Elite ist in der Bundesrepublik immer ein umstrittener Begriff gewesen. In der öffentlichen Diskussion war er mal stärker negativ besetzt, mal stärker positiv. Bis Ende der 1980er-Jahre herrschte die kritische Sicht vor. Angesichts zweier von den Eliten zu verantwortender Weltkriege war das nicht verwunderlich. In den 1990er-Jahren trat dann ein spürbarer Wandel ein. Eliten wurden nun zunehmend positiv gesehen. Der von der rot-grünen Regierung Anfang der 2000er-Jahre initiierte Wettbewerb um die „besten“ Universitäten des Landes machte den Bedeutungswandel besonders deutlich.
Zunächst wurde sogar explizit von Elitehochschulen gesprochen, die es zu schaffen gelte, nach SPD-internen Vorbehalten später dann nur noch von Exzellenzuniversitäten. Inhaltlich gab es aber keine nennenswerten Veränderungen. Es ging nach wie vor um Elitehochschulen nach US-Vorbild. Nach der Finanzkrise 2008 kam es zu einem erneuten Umschwung in der öffentlichen Stimmung. Jetzt standen die Eliten wieder unter dem Verdacht, ihre eigenen Interessen skrupellos zulasten der Bevölkerung zu verfolgen. Die Banken wurden mit dem Geld der Steuerzahler*innen gerettet, die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik aber kamen ungestraft davon. So lautete das Urteil der allermeisten.
Elitenkritik: Der reale Kern populistischer Verschwörungstheorien
Daran hat sich bis heute nur wenig geändert. Das Misstrauen ist geblieben. Es bildet die Basis für jene Verschwörungstheorien, die im Rechtspopulismus en vogue sind. Vorstellungen, die Davos-Elite plane, mit dem Great Reset die Weltordnung tiefgreifend zu ihren Gunsten zu verändern, oder die Bilderberger bildeten eine geheime Weltregierung, halten einer empirischen Überprüfung nicht stand. Dennoch wäre es falsch, sie einfach als Unsinn abzutun und es dabei zu belassen. Die in ihnen enthaltene Elitenkritik hat nämlich einen realen Kern. Die Eliten sind zwar nicht allmächtig, wie die Verschwörungstheorien suggerieren, sie beeinflussen durch ihre Entscheidungen die gesellschaftliche Entwicklung aber maßgeblich. Das ist auch die wissenschaftliche Definition von Elite.
Ihr gehören jene Personen an, die solche Entscheidungsmacht besitzen: Regierungsmitglieder, Topmanager*innen, hohe Richter* innen und Verwaltungsbeamt*innen, Intendant*innen, Chefredakteur*innen und Spitzenvertreter*innen anderer großer Organisationen. In der Wirtschaft kommen dann noch jene Menschen dazu, die wie die Quandt-Erb*innen nicht qua Position, sondern qua Eigentum Einfluss ausüben können. Das bedeutet aber nicht, dass alle Multimillionär* innen oder Milliardär*innen auch zur Wirtschaftselite gehören. Das trifft nur auf jene zu, die selbst maßgeblich an den Entscheidungsprozessen in den großen Unternehmen beteiligt sind, im Vorstand, im Aufsichtsrat oder im Gesellschafter*innenausschuss. Wer dagegen sein großes Vermögen nur dazu nutzt, seinen privaten Interessen nachzugehen, ist als Privatière oder Privatier nicht Teil der Elite.
Die Finanzkrise: Rückendeckung für die Politik durch die oberen vier Prozent
Wie sehr die Entscheidungen der Eliten die gesellschaftliche Entwicklung auch auf Kosten der breiten Bevölkerung bestimmen können, zeigt exemplarisch die Finanzkrise. Ihre Grundlagen wurden durch die umfassende Deregulierung der Finanzmärkte seit den 1980er-Jahren gelegt. Diese Deregulierung war kein naturgesetzlicher Prozess, als der er von seinen Befürworter*innen oft dargestellt wird, sondern die Folge politischer Entscheidungen. Hatte zunächst die britische Regierung unter Margaret Thatcher mit dem sogenannten Big Bang 1983 alle wesentlichen gesetzlichen Fesseln gelöst, die dem Finanzplatz London zuvor angelegt waren, folgten dann jeweils ungefähr ein Jahrzehnt später erst 2004 die US-Regierung unter Bill Clinton und Anfang der Nullerjahre die deutsche unter Gerhard Schröder. Die Argumente waren immer dieselben: Die Deregulierung sollte den Wohlstand aller mehren, indem Hindernisse für den freien Geldverkehr und die Schaffung neuer Finanzprodukte aufgehoben würden.
