lautstark. 30.08.2024

Der Drittmittelboom und seine Folgen

BildungsfinanzierungMitbestimmungPolitische BildungHochschullehre

Privatisierungstendenzen an Hochschulen

Welche Entwicklung lässt sich im Bereich Wissenschaft und Forschung mit Blick auf das Thema Privatisierung erkennen? Welche Folgen ergeben sich daraus für die Beschäftigten und die Lehre? Und was fordert die GEW? Wir haben mit Andreas Keller, dem stellvertretenden Vorsitzenden und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung der GEW, gesprochen.

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  • Ausgabe: lautstark. 04/2024 | Ökonomisierung – Bildung als Ware?
  • im Interview: Andreas Keller
  • Funktion: GEW-Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung sowie stellvertretender Vorsitzender
  • Interview von: Sherin Krüger
  • Funktion: freie Journalistin
Min.
Andreas Keller ist stellvertretender Vorsitzender und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung der GEW.

Welche Entwicklung beobachtet die GEW in den vergangenen zehn Jahren bei der Privatisierung im Hochschulbereich?

Andreas Keller: Wurden die Privathochschulen in Deutschland lange Zeit belächelt und fristeten ein Nischendasein, sind sie mittlerweile ein ernst zu nehmender Faktor in der Hochschullandschaft geworden. Fast zwölf Prozent aller Studierenden sind an einer privaten Hochschule eingeschrieben.

Wie ist das zu erklären?

Andreas Keller: Trotz zum Teil hoher Studiengebühren entscheiden sich viele Studierende für die Privaten, weil sie sich von der Ausbildung bessere Berufschancen erhoffen. Besonders beliebt sind berufsbegleitende Studienangebote der Privathochschulen, mit denen die staatlichen Hochschulen häufig nicht mithalten können. Paradoxerweise gelingt es den Privaten so besonders gut, neue Zielgruppen für ein Hochschulstudium anzusprechen – wie beruflich qualifizierte Menschen ohne Abitur.

Wie ist die Lage an den staatlichen Hochschulen? Sind sie selbst durch steigende Drittmitteleinnahmen Privatisierungstendenzen ausgesetzt?

Andreas Keller: Tatsächlich nimmt die Drittmittelfinanzierung der staatlichen Hochschulen ständig zu, während ihre Grundfinanzierung stagniert oder sogar gekürzt wird. Jedenfalls bleiben die Summen bundesweit immer deutlich hinter den Kostensteigerungen zurück! Gut die Hälfte der Ausgaben für die Forschung an Hochschulen sind inzwischen Drittmittel. Allerdings machen mit über 80 Prozent staatliche Gelder den Löwenanteil der Drittmittel aus: Förderung durch die von Bund und Ländern finanzierte Deutsche Forschungsgemeinschaft, Ressortforschung durch Ministerien oder Programme wie die Exzellenzstrategie. Das heißt: Bund und Länder knausern bei der Grundfinanzierung der Hochschulen, pumpen aber immer neue Mittel in die Drittmittelförderung und erzeugen so einen künstlichen Wettbewerb. Dieser Paradigmenwechsel in der Forschungsförderung ist also nicht vom Himmel gefallen, sondern politisch gewollt.

Welche Folgen hat die Drittmittelförderung für die Hochschulen?

Andreas Keller: Drittmittel werden nie auf Dauer, sondern immer befristet bereitgestellt. Diese Unsicherheit geben die Hochschulen eins zu eins an ihre Beschäftigten weiter: in Form von befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Zeitverträge mit immer kürzeren Laufzeiten sind also auch eine Folge des Drittmittelbooms.

Welchen Einfluss haben private und staatliche Drittmittelgeber*innen auf Forschung und Lehre?

Andreas Keller: Forschende müssen sich thematisch an den Vorgaben der Geldgeber*innen ausrichten. Spätestens seit der sogenannten Fördergeldaffäre im Bundesministerium für Bildung und Forschung wissen wir, dass Abhängigkeit von Drittmitteln sogar politisches Duckmäusertum begünstigen kann. Wissenschaftsfreiheit und Drittmittelfinanzierung stehen also in einem Spannungsverhältnis. Hinzu kommt, dass Wissenschaftler*innen immer mehr Zeit und Energie für Drittmittelanträge verwenden müssen – um überhaupt forschen zu können, aber auch, um sich im Wettbewerb durchsetzen und den nächsten Zeitvertrag, vielleicht sogar die ersehnte Dauerstelle oder Professur ergattern zu können. Dadurch droht die Lehre zum fünften Rad am Wagen zu werden.

Was fordert die GEW?

Andreas Keller: Bund und Länder müssen sich zu einem Kurswechsel in der Hochschulfinanzierung durchringen: Die Grundfinanzierung muss massiv ausgebaut sowie dynamisiert werden, Geld für die Drittmittelförderung darf es nur on top geben. Neben der überAbhängigfälligen Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ist das eine wichtige Voraussetzung für Dauerstellen für Daueraufgaben. Wenn Hochschulen Drittmittel einwerben, müssen sie Konzepte dafür entwickeln, wie sie mindestens einen Teil der Drittmittelbeschäftigten auf Dauer einstellen. Wer heute in einem Projekt arbeitet, kann vielleicht übermorgen in einem anderen eingesetzt werden und morgen über einen Überbrückungsfonds zwischenfinanziert werden. Und schließlich muss die Lehre an den Hochschulen wieder aufgewertet werden – auch damit die staatlichen Hochschulen gegenüber den privaten nicht das Nachsehen haben. Dafür brauchen wir bessere Betreuungsverhältnisse und neue Studienformate wie ein Teilzeitstudium. 

Veranstaltungsreihe in Kooperation mit der GEW

Grundfinanzierung statt Projektwettbewerb

Der dritte Termin in der Veranstaltungsreihe „Grundfinanzierung statt Projektwettbewerb“ beschäftigt sich mit dem Thema „(Fehlende) Grundfinanzierung und (prekäre) Beschäftigungsverhältnisse in Wissenschatsorganisationen“ und findet am 10. Oktober 2024 online statt. Ausgangspunkt der Reihe ist ein „lernendes Manifest“, das zur Auftaktveranstaltung vorgestellt wurde und zur Diskussion und Weiterentwicklung bereit steht.

Auf dem Podium: Elisabeth Ewen (Fraunhofer-Gesellschaft), Ann-Kathrin Hoffmann (TVStud), Dr. Mathias Kuhnt (Hauptpersonalrat beim sächsischen Wissenschaftsministerium), Doris Rösler (Gesamtbetriebsrat Fraunhofer-Gesellschaft), Sonja Staack (ver.di), Henning Rockmann (HRK)

Moderation: Dr. Andreas Keller (GEW)

Infos und Anmeldung zur Online-Veranstaltung