer wieder kam es zu Missverständnissen und Unklarheiten in der Interaktion und im Umgang mit dem schulinternen Regelwerk. Interessen von Schüler*innen und Ansprüche der unterrichtenden Kolleg*innen prallten aufeinander und sorgten für unnötigen Konfliktstoff. Eine umfassende Revision stand an. Ein besonderer Fokus kristallisierte sich in der Diskussion heraus: Wie kleidet man sich angemessen in der Schule? Hier standen vor allem immer wieder Irritationen im Vordergrund, die für Zündstoff sorgten. Nicht nur innerhalb der Schule, sondern auch zu Hause bei den Schüler*innen führte das Thema Kleidung regelmäßig zu intensivem Gesprächsbedarf. Ist die Hose zu kurz, der Ausschnitt zu tief, der Trainingsanzug zu leger oder der Aufdruck auf dem T-Shirt zu provokativ?

Kleidungsfrage? Schwierige Frage!

„Mir ging es schlichtweg auf die Nerven, dass ich mich als Lehrer ständig rechtfertigen musste, wenn Kevin mal wieder in seiner schlabbrigen Jogginghose zur Schule kam“, erzählt ein damals gestresster Kollege. „Der Schüler sah es überhaupt nicht ein, dass er sich in der Schule anders zu kleiden hat, als würde er abends gemütlich auf der Couch liegen“, so der Kollege weiter. „Das war kein Einzelfall“, erklärt Schulleiterin Ingrid Lürig. „Immer wieder standen Kolleg*innen bei mir im Büro, die sich darüber beklagten, dass Schüler*innen unpassend gekleidet waren.“ Aber was ist eigentlich unpassende Kleidung für die Schule? Diese Frage wurde in Workshops und Konferenzen umfassend diskutiert. Die kontroversen Seiten waren schnell klar: Zum einen sollen sich Schüler*innen frei entfalten, ihre Meinung sagen und ihr persönliches Profil entwickeln, zum anderen sollen von der Schule klare Linien aufgezeigt werden: Der Klassenraum ist weder ein Fitnessstudio noch der Strand von Mallorca.

Die Lösung: eine Kleidungspräambel

Zwischen diesen Kontroversen wurde der Konsens in der Kleidungsordnung der Willy-Brandt-Schule gesucht und gefunden: „Unsere Schule ist ein öffentlicher Ort und daher haben wir grundsätzlich alle das Recht, frei über die Wahl unserer Kleidung zu entscheiden. Wichtig bei der Auswahl ist, dass wir niemand anderen damit irritieren“, lautet ein Auszug aus der Schulordnung. Zu dieser „Kleidungspräambel“ sind Zeichnungen mit Empfehlungen entwickelt worden, die allen die Kleidungswahl erleichtern sollen. Der Prozess der Revision kostete Zeit, Kraft und vor allem Arbeit. In allen Beteiligungsbereichen der Schule fand eine fast gleiche Arbeitsstruktur statt: Sowohl im Kollegium und in der Elternpflegschaft als auch in der Schüler*innenvertretung wurden Analysen durchgeführt, um herauszufinden, welche Schulregeln sinnvoll beziehungsweise redundant sind und welche hinzukommen beziehungsweise erweitert werden müssten. In Workshops und Konferenzen wurden Vorschläge erarbeitet und dann in einer Steuerungsgruppe zusammengetragen. Neben der Revision des Regelwerks sollte dieses vor allem richtig vermittelt und die Akzeptanz dafür bei allen Beteiligten verstärkt werden.

Entscheidungshilfe vor dem Kleiderschrank

„Am Anfang fand ich es nicht so toll, dass die Schule mir vorschreibt, was ich anzuziehen habe“, sagt eine Schülerin der neunten Jahrgangsstufe. „Inzwischen merke ich aber, dass mir die Entscheidung morgens vor dem Kleiderschrank erleichtert wird. Ganz bestimmte Kleidungsstücke lasse ich einfach links liegen, die haben in der Schule nichts zu suchen.“ Die Schulgemeinde hat sich darauf verständigt, dass es sich nicht um eine Kleidungsvorschrift handelt, sondern um eine Handreichung und Entscheidungshilfe. „Natürlich dürfen Schülerinnen bei uns Leggings tragen. Allerdings nur, wenn sie darüber eine kurze Hose oder ein langes Oberteil anziehen“, erklärt Ingrid Lürig. „Es geht nicht um Einschränkung oder Bevormundung – wir bereiten die Schüler*innen auf das berufliche Leben und das Verhalten in unserer Gesellschaft vor. Dazu gehört auch, dass man sich den Anlässen entsprechend zu kleiden hat!“ Die Kleiderordnung erlaubt zum Beispiel sportliche Kleidung. Nur das Tragen von Jogging- oder Trainingsanzügen in der Schule ist unerwünscht – abgesehen vom Sportunterricht. Darüber hinaus ist die Kleidung so zu wählen, dass sie frei von Aufdrucken ist, die Rassismus, Drogen oder Gewalt verherrlichen.