Diese Argumentation wurde gebetsmühlenartig vor allem von den Eliten in Politik, Wirtschaft und Medien vorgetragen, genoss aber auch die Unterstützung der meisten anderen Eliten. Die soziale Rekrutierung der Eliten spielte dabei eine entscheidende Rolle. Da ihre Mitglieder ganz überwiegend aus den oberen vier Prozent der Bevölkerung stammten – in Deutschland wie in den USA zu zwei Dritteln, in Großbritannien und Frankreich sogar zu einem noch höheren Prozentsatz – zählten sie als die Haupteigentümer*innen von Aktien und anderen Wertpapieren nicht nur zu den Profiteur*innen der Deregulierung. Sie teilten qua familiärer Herkunft mehrheitlich auch die Ansicht, dass die Märkte für die Gesellschaft insgesamt die beste und effektivste Steuerungsinstanz darstellten und die sich daraus in der Regel ergebenden sozialen Ungleichheiten eben eine Folge ungleicher Leistungen der Einzelnen seien.
Ökonomisierung der Hochschule: Konkurrieren um Geld statt Erkenntnis
Der Glaube der Eliten an die unübertroffene Effizienz der Märkte prägte in den Nullerjahren auch die Bildungs- und ganz besonders die Hochschulpolitik. Nicht nur die politische, wirtschaftliche und mediale Elite, sondern auch die wissenschaftliche Elite forderten bereits seit Ende der 1990er-Jahre massiv einen grundlegenden Wandel in Richtung eines stärker marktförmig organisierten Wissenschaftsund Hochschulsystems. Vorangetrieben wurde die Initiative innerhalb der Wissenschaft in erster Linie vom damaligen Vorsitzenden des Wissenschaftsrats, Karl Max Einhäupl, und dem damaligen Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Ernst- Ludwig Winnacker, sowie den damaligen Rektoren und Präsidenten der führenden großen Universitäten in München, Berlin, Aachen oder Heidelberg, die zu Recht davon ausgingen, dass ihre Universitäten zu den Gewinnerinnen zählen würden. Die Exzellenzinitiative oder Exzellenzstrategie, wie sie mittlerweile heißt, war und ist dabei insofern ein wesentlicher Bestandteil der Ökonomisierung des Hochschulwesens, als sie an die Stelle der klassischen wissenschaftlichen Konkurrenz um Erkenntnis das Prinzip der Konkurrenz ganzer Universitäten um Gelder und Reputation setzt.
Bausteine der Hochschulökonomisierung: Wie Studierende zu Kund*innen wurden
Diese Form der Konkurrenz orientiert sich explizit an den Mechanismen in der Wirtschaft. Sie war einer der ursprünglich drei zentralen Bausteine der Ökonomisierung. Die beiden anderen waren die Einführung von Studiengebühren und die des Bachelor- Master-Systems. Beide sahen in den Studierenden in erster Linie Kund*innen des Hochschulsystems, die karriereträchtige Abschlüsse erwerben wollten und dafür bereit waren, wie bei anderen Dienstleistungen eigenes Geld zu zahlen. Obwohl die Studiengebühren dank des massiven Widerstands der Studierenden – vor allem in Hessen – nach und nach wieder abgeschafft wurden, blieb durch das neue Studiensystem in der Einstellung der Studierenden die (von den Verantwortlichen auch lautstark propagierte) Kund*innenorientierung doch zu erheblichen Teilen erhalten.
Da die Exzellenzinitiative in Form der Exzellenzstrategie inzwischen fest institutionalisiert ist, zwei der drei Bausteine der Ökonomisierung also erfolgreich implementiert sind, muss man insgesamt von einem Erfolg der Ökonomisierungspläne sprechen. Leider spricht derzeit viel dafür, dass sich dieser Trend weiter fortsetzt. Vor allem zwei Faktoren deuten in diese Richtung. Zum einen muss man aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit damit rechnen, dass der Bildungsbereich bei den anstehenden Sparmaßnahmen der öffentlichen Haushalte überproportional betroffen sein wird. Das fördert weitere Ökonomisierungsüberlegungen.
Zum anderen wäre nur massiver Widerstand an den Hochschulen in der Lage, den Trend zu stoppen oder gar umzukehren. Die bisherigen Ökonomisierungserfolge haben die Voraussetzungen für einen solchen Widerstand aber erheblich verschlechtert. So hat die Exzellenzstrategie die Kluft zwischen der Minderheit der Gewinnerinnen und der Mehrheit der Verliererinnen unter den Hochschulen deutlich vertieft. Ein gemeinsames Vorgehen wird damit noch unwahrscheinlicher als schon früher. Gleichzeitig haben die Verschulung des Studiums und die seit Corona stark angestiegene Zahl an Hybridveranstaltungen dafür gesorgt, dass die Vereinzelung der Studierenden spürbar zugenommen hat. Erfolg versprechender Widerstand aber braucht Präsenz und Masse.