lautstark. 28.06.2024

Gleichwertige Lebensverhältnisse statt Stückwerk

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GEW-Kommentar zur kommunalen Bildungsplanung

Damit allen Kindern und Jugendlichen gleichwertige Bildungschancen und Lebensverhältnisse ermöglicht werden können, fordert die GEW NRW: Die Politik ist in der Verantwortung und muss kommunale Unterschiede beseitigen. Denn es sind nicht die Kommunen, die etwa durch besseres Übergangsmanagement ungleiche Bildungschancen auffangen müssen.

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  • Ausgabe: lautstark. 03/2024 | Wie Übergänge gelingen
  • Autor*in: Kenneth Rösen
  • Funktion: Experte der GEW NRW für Bildungspolitik
Min.

Dass das Bildungssystem aufgrund der föderalen Struktur bundesweit nicht einheitlich gestaltet ist, ist zu einem Allgemeinplatz geworden, der zwar immer noch zu Recht kritisiert wird, aber durch Anerkennungszusagen der Kultusministerkonferenz (KMK) formal weitgehend irrelevant geworden ist. Bei der schulischen „Leistungsfähigkeit“ der verschiedenen Bundesländer sieht es gänzlich anders aus: Während Bundesländer wie Bayern und Sachsen bei Kompetenztestungen meist besser abschneiden als etwa Brandenburg und Berlin, sind es laut Institut für Wirtschaftsforschung gerade letztgenannte Bundesländer, die ihren Schüler*innen mehr – aber immer noch zu wenig – Chancengleichheit ermöglichen.

Es lässt sich also feststellen, dass die Bildungssysteme in den Bundesländern nicht nur unterschiedlich strukturiert sind, sondern auch unterschiedliche Ergebnisse zeitigen. Was für die Bundesländer gilt, darf auch für Kommunen gelten, obwohl diese häufig in öffentlichen Debatten vergessen werden. Die Kommunen eines Bundeslandes unterscheiden sich zwar nicht so sehr hinsichtlich des Bildungssystems, aber deutlich hinsichtlich ihrer Lebensverhältnisse. Während in Gelsenkirchen fast jedes zweite Kind von Armut bedroht ist und in Duisburg fast jedes dritte Kind, ist es in Coesfeld weniger als jedes zehnte. Auf diese Realitäten müssen Bildungssysteme reagieren können, um allen Kindern bestmöglich gerecht werden zu können.

Strukturelle Grenzen behindern kommunale Bildungsplanung

In gewisser Weise können Kommunen auf die Bedingungen vor Ort reagieren. Sie können im Rahmen der kommunalen Bildungsplanung beispielsweise entscheiden, ob Schulen neu errichtet oder in andere Schulformen transformiert werden. Auf diese Weise könnte dafür gesorgt werden, dass die kommunalen Bedarfe an Schulplätzen befriedigt werden können. Aber schon diese Aufgabe gelingt nicht allen Kommunen: So gibt es in einigen Städten zu wenig Plätze an Gesamtschulen, was zur Folge hat, dass manche Kinder nicht in einem integrativen System beschult werden, obwohl es ihre Präferenz gewesen wäre. Von der kommunalen Abstimmung über die Absichten in puncto Bildungsplanung bis hin zur konkreten Planung, Ausgestaltung, Ausschreibung und letztlich dem Bau einer neuen Schule vergehen schnell Jahre – Jahre, in denen sich Bedarfe verändern können.

Neben der bloßen Planung von Schulbauten können Kommunen außerdem eine Verzahnung von schulischen und außerschulischen Angeboten schaffen und das als Instrument zur Gestaltung der Bildungslandschaft nutzen. Durch ein solches Vorgehen können Bildungsangebote nicht nur qualitativ und praxisnah abgesichert, sondern auch Übergänge gestaltet werden, etwa von der Schule in die Ausbildung. Häufig stoßen Ideen und der Versuch einer abgestimmten Planung der Kinder- und Jugendbildung an strukturelle Grenzen, die in Bildungsföderalismus, den Landesgesetzen und der Trennung von inneren und äußeren Schulangelegenheiten zu verorten sind.

Gewiss will keine Kommune für ihre Kinder und Jugendlichen ein schlechteres Angebot bereithalten als andere Kommunen, aber ihre Möglichkeiten sind oftmals begrenzt: Eine fehlende Entlastung der Kommunen von den Altschulden durch das Land, zu wenig Personal im öffentlichen Dienst – Stichwort fehlende Attraktivität – und die Befürchtung, Zeit und Geld in Projekte zu investieren, die hinterher nicht umgesetzt werden (dürfen), führen dazu, dass die kommunale Bildungsplanung zwar in den Schulbauten einen gemeinsamen Nenner findet, aber in der qualitativen Ausgestaltung der kommunalen Bildungslandschaft stark auseinandergeht.

Politik muss kommunale Unterschiede beseitigen

Förderprogramme, die die kommunale Planung beziehungsweise das „Management“ vor Ort unterstützen, sind gut und sinnvoll, aber keineswegs das, was politisch gebraucht wird. Anstatt den bestehenden Flickenteppich auszuweiten, wäre es Zeit, kommunale Unterschiede auszumerzen. Die grundgesetzlich abgesicherte Gestaltung gleichwertiger Lebensverhältnisse durch die Regierung (Artikel 72 GG) ist angesichts der enormen gesellschaftlich produzierten Ungleichheit genauso wenig erfüllt wie etwa die in den UN-Kinderrechtskonventionen festgeschriebenen „angemessenen Lebensstandards“ (Artikel 27 UN-KRK). Das zu beheben, ist Aufgabe von Politik. Anstatt weiter an einigen Leuchtturmprojekten zu arbeiten, die nur einigen Kindern zugutekommen, wäre es besser, etwas für alle Kinder zu tun!