Schulordnung als Orientierungshilfe

Neben einer Kleiderordnung gab es im Rahmen des Revisionsprozesses zum Beispiel auch eine Neufassung der Absprachen im Umgang mit neuen Medien – speziell mit der Handhabung von Handys in der Schule – und eine flächendeckende Einführung von Lernzeiten und Konfliktlösungsstrategien. Der Erfolg des Konzeptes wird sichtbar: Die Anzahl der Ordnungsmaßnahmen ist in den letzten Jahren rückläufig und eher als gering einzustufen. Dies lässt unter anderem darauf schließen, dass die Akzeptanz der Schulordnung durch die Schulgemeinde als relativ hoch zu bewerten ist. „Es gibt natürlich auch immer wieder Schüler*innen, die den vereinbarten Ordnungsrahmen verlassen. In diesen Fällen setzen wir uns direkt mit dem Elternhaus in Verbindung“, so die Schulleiterin. „Wir erinnern daran, dass die Schulordnung nicht nur vom Kollegium, sondern auch von Schüler*innen und der Elternpflegschaft verfasst wurde, das hilft in der Regel!“ Die Schulordnung wird jährlich neu im sogenannten Logbuch abgedruckt. Das Logbuch ist ein Kommunikationsmittel zwischen Schule, Schüler*innen und dem Elternhaus. Darin werden alle wichtigen Dinge notiert. Über das Logbuch erfolgt das Entschuldigen von Fehlstunden und es sind alle wichtigen Ansprechpartner*innen zu finden. Jedes Schuljahr werden die Regeln gemeinsam besprochen und erneut erläutert. Besiegelt werden die Vereinbarungen durch Unterschriften aller Beteiligten und der Verpflichtung, sich an diese zu halten und die Schule in ihrer Bildungs- und Erziehungsaufgabe zu unterstützen.

Mathias Kocks

 

Studienrätin Karin Brose im Interview

Schulkleidung ist nicht Schuluniform

Die ehemalige Studienrätin Karin Brose hat im Jahr 2000 deutschlandweit erstmalig einheitliche Kleidung an einer Hamburger Schule eingeführt. Warum sie von dem Einheitslook überzeugt ist, erzählt sie im punktlandung-Interview.

Was sind die Unterschiede zwischen Schuluniform und Schulkleidung?

Karin Brose: In Großbritannien bestimmen die Schulen das Outfit für die Kinder und Jugendlichen – bei Schüler*innen stärkt das häufig Unmut und Widerstand, die Vorschriften werden unterlaufen. Und obwohl alle schwarze Schuhe tragen müssen, ist genau zu erkennen, ob sie vom Grabbeltisch stammen oder die teure Variante aus dem Designer-Shop sind. Kaschmir oder Polyester, die unterschiedliche Qualität der Kleidung spiegelt die Finanzkraft der Elternhäuser ins Klassenzimmer. Meine Vision einer Bekleidung für Schüler*innen geht dahin, eine Einheitlichkeit ohne Uniformierung bei gleichzeitig hoher Akzeptanz durch Schüler*innen und Eltern zu erreichen. Eine solche Bekleidung muss modern und frei wählbar sein. Schüler*innen dürfen sich nicht verkleidet fühlen. Seit 2000 arbeite ich an einem solchen Bekleidungskonzept für Schulen in Deutschland: Mit „Schulkleidung“ habe ich einen neuen Begriff für Arbeitskleidung in der Schule geprägt.

Was macht Schulkleidung aus?

Karin Brose: Die meisten SchülerInnen identifizieren sich mit ihrer Schulkleidung, weil sich alle aus einer Kollektion trendgerechter Kleidungsstücke nach individuellen Gewohnheiten kleiden können. Das Angebot beschränkt sich auf einheitliche Oberteile, um nicht doch in eine Uniformität zu entgleiten und genügend persönlichen Spielraum zu lassen. Die Kollektion besteht aus klassischen Basistextilien und wird jede Saison durch Trendteile ergänzt. Farbe und Logo sind festgeschrieben. Die Anzahl der angebotenen Styles bestimmt jede Schule selbst. Ein vielseitiges Angebot ist nötig, denn SchülerInnen wollen und sollen trotz Einheitskleidung die Möglichkeit haben, sich voneinander zu unterscheiden.

Was bewirken einheitliche Klamotten für den Schulfrieden?

Karin Brose: Eines dürfen wir nicht vergessen: Es bedarf einer gehörigen Portion Disziplin, jeden Tag mit einheitlicher Kleidung in den Unterricht zu gehen und damit auf ein Stück Selbstdarstellung zu verzichten. Daran muss stetig gearbeitet werden, denn Schulkleidung hat in Deutschland bisher keine Tradition. Wenn junge Menschen es dann schaffen, ihren Drang nach Außenwirkung trotz der immer präsenten Einflüsse von Handel und Medien in den Griff zu bekommen, können sie stolz auf sich sein. Schulkleidung ist moderne Kleidung mit Schullogo für Kinder und Jugendliche auf dem Weg zu besserem Lernverhalten und besseren Lernergebnissen. Sie sollte aber niemals uniform sein. Und es kommt auch auf die LehrerInnen an: Gute Lehrkräfte sind immer in der Lage aus einer Klasse ein „Wir“ zu machen. Dazu braucht es keine einheitliche Kleidung. Dennoch ist sie ein Baustein, der den Mannschaftsgeist ganz erheblich unterstützt. Meine MannschaftskollegInnen haue ich nicht in die Pfanne – Frieden.