lautstark. 08.08.2022

Schwerbehindertenvertretung: Eine Herzensaufgabe

SchwerbehinderungArbeits- und Gesundheitsschutz

Barbara Pieronczyk gibt Einblicke in ihre Arbeit

Barbara Pieronczyk lächelt, wenn sie von ihrer Arbeit als Schwerbehindertenvertreterin erzählt. Nach einer schweren Krankheit hat sie die Unterstützung selbst als große Hilfe wahrgenommen. Aus ihrer persönlichen Erfahrung hat sie viel mitgenommen und kann Kolleg*innen deshalb authentisch zur Seite stehen.

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  • Ausgabe: lautstark. 04/2022 | Ehrenamt: Füreinander das Miteinander gestalten
  • Autor*in: Sherin Krüger
  • Funktion: freie Journalistin
Min.

Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) greift, wenn Kolleg*innen nach mehr als sechs Wochen Krankschreibung aufs Jahr gerechnet wieder unterrichten. „Wir schalten uns ein, wenn die Kolleg*innen eine Schwerbehinderung haben, und begleiten sie zurück in den Schulalltag“, erzählt Barbara Pieronczyk. Das ist nur eine von vielen Aufgaben, die sie als stellvertretende Schwerbehindertenvertretung (SBV) für Gesamt-, Sekundar- und Primusschulen im Regierungsbezirk Münster seit 2014 übernimmt. „Die Kolleg*innen sind oft durch schwere und lange Erkrankungen überfordert, wenn sie die Post vom Dienstherrn bekommen. Verständlich, denn viele befinden sich in herausfordernden Lebenssituationen und für sie steht im Fokus, gesund zu werden. Die Schule scheint da noch weit entfernt.“

Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung sind vielfältig

Barbara Pieronczyk spricht aus Erfahrung. Sie hat nach einem langen krankheitsbedingten Dienstausfall eine stufenweise Wiedereingliederung als BEM-Maßnahme mitgemacht. „Als ich dann gefragt wurde, ob ich eine Stelle als Schwerbehindertenvertreterin übernehmen möchte, musste ich nicht überlegen. Ich habe die Betreuung während meiner eigenen Wiedereingliederung sehr geschätzt und fand die Beratung richtig hilfreich.“ Seit Kurzem ist Barbara Pieronczyk zusätzlich Hauptpersonalrätin. Ihr Lehramt wird deshalb ab dem Schuljahr 2022 / 2023 ruhen. „Die vielen Aufgaben wären sonst nicht mehr zu schaffen. Auch in der Vergangenheit musste Unterricht ausfallen, wenn SBV-Termine in diese Zeit fielen. Denn die SBV geht immer vor“, erzählt Barbara Pieronczyk.

So legt es auch das neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) fest: Die Eingliederung schwerbehinderter Menschen muss gefördert und die Beschäftigung entsprechend ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten unterstützt werden. „Als Schwerbehindertenvertreter*innen stehen wir den Kolleg*innen beratend und unterstützend zur Seite. Ich nehme zum Beispiel an BEM-, Teilhabe- und Jahresgesprächen mit der Schulleitung teil, berate Kolleg*innen bei der Antragstellung auf eine Schwerbehinderung und unterstütze sie beim Widerspruch“, beschreibt Barbara Pieronczyk ihre Arbeit. Die Schwerbehindertenvertretung hat dabei immer eine Kontrollfunktion und sorgt dafür, dass die Fürsorgepflicht der Schulleitung erfüllt wird.

