Neuigkeiten 15.05.2024

Familienministerin Paul bekommt Nachhilfe im Rechnen: Wir brauchen 400 Millionen Euro zur Rettung der Kitas in NRW

BildungsfinanzierungKinder- und JugendhilfeFachkräftemangelFrühkindliche Bildung
  • Für die GEW NRW: Dr. Kenneth Rösen
  • Mobil: 0171 3317743
  • Mail: kenneth.roesen@gew-nrw.de
  • Für das Kita-Bündnis NRW: Birte Wuermeling
  • Mobil: 0174 2629325
  • Mail: birte.wuermeling@froebel-gruppe.de

35.000 Stimmen sprechen eine deutliche Sprache: Kitas, Fachkräfte und Eltern sind nicht einverstanden mit der Kita-Politik in NRW! Deshalb haben sie Familienministerin Josefine Paul heute vor dem Landtag eine Petition mit ihren Forderungen übergeben und klargestellt: Für eine verlässliche Kinderbetreuung und frühe Bildung braucht es weit mehr Mittel als das Land bisher zur Verfügung gestellt hat. Zeitgleich brachten SPD und FDP Anträge zur Stärkung der Kitas in den Landtag ein.

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Düsseldorf, 15. Mai 2024. „Uns schmerzt, dass die Situation in der frühkindlichen Bildung von der Landesregierung nicht ernst genommen wird“, sagte Marcus Bracht, Geschäftsführer des freien Kita-Trägers educcare aus Köln. „Die Landesregierung sagt, sie gibt mit insgesamt 5,5 Milliarden Euro so viel Geld aus wie noch nie. Sie feiert einen so genannten Rettungsschirm von 100 Millionen zur Überbrückung der Lücke bei den nicht refinanzierten Tariflöhnen. Aber sie sagt nicht, wieviel es wirklich braucht, um 8.000 freie Kita-Träger in NRW – das sind drei Viertel von allen – auskömmlich zu finanzieren. Das bedeutet: Die Landesregierung ist hier entweder im Blindflug, weiß also nicht, wieviel es braucht, um gute pädagogische Arbeit zu leisten. Oder sie legt die Mittel wissentlich zu gering aus.“

„Wir haben hochgerechnet: Wenn eine normal große Kita mit 10 Mitarbeitenden in 1,5 Jahren eine zusätzliche Finanzierungslücke von 80.000 Euro zu stemmen hat, aus dem Überbrückungsgeld aber nur ca. 12.500 Euro erhält, kommen wir auf 400 Millionen Euro zusätzlicher Mittel, die die Träger unverzüglich benötigen“, so Bracht.

Aktuell geraten viele freie Kita-Betreiber in NRW in Existenznot, weil sie ihre Beschäftigten nach Tarif bezahlen wollen, dies aber nicht können. Denn das Land finanziert diese Steigerung bei ihnen nicht. Um dennoch auf dem angespannten Bewerbermarkt mithalten zu können, sind viele bereits in Vorleistung gegangen. Was das bedeutet, sagte Vera Hopp, Geschäftsführerin vom Verein für Kinder- und Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten Ruhrgebiet (VKJ): „Schon im Vorjahr konnten wir Stellen nicht wiederbesetzen und mussten Projektstellen streichen. Dadurch haben wir z. B. langjährige Honorarkräfte in der Frühförderung gestrichen. Das ist ein Teufelskreis. Kinder benötigen diese Förderung, um mit Chancengleichheit in der Schule zu starten. Gut ausgebildete Fachkräfte werden verheizt.“

All das sind keine neuen Themen für das Land: Seit Monaten und Jahren mahnen freie Kita-Träger eine faire Finanzierung der vereinbarten Kita-Qualität an.

Damit die freien Träger weiter den gewünschten und geforderten Beitrag leisten können, fordern sie im Kern:  

  • eine vorgezogene Anpassung der Kita-Finanzierung und
  • eine neue Regelung, dass tarifliche Lohnsteigerungen künftig direkt nach ihrem Abschluss – und nicht erst Monate später – berücksichtigt werden.  

Der Koalitionsvertrag betone richtigerweise die Bedeutung von Tarifbindung, unterstrich Stephan Osterhage-Klingler von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) NRW. „Um eine Bezahlung nach Tarif in allen Einrichtungen zu ermöglichen, bedarf es aber auch einer angemessenen und zeitnahen Refinanzierung der entstehenden Personalkosten. Nur dadurch werden – insbesondere auch die freien Träger – in die Lage versetzt, ihre Beschäftigten fair nach Tarif zu bezahlen.“

Josefine Paul sagte mit Blick auf den Rettungsschirm, die Landesregierung habe trotz aller finanziellen Herausforderungen einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der Träger bereits geleistet. Das ändere aber nichts daran, „dass das Tischtuch insgesamt immer zu kurz ist“. Gleichzeitig betonte sie die hohe Bedeutung freier Kita-Träger und habe „großes Verständnis dafür, dass sie ihren Frust zum Ausdruck bringen.“ Die Positionen und Anregungen der Petition werde sie mitnehmen und in allen anstehenden Abwägungsprozessen berücksichtigen.

Konkrete Ideen formulierten die bei der Petitionsübergabe anwesenden familienpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Oppositionsparteien analog ihrer Anträge: Dr. Dennis Maelzer (SPD) fordert, „den Platzmangel in der frühkindlichen Bildung durch eine nachhaltige Stärkung der Kitas zu bekämpfen und Hemmnisse für den Kita-Ausbau konsequent zu beseitigen. Dazu gehört, schon vor der eigentlichen KiBiz-Novelle Maßnahmen zu ergreifen, die die frühkindliche Bildung stärken. Dafür braucht es kurzfristig ein Kitaträger-Rettungspaket in Höhe von 500 Millionen Euro, das die Insolvenzgefahr abwendet und Träger nicht mehr dazu zwingt, die Investitionskostenrücklage zur Sicherung des laufenden Betriebs aufzubrauchen.“

Marcel Hafke (FDP) forderte "konsequentes Handeln, um eine qualitative und verlässliche frühkindliche Bildung in NRW sicherzustellen". Neben der Kindertagespflege stellten die Kitas „mit ihrem engagierten Fachpersonal die frühkindliche Bildung unserer Kleinsten sicher und ermöglichen es Eltern durch das qualifizierte Betreuungsangebot, ihrer Arbeit nachzugehen. „Es ist Aufgabe und klare Länderkompetenz, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu setzen und eine ausreichende Finanzierung sicherzustellen. Dass die Ministerin die Überbrückungshilfe mit nur 100 Millionen Euro ausgestaltet hat, obwohl weitere 110 Millionen Euro an Selbstbewirtschaftungsmitteln zur Verfügung gestanden hätten, spricht Bände. Dass die Landesregierung zudem keine Übersicht über den Stand der Mittelauszahlung bei der Überbrückungshilfe hat, zeigt, dass man nicht gewillt ist, sich mit Realitäten auseinanderzusetzen. Mit Blick auf das entstandene Finanzierungsdelta bei den Trägern gibt es kein Erkenntnisdefizit, sehr wohl aber ein Handlungsdefizit bei dieser Landesregierung.”

„Es ist keineswegs so, dass wir nichts tun”, sagte Jens Kamieth (CDU). Fraktionsübergreifend kämpften alle Familienpolitiker gemeinsam dafür, dass die Kinderbetreuung und frühe Bildung in NRW besser ausgestattet wird. Mit Blick auf die Situation freier Träger sei allen klar, dass eine Summe von 100 Millionen Euro zur Überbrückung der gestiegenen Tariflöhne nicht reiche.

„Ihre Arbeit muss sichtbarer werden“, unterstrich Eileen Woestmann (Bündnis 90/Die Grünen) den hohen Stellenwert dessen, was Erzieherinnen und Erzieher tagtäglich leisten. Nicht nur sie selbst, sondern auch Josefine Paul kämpfe „wie eine Löwin“ für mehr Mittel für Kinderbetreuung und frühe Bildung. Bei der politischen Verabschiedung der Überbrückungshilfe sei im Übrigen nicht mehr Geld die Alternative gewesen, sondern weit weniger.  

„Die Kita-Politik unserer Landesregierung läuft immer weiter in die falsche Richtung“, fand Dormagens Bürgermeister Erik Lierenfeld (SPD) deutliche Worte aus kommunalpolitischer Sicht. „Als Kommunen fühlen wir uns bei der Finanzierung ohnehin im Stich gelassen. Was aber vergessen wird: Uns fehlen nicht nur Mittel aus dem letzten Rettungspaket zur

Unterhaltung unserer eigenen Kitas. Wir müssen auch immer stärker den freien Trägern finanziell unter die Arme greifen, damit die Einrichtungen überhaupt noch existieren können. Schon heute erhalten die freien Träger der Kitas allein in Dormagen mehr als eine Million Euro zusätzlich pro Jahr, um deren Trägeranteile zu finanzieren. Mit einer dramatisch steigenden Tendenz müssen wir Kommunen immer mehr Geld zur Verfügung stellen, weil die Finanzierung des Landes unzureichend ist. Hier besteht dringend Handlungsbedarf.“

Hintergrund:

Um Insolvenzen abzuwenden und dem drohenden Qualitätsabbau entgegenzutreten, haben sich mittlerweile über 70 freie Kita-Träger gemeinsam mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) NRW im Kita-Bündnis NRW zusammengeschlossen und die Petition „Rettet die Kitas in NRW“ gestartet. 35.000 Menschen haben diese bereits mitgezeichnet. Solange das Problem nicht gelöst ist, können weitere ihre Unterschrift leisten.

Über das Kita-Bündnis NRW

Sechs große freie Träger aus NRW haben sich mit der GEW NRW im überverbandlichen Kita-Bündnis NRW zusammengeschlossen. Aktuell zeichnen weitere 70 freie Träger aus ganz NRW ihren Appell zur Rettung der Kitas in NRW mit. Das offene Aktions-Netzwerk bündelt Themen, die Kita-Betreibern auf den Nägeln brennen und erarbeitet praktikable Lösungsvorschläge für eine bessere Kindertagesbetreuung.

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