Kolleg*innen sollen bestmögliche Hilfestellungen erhalten

Das BEM startet meist mit einer Beratung am Telefon und geht weiter mit einem Gespräch, bei dem die betroffene Lehrkraft, die Schulleitung, ein Personalratsmitglied und eine SBV dabei sind. „Alles auf freiwilliger Basis der Kolleg*innen natürlich. Die Schulleitung allerdings muss dem Gespräch mit meiner Anwesenheit zustimmen. Gemeinsam schauen wir, welche Unterstützung die Kolleg*innen benötigen, damit ihre Dienstfähigkeit erhalten bleibt.“ Bei länger Erkrankten kann eine stufenweise Wiedereingliederung das Ergebnis eines solchen Gesprächs sein. „Die Lehrkraft spricht den Plan mit ihrer zuständigen Ärztin beziehungsweise ihrem zuständigen Arzt durch. Hier mache ich die Kolleg*innen immer extra darauf aufmerksam, gut in sich hineinzuhören. Nach einer langen Krankheit ist nämlich oft nichts mehr wie vorher. Zum Beispiel kann sich der Tagesrhythmus geändert haben und du kannst erst später als um Punkt acht Uhr mit dem Unterricht starten. All das muss berücksichtigt werden.“ Ziel ist es, den Kolleg*innen bestmögliche Hilfestellungen zu geben, damit sie ihre Dienstaufgaben ihren Möglichkeiten entsprechend weiter ausführen können. Dabei kann es sich um den Unterrichtseinsatz in bestimmten Lerngruppen handeln, um die Gestaltung des Stundenplans oder um den Einsatz technischer Hilfsmittel.

Positive Reaktionen und Dankbarkeit motivieren

„Mein Kollege und ich ergänzen uns prima: Ich bin selbst Tarifbeschäftigte und übernehme oft die Beratung der angestellten Kolleg*innen. Er ist verbeamtet und wohnhaft in Münster, während ich in Essen zu Hause bin. Also mache ich, wann immer es geht, die Termine im Ruhrgebiet.“ Dazu gehören unter anderem Begehungen an Schulen, die oft initiiert vom Unternehmen BAD stattfinden, das in NRW für Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik an Schulen im Einsatz ist. „Von Schulleitungen erlebe ich nahezu ausschließlich positive Reaktionen und erfahre von den betroffenen Kolleg*innen sehr viel Dankbarkeit.

Das motiviert mich ungemein für meine SBV-Arbeit“, erzählt Barbara Pieronczyk. Neben den vielen Beratungen, bei denen sich die Themen wiederholen, kann nach einer Schulbegehung schon mal ein aufwendiges Projekt entstehen. So erinnert sich Barbara Pieronczyk an den Fall einer hörgeschädigten Kollegin, die sie zuvor in der Beratung hatte. „Nach der Prüfung vor Ort haben wir den Integrationsfachdienst, der über die entsprechenden Fachleute verfügt, und das Inklusionsamt, das einen Großteil der Kosten trägt, eingeschaltet. Parallel wurde eine Firma für den Kauf der technischen Ausstattung hinzugezogen. Ich kann mit Überzeugung sagen: Der Aufwand hat sich gelohnt! Am Ende waren die Schulleitung und die Kollegin sehr zufrieden“, erzählt sie begeistert. Für die Lehrerin wurde das Lehrerraumprinzip eingeführt: „Das heißt, die Schüler*innen kommen für den Unterricht in ihren Raum und nicht umgekehrt, wie es sonst üblich ist bei Klassen- oder Fachräumen.“ Im Raum wurden ein portables Mikrofonsystem installiert und weitere Baumaßnahmen wie eine Lärmsanierung für eine optimale Akustik umgesetzt. „Wir als SBV haben das Projekt koordinierend begleitet, und ich habe den direkten Kontakt zu der Kollegin gehalten. Der liegt mir sowieso sehr am Herzen und in diesem Fall war es ein ganz besonderer! Die Kollegin war so glücklich, einfach wieder unterrichten zu können.“

Ich erlebe so viele positive Reaktionen und erfahre Dankbarkeit. Das motiviert mich ungemein für meine SBV-Arbeit.

Wertschätzung für ihre Arbeit erfährt Barbara Pieronczyk durch die vielen Rückmeldungen von Kolleg*innen, die sie begleiten durfte: „Die meisten sind ja froh, wenn sie weiter im Schuldienst bleiben können. Insbesondere ältere Kolleg*innen wünschen sich, es bis zum Eintritt in den Ruhestand zu schaffen und nicht behinderungsbedingt vorzeitig aus dem Dienst ausscheiden zu müssen. So erlebe ich es immer wieder.“ Im Herbst 2022 stehen in NRW die Wahlen für die Schwerbehindertenvertretungen an und Barbara Pieronczyk kandidiert zum dritten Mal für den Posten als Stellvertreterin: „Wenn viele Kolleg*innen an der Wahl teilnehmen, obwohl ihr Arbeitsalltag herausfordernd genug ist, fühle ich mich in meiner Arbeit bestätigt. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich im nächsten Jahr als Schwerbehindertenvertreterin weitermachen kann